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Der letzte Exorzismus
Southern Gothic for the Digital Age
Jesus selbst sei ein Exorzist gewesen, erklärt der
charismatische Prediger Cotton Marcus (Patrick Fabian) dem Filmteam, das sich
aufgemacht hat, einen modernen Dämonenaustreiber zu porträtieren.
Doch Marcus, einst ein eifernder evangelikaler Priester und noch immer praktizierender
Exorzist, glaubt schon lange nicht mehr an den Teufel. Exorzismen betrachtet
er eher als einen Gemeindedienst, das letztmögliche Mittel, wenn Schulmedizin
und Psychiatrie nicht mehr helfen. Nebenbei sind sie eine gute Einkommensquelle
für den Prediger. Und so sind seine Exorzismen allesamt Scharlatanerie,
bei der geschickt platzierte Drähte, Soundeffekte und theatralische Mimik
zum Einsatz kommen. Meist reicht das aus, den oder die „Besessene“ zur Räson
zu bringen, gewissermaßen als spirituelles Placebo. Nun aber will der
Priester aus dem Geschäft aussteigen. Ein fehlgeschlagener Exorzismus an
einem autistischen Jungen hat ihn endgültig vom Glauben an sein Tun abgebracht.
Nur einen allerletzten Exorzismus will er noch durchführen, dem Dokumentarteam
zuliebe, und dabei alle seine Tricks aufdecken. Dass es dieser letzte Exorzismus
in sich haben wird, daran zweifelt niemand, der mehr als einen Horrorfilm gesehen
hat.
Also fahren Marcus und das Filmteam nach Louisiana, Mississippi, in den tiefsten
Süden; dahin, wo die Menschen noch etwas anders ticken, in vernuscheltem
Singsang sprechen und schon vor Katrina die Armut groß und der Glaube
noch stärker war. Ein weißer Farmer (Louis Herthum) hat um Hilfe
gebeten: seine bislang lammfromme Teenagertochter (Ashley Bell) schlachtet im
Schlaf sein Vieh und bekommt von ihrem Kruzifix Ausschlag. So etwas muss ja
mit dem Teufel zugehen. Der Weg zu der abgelegenen Farm – und abgelegen sind
Farmen in dieser Sorte Film immer – ist gepflastert mit bösen Omen: fast
verwittert wirkt die Landschaft, die an den Autoscheiben vorbeizieht, die Menschen,
die die Besucher nach dem Weg fragen, bestenfalls seltsam, ein rothaariger Teenager
wirft gleich fauliges Obst gegen die Heckscheibe, dem Soundeffekt sei Dank der
erste Schock des Films. Auf der Farm wird das Team schnell mit einer Situation
konfrontiert, von der bis zuletzt unklar bleibt, ob sie Resultat religiösen
Wahns, familiärer Gewalt oder ganz reales Teufelswerk ist (oder gar etwas
von allem).
Bis zum bitteren Ende wird das alles konsequent durch die Kameras des Filmteams
gezeigt – verwackelt, mit Aussetzern und Sprüngen, irritierenden Schwenks,
kurz: allem, was Unmittelbarkeit suggeriert. Wenn innerhalb der Handlung die
Aufnahmen abgebrochen werden, bleibt auch im Kino die Leinwand schwarz bzw.
die Handlung setzt eine Ellipse später wieder ein. Wer das Material allerdings
geschnitten haben und für den großartigen Sound verantwortlich sein
soll, bleibt unbeantwortet. So könnte man „Der letzte Exorzismus“ als „Mockumentary“
oder Fakedoku aus „found footage“ beschreiben.
Das ist natürlich eine alles andere als neue Idee. Spätestens nachdem
„The
Blair Witch Project“ (1999) dank geschicktem
viralen Marketing unverschämt viel Geld in die Kassen des kleinen Artisan-Studios
gespielt hatte, war klar, dass die Mischung aus verwackelt-unscharfen Kamerabildern,
digitalen Dropouts und allerlei esoterisch-mystischem Brimborium nicht der einzige
Vertreter seiner Art bleiben würde. Neben dem unvermeidlichen Sequel „Book of Shadows: Blair Witch 2“ (2000) folgten, mehr oder weniger deutlich an der Vorgabe orientiert,
der spanische Beitrag „[REC]“ (2007), aus den USA „Paranormal Activity“
(2007) und „Cloverfield“ (2008), zuletzt die Fortsetzungen „[REC] 2“ (2009)
und – fertig gestellt, aber noch nicht gestartet – „Paranormal Activity 2“ (2010).
Selbst solide Genreware wie Zack Snyders „Dawn of the Dead“-Remake
(2004), Neil Marshalls origineller „The Descent“ (2005)
und George A. Romeros „Diary of the Dead“ (2007) kam nicht mehr ohne Sequenzen
aus, in denen die Protagonisten nicht wenigstens sporadisch das Geschehen selbst
filmten und in deren Folge uns dann das meist grünstichige Gekrissel als
Realismus verkauft wurde. Im Rückblick gelang es eigentlich nur Neill Blomkamp
im fulminanten Auftakt seiner Anti-Rassismus-Satire „District 9“ (2009),
der Idee der Fake-Dokumentation noch einmal neuen Reiz abzugewinnen.
Jenseits des pseudorealistischen Mehrwerts bietet die subjektive, vermeintlich
von den Protagonisten selbst geführte Kamera im Kino das Versprechen einer
neuen Unmittelbarkeit. Die Mockumentary, also der gänzlich gefälschte
Dokumentarfilm, ist der zumindest potentiell subversive Endpunkt dieser Tendenz.
Dass viele dieser Filme sich jedoch mit Aberglaube, Satanismus und Geistern
beschäftigen, kurz: mit allem, was Paranoiker und Esoteriker begeistert,
verwundert nicht. Die paranoide Vorstellung, dass nichts ist, was es scheint,
lebt gerade von den gefälschten oder unscharfen „Beweisen“ angeblicher
übernatürlicher Aktivitäten – sei es nun die Teufelsfratze, die
in Fotografien der Rauchschwaden über den Twin Towers am 11. September
zu sehen ist, die Schnappschüsse des toten Michael Jackson, der in seiner
Neverland-Villa wandelt oder überbelichtete Bilder von Geistern. Der an
Phantasie schwache Geist benötigt „Beweise“ gleich einem Talisman, egal
wie offensichtlich falsch sie sind. Was für den Spiritismus der Jahrhundertwende
die Fotografie war, erfüllt heute für das mit dem Okkulten beschäftigte
Kino die Digitalkamera – als unmittelbarer Signifikant von Realismus und Authentizität.
Warum also sollte man sich einen weiteren Film ansehen, der sich dieser Stilmittel
bedient und obendrein offenbar an William Friedkins reaktionärem Über-Horrorfilm
„The Exorcist“ angelehnt ist? Ganz einfach, weil „Der letzte Exorzismus“
ein überraschend effektiver, mit reichlich schwarzem Humor versehener kleiner
Genrebastard ist, der eher an die Traditionen des sleazig-trashigen 70er-Jahre-Kinos
anschließt als an allzu prätentiöses Bekehrungskino à
la Friedkin. In seiner Konsequenz erinnert Daniel Stamms Film dabei an Ti Wests
ausgezeichnetem Retro-Horror „The House of the Devil“ (2009). Und im Gegensatz
zu seinen ebenfalls nach Hollywood ausgewanderten Kollegen Marcus Nispel und
Christian Alvart gelingt es dem in Hamburg geborenen Stamm, trotz – nicht aufgrund
– des falschen dokumentarischen Gestus so etwas wie eine höhere Glaubwürdigkeit
zu erzeugen. Das liegt vor allem an den ausgezeichneten Schauspielern, dem authentischen
Südstaatensetting und daran, dass der Film sehr geschickt schon im ersten
Akt innerdiegetisch seinen eigenen „Fake“-Charakter thematisiert, wenn der vermeintliche
Exorzist sich mit entwaffnender Offenheit als begabter Scharlatan outet. Auch
das geringe Budget – „Der letzte Exorzismus“ hat gerade einmal 1,8 Millionen
Dollar gekostet, aber allein in den USA bereits über 40 Millionen eingespielt
– trug zu einer dramaturgischen Begrenzung aufs Nötigste bei, was dem Film
sehr zu Gute kommt.
Wer also nach dem eher lauen Horrorsommer und vor dem Start von Alexandre Ajas
grotesk-großartiger 3D-Schlachtplatte „Piranha 3D“ Lust
auf ein gelungenes Genrestück hat, der sollte Daniel Stamms veritablem
Terrorfilm eine Chance geben. Im Idealfall allerdings in der englischen Originalfassung.
Der eingedeutschte Trailer lässt in Bezug auf die Synchronisation leider
Schlimmstes vermuten. Und wie erklärt schon der falsche Exorzist dem Filmteam
in „Der letzte Exorzismus“: Der Sound ist immens wichtig für das Gelingen
einer guten Show.
Harald Steinwender
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: www.filmgazette.de
Der
letzte Exorzismus
OT: The Last Exorcism
USA/ Frankreich 2010 - 87 min.
Regie: Daniel Stamm - Drehbuch: Huck Botko, Andrew Gurland - Produktion: Marc Abraham, Thomas A. Bliss, Eric Newman, Eli Roth
- Kamera: Zoltan Honti - Schnitt: Daniel Stamm - Musik: Nathan Barr - Verleih: Kinowelt - Altersfreigabe: ab 16 Jahre - Besetzung: Patrick Fabian, Iris Bahr, Louis Herthum, Ashley Bell,
Jamie Alyson Caudle, Tony Bentley, Shanna Forrestall, Allen Boudreaux, Caleb
Landry Jones, Denise Lee, Becky Fly, Logan Craig Reid u.a.
Kinostart (D): 30.09.2010
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