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L.A. Zombie
Re-make/Re-model.
Eine kleine Skandalisierung weht dem neuen Film von Bruce
LaBruce voraus, durch die man sich allerdings nicht in Aufregung versetzen lassen
sollte. Nachdem selbst Altmeister George A. Romero mit „Survival of the Dead“
nur mehr ein müder Ausflug in Western-Archetypen gelungen und aktuelle,
reaktionäre Post-Apokalypse-Filme wie „The Road“ wieder auf fragwürdige Familien-Tableaus setzen, braucht es
wohl einen Trash-Afficionado wie Bruce LaBruce, um das Zombie-Subgenre, nun
ja, am Leben zu halten. Nachdem der Filmemacher mit „Otto; or, Up with Dead
People“ einen erstaunlich komplexen und referenzreichen Pop-Kosmos entworfen
hat, folgt nun mit „L.A. Zombie“ gar die Genre-Kontrafaktur, die das Objekt
zum Subjekt macht und damit eine Studie in Melancholie abliefert. Aber mit den
Mitteln einer minimalistischen, latent surrealistischen arte povera.
Waren die Untoten bislang zumeist nur ein dramaturgisches Mittel, um bestimmte
soziologische Thesen über soziales Verhalten zu formulieren und zu überprüfen,
so macht LaBruce hier den Zombie gewissermaßen zum tapsigen Beobachter
einer gewalttätigen Gesellschaft, deren Parias an den Rändern der
Städte und in zubetonierten Abwasserkanälen lebt. „L.A. Zombie“ beginnt
am Meer und endet auf dem Friedhof (ein hübscher Einfall nicht nur in Bezug
auf das Genre, sondern auch ein trefflicher Reflex auf post-apokalyptische Utopien;
vgl. „The Road“), wo sich der Zombie-Protagonist schließlich an einem
frischen Grab müht. Auf dem Grabstein steht „Law“. Was dem Film seinen
schlechten Ruf eingebracht hat und ihn zum Festival-Skandal in Melbourne und
auch in Locarno werden ließ, ist nicht seine Nähe zum Musikclip,
auch nicht seine zeitweise famose Optik und auch nicht der interessante, ganz
nicht zum Genre, aber zur Melancholie dieses Films passende Score von Mikael
Karlsson und Philippe Breson, sondern in der Tat die kruden Akte der Nekrophilie.
Denn der Zombie von Bruce LaBruce giert nicht kannibalistisch nach Fleisch,
sondern nach Sex. Und zwar mit Toten. Und insofern hat er ziemliches Glück
gehabt, dass er nahe Los Angeles den Fluten des Pazifik entstieg, denn in der
Westküsten-Metropole ist der Mensch noch des Menschen Wolf und die Toten
liegen auf der Straße herum.
Nun bekümmert sich der Zombie auf eigentümliche Weise um die Toten,
die nach der Penetration als Untote weiterleben - und für die Lebenden
eigentlich keine Gefahr darstellen. Wobei wir darüber allerdings nur Vermutungen
anstellen können, denn »das Soziale« bleibt bei LaBruce konsequent
ausgespart, weil der Film aus der Perspektive des Zombie-Protagonisten erzählt
ist. So muss man versuchen, die sparsamen Informationen dieses No-budget-Films
hochzurechnen: Die Gewalt geht hier vom Menschen aus, während der Zombie
als Erlöser erscheint. Weil der Erlöser aber das Leben genau dort
mittels eines Penis' von durchaus beachtlichem Format einhaucht, wo es den Körper
verlassen hat, gerät die ganze Geschichte etwas unappetitlich. Hier wird
sozusagen nicht der Finger in die offene Wunde gesteckt. Was aber bei einem
Splatterfilm durchaus noch zum guten Ton gehört.
Zusammengefasst produziert expliziter, schwuler, nekrophiler Sex aber vielleicht
für den Mainstream-Zuschauer tatsächlich ein paar visuelle Tabubrüche
zu viel, was aber in dem sehr überschaubaren Segment, das Bruce LaBruce
mit seinen Filmen bedient, keine Probleme bereiten sollte. Ein anderes Problem
könnte die sich rasch einstellende Langeweile sein, denn letztlich wiederholt
der Film sich schnell in einer ironischen Abfolge des Immergleichen. Mal sorgt
ein grausiger Autounfall für ein Opfer, mal eine Auseinandersetzung unter
Geschäftsleuten, mal wird eine Leiche aus einen Auto geworfen, mal findet
ein Massaker in einer schicken Galerie statt, mal kam ein Obdachloser ums Leben
- stets fließt sehr viel Blut. In der Galerieszene sogar so viel, dass
man versucht ist, an Action Painting mit Kunstblut zu denken.
Wenn der Zombie schließlich am Grab des Gesetzes in der Erde wühlt,
erinnert er sich kurz an die Stationen seiner Reise, an die Toten, die er ins
untote Dasein überführt hat - und dann geschieht etwas sehr Menschliches,
dessen Sentimentalität wohl auch George A. Romero sehr gut gefallen würde:
der Zombie vergießt ein paar Tränen. Bleibt zu fragen, inwieweit
diese Tränen im Angesicht dessen, was einmal das Gesetz war, eher als politischer
oder psychoanalytischer Kommentar zu lesen sind. Bruce LaBruce lässt in
seiner variations- und dialogarmen, mal extrem kruden, mal lustvollen, mal sanft
ironischen, dann wieder hochästhetischen Drift durch das Elend viele Fragen
offen. Pornografisch mag der Film nur einer Minderheit mit nekrophilen Neigungen
erscheinen, Trash aber sieht entschieden anders aus. Und so anrührend still
wie „L.A. Zombie“ (trotz allem!) ist, war auch schon lange kein Film dieses
Genres mehr.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in der www.filmgazette.de
L.A.
Zombie
OT: L.A. Zombie
USA / Frankreich 2010 - 63 min.
Regie: Bruce La Bruce - Drehbuch: Bruce La Bruce - Produktion: Bruce La Bruce, Jürgen Brüning, Robert Felt,
Jörn Hartmann, Arno Rok, Damian Todaro, Matthias Von Fistenberg - Kamera:
James Carman (= Saintjc) - Schnitt: Jörn Hartmann - Musik: Kevin D. Hoover - Verleih: GMfilms - Altersfreigabe: ab 18 Jahre - Besetzung: François Sagat, Rocco Giovanni, Wolf Hudson,
Eddie Diaz, Andrew James, Matthew Rush, Erik Rhodes, Francesco D'Macho
Kinostart (D): 07.10.2010
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