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Die Liebe der Kinder
Allzu baumhafter Vater
Ein sehr schönes Patchwork-Familien-Konflikt-Parallelogramm
gelingt Franz Müller mit seiner Doppeldramödie "Die Liebe der Kinder".
Ein Auto von links auf der Autobahn, eines von rechts,
auf einem Parkplatz treffen sie sich. Ein Mann im einen, im anderen eine Frau. Sie sitzen am Tisch des Autobahnrestaurants und
man begreift, sie haben sich online kennengelernt und sehen einander nun zum
ersten Mal wirklich. Sie taxieren sich und wir taxieren sie. Finden sie etwas
aneinander? Wird was draus? Kann das gutgehen? Sie gehen miteinander ins Motelbett, auf der Raststätte noch, aber sie stehen, ohne ihre Kleider
abzulegen, sofort wieder auf. Sie: arbeitet in der Bibliothek und sucht einen
Vertrag für ein Buch über den Evolutionstheoretiker Alfred Russell
Wallace, der ihrer Ansicht nach zu sehr im Schatten Charles Darwins steht.
Er: fällt Bäume. Sie hat eine Tochter, er einen Sohn, beide fast erwachsen.
Sie hat eine Wohnung mit Büchern in Köln, er ein Haus in Leverkusen
mit Garten. Sie suchte in der Anzeige, erfährt man später, einen einfachen
Mann. Er bekommt im Tausch eine komplizierte Frau.
Dennn er bekommt sie. Sie bekommt ihn. Sie bekommen sich.
Er bedrängt sie, sie lässt sich gerne bedrängen. Er fällt,
freundlich aufdringlich, gerne mit der Tür ins Haus, weil er kein Mann
des gesprochenen Worts ist. (Karaoke Singen aber tut er.) Sie zeigt sich von
diesem Mann, der etwas Verwurzeltes hat wie ein Baum (kein großer, mächtiger
Baum), offensichtlich charmiert. Er tut, während sie redet. Wenn sie später
was vorliest (Vonnegut), schläft er ein, wacht auf und entschuldigt sich.
Da ist man dann schon, bald, allzu bald vielleicht, zusammengezogen, nach Leverkusen,
ins Haus. Ein Mismatch, aus dem etwas werden kann. Ohne etwas zu übereilen,
erzählt Franz Müller zügig. Die einzelnen Szenen, Fragmente der
Art, die Stücke eines größeren Zusammenhangs jeweils andeuten,
sind so prägnant wie präzise. Schlaglichtartig werden jeweils entweder
neue Seiten der Personen erhellt oder bekannte deutlicher sichtbar. In Ellipsen
erfährt man oft mehr als in dem, was man sieht. Und Rätsel bleiben.
Auf Auserklärung verzichtet der Film. Man kann frei in ihm atmen.
Maren (Marie-Lou Sellem) und
Roland (Alex Brendemühl) sind fraglos als Typen entworfen und sehen, jeder für
sich und erst recht im Kontrast, auf den ersten Blick nach Klischees aus. Franz
Müller legt es ganz darauf an, über diesen ersten Blick weit hinauszugehen.
Wunderbar ist es anzusehen, wie er seine tollen Darsteller führt. Brendemühl ist erst einmal eine Front und man weiß nicht
so genau, was dahinter vorgeht. Er hat etwas Stockendes und etwas Stockiges, sehr schön herausgearbeitet ist die Art, wie er herumsteht
und bedächtig scheint und mit der Sprache erst herausrückt, wenn er
über das, was zu sagen ist, auch nachgedacht hat. Manchmal rückt er
allerdings nicht heraus mit der Sprache. Dabei ist er nicht grob, sondern recht
einfühlsam. Übrigens ist ihm Hausmusik nicht fremd. Man staunt, wenn
man ihn da mit dem Sohn musizieren sieht. Mit voller Absicht treibt Franz Müller
dem Film Szenen wie diese, die nicht passen wollen, wie Splitter unter die Haut.
Es sind diese Splitter, die es unmöglich machen, eine der Figuren für
sich beim Zuschauen ein- für allemal abzuhaken.
An Maren ist rätselhaft, warum es sie überhaupt
hinzieht zu Roland, man hört nicht zu fragen auf, was sie sich bei all
dem gedacht hat. Ein wenig scheint ihr der eigene Impetus unbegreiflich. Man
sieht aber auch, wie sie charmiert ist von Roland, der nicht einfach aufgibt.
Der Sex ist übrigens gut, auch und gerade von hinten. Roland ist als Partner
durchaus um Verständnis bemüht. Die "Einfachheit" ist ohnehin
eher Marens Projektion. Es ist aber eine ihm sehr fremde Welt der Gedanken,
Gefühle und gesellschaftlichen Konventionen, in der sich Maren bewegt.
Er weiß das und beobachtet das. Sie ist die ignorantere, besitzt die Arroganz
der Angehörigen der höheren Schicht, die gern davon ausgehen, dass
andere Sitten und weniger elaborierte Codes einfach defizitär sind. Für
seinen Karaoke-Auftritt schämt sie sich. Dart spielen
im Irish Pub will sie nicht. "Die Liebe der Kinder"
ist nicht zuletzt eine Schichtendramödie, und zwar eine, die mit spürbar mehr Sympathie
auf den Baumfäller-Mann als auf die Intellektuellen-Frau blickt. (Vom Verleger,
der um Marens Gunst mit Roland zu konkurrieren beginnt, ganz zu schweigen.)
Der eigentliche Clou des Films ist ein Spiegeleffekt.
Einmal macht Maren, die Kamera blickt dazu von ziemlich weit hinten im Flur,
eine Tür auf im nunmehr gemeinsamen Haus und es liegen dahinter ihre Tochter
Mira und Rolands Sohn Daniel nicht direkt in Brüderchen-Schwesterchen-Manier
miteinander im Bett. Einerseits verdoppelt sich von diesem Punkt an der Schichtenkonflikt.
Mira ist oder gibt sich politisch, ökologisch sehr engagiert mit dem Eifer
der Jugend. Bei Daniel, der sichtlich in sie verliebt ist, weiß man nicht
so genau. Die Jungen werden zu Konkurrenten in der Liebe, aber auch zum Konfliktkatalysator
für die Erwachsenen. Die wiederum zeigen sehr schnell, dass sie wissen,
wie man Vorwürfe über Bande spielt und auch, wie man Wasser predigt
und Wein trinkt. Bequem ist das für den Zuschauer alles nicht, die Konstellation
nicht, das sich hierhin und dorthin verschiebene
Patchworkfamilienkonfliktparallelogramm ist es nicht, nichts daran lädt die Identifikationslust
ein, sich dauerhaft bei Vater, Sohn, Mutter oder Tochter niederzulassen. Mira
ist nicht weniger enervierend als ihre Mutter, aber fraglos haben sie beide
was. Daniel schweigt wie sein manchmal allzu baumhafter
Vater, aber im Grunde sind sie schon sehr in Ordnung.
Die Haltung des Films zu seinen Figuren ist interessant.
Höchstens der Verleger wird als Eindringling, zu dem Maren sich hingezogen
fühlt, etwas zu oberflächlich abgefertigt. (Aber schon sehr schön:
Pilzesuchen mit einem Banausen.) Zur Genauigkeit der Beobachtung
gehören sehr spannende Formen von Distanz: das Fragmentarische, die Art,
in der Franz Müller seine Figuren immer wieder wie in Gedanken- und Handlungswelten
abseits seines Films zu entlassen scheint. Sie kommen dann oft als etwas andere
wieder. Das ist mutig: Buch und Regie trauen den Figuren so sehr, dass sie ihnen
zutrauen, sich auch abseits des Blicks, der auf sie fällt, zu bewegen und
zu entwickeln. Und Pausen sind wichtig. Die Musik, die man vielleicht am ehesten
als tragikomisch beschreibt, kommentiert durchaus, und zwar sehr gerne auch
während der regelmäßig wiederkehrenden Zwischenräume, in
denen die Figuren ganz aus dem Bild gerückt sind. Mal subtil ozuhaft, mal absichtlich faustdick (zwei erwachsene weiße Schwäne
mit zwei noch ein bisschen grauen Jungschwänen) schiebt Müller menschenlose
Stillleben wie einen kurzen entre’acte in den Fortgang hinein. Man spürt die Hand des
Erzählers hier als leise Berührung. Das ist sehr angenehm.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Die Liebe der Kinder
Deutschland 2009 - Regie: Franz Müller - Darsteller:
Marie-Lou Sellem, Alex Brendemühl, Katharina
Derr, Tim Hoffmann, Michael Sideris, Katharina Linder, Jürgen Rißmann,
Nicole Heesters, Klaus Manchen - FSK: ab 12 - Länge: 86 min. - Start: 26.8.2010
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