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The
Limits of Control
Unsichtbare
Tinte
Jim Jarmusch hat mit "The Limits
of Control" in Spanien einen an Wiederholungen reichen Film gedreht, der
einem vor den Augen zerfällt.
Ein Flughafen. Drei Männer in einer
Sitzgruppe. Ein schöner schwarzer Mann (Isaach de Bankolé) und ein
anderer schöner schwarzer Mann (Alex Descas) und ein nicht sehr schöner,
älterer weißer Mann (Jean-Francois Stevenin) im Gespräch. Namen
tragen sie nicht und sie erhalten auch keine mehr für den Rest dieses Films,
aus dem der eine schwarze Mann und der weiße nach diesem Beginn auch wieder
verschwinden. Sie sagen Sätze, die nicht unmittelbar Sinn ergeben. Sätze,
die wiederkehren werden, später. Sätze wie: "Wer glaubt, er sei
größer als die anderen, muss auf den Friedhof gehen." Am Ende
wird insbesondere dieser Satz erfüllt werden wie eine Prophezeiung. Das
merkt man ihm, hier zu Beginn und im Laufe des Films, in dem er noch öfter
fällt, freilich nicht an.
Ein Platz in Madrid. Der schöne schwarze
Mann (Isaach de Bankolé) bestellt Espresso, zwei Tassen, auf Englisch.
Der Kellner, der kein Englisch versteht, bringt eine Tasse, wird angeschnauzt,
bringt zwei Tassen. Wir sind jetzt schon etwas weiter im Film. Der schöne
schwarze Mann in seinem blauen Anzug betrachtet den Platz in Madrid, auf dem
wenig passiert. Dann aber kommt Tilda Swinton namenlos um die Ecke, mit weißblondem
Haar. Sie wechselt mit dem Mann am Tisch wenige Worte, sie tauschen Streichholzschachteln
aus. Den Zettel, den der Mann darin findet, liest und verschluckt er. Öfter
noch wird er auf dem Platz sitzen, in Madrid. Öfter noch wird er Streichholzschachteln
tauschen und Zettel lesen und verschlucken. Er wird in seine Wohnung gehen,
die sich in einem architektonisch eigenwilligen Gebäude befindet. In der
Wohnung trifft er auf eine Frau (Paz de la Huerta), die sich immer auszieht
für ihn, die immer mit ihm schlafen will. Er aber will das nicht. Einsilbig
antwortet er auf ihre Fragen, angezogen liegt er neben ihr im Bett.
Jim Jarmuschs jüngster Film "The
Limits of Control" ist kein über eine stringente Handlung organisiertes
Erzählwerk, sondern eine Reihenschaltung von Momenten und Auftritten, die
nur über ein kleines Ding, nicht mal ein Symbol (Streichholzschachtel),
und einen schönen Mann, der fast nichts sagt, miteinander in Beziehung
stehen. In losester Beziehung stehen, in eine
Beziehung gesetzt werden wie in ein Bild, das über die Welt, die es zeigt,
kaum mehr zu sagen hat als der meist schweigende Mann in seinem Zentrum. Der
Mann, der schweigt, die Streichholzschachteln, die die Hände wechseln,
die bedeutungsvoll klingenden Sätze, die sich mit leichten Variationen
wiederholen: lose ist die Struktur dieses Films, so lose, dass er vor unseren
Augen zerfällt, zerfließt, zergeht, aber das alles auf ganz undramatische,
statische, unbewegliche Weise.
Was zergeht, in den Bildern als Zergehendes
zu erfassen: das wäre der Job des Kameramanns. Engagiert hat Jarmusch zu
seinem Unglück den maßlos überschätzten Christopher Doyle,
der bekannt wurde für seine Arbeit mit Wong Kar-Wei. Doyles Aufnahmen ist
hier, wie eigentlich immer, nicht das Interesse an dem, was vor der Kamera ist,
sondern nur der Wille zum Dekorativen anzusehen. So schön wie leer sind
diese Bilder. Weil sie die Räume (Häuser, Plätze, Straßen)
und Dinge und Menschen immer nur fassen und rahmen und pittoresk in die Gegend
stellen wollen, atmet in ihnen nichts. Sie haben nicht die Geduld, die Welt
sein zu lassen, wie sie ist. Sie interessieren sich nicht für die Luft
und das Sosein der Gegenstände und nicht für die Zeit, die vergeht.
Sie sind nicht offen, nicht neugierig, sie nehmen nichts in sich auf, sie suchen
nichts, sie sind nur gesucht; alles, was dieser Kamera in den Blick gerät,
erstarrt.
Starr ist, wird, bleibt dieser Film. In
jede seiner spannungslosen Einstellungen ist die Ahnung eines Thriller-Moments
wie mit unsichtbarer Tinte geschrieben. Jarmuschs Idee ist es wohl, dass diese
Tinte ganz am Ende, das ein Thriller-Ende ist und politisch tut, nach Art einer
Offenbarung sichtbar wird. Nichts aber wird offenbar. Nichts wird gerettet.
Nichts erhält nun retrospektiv seinen Sinn. Vielmehr zerfällt dadurch
das Ganze ein weiteres Mal. Der Schluss ist die Antwort auf eine Frage, die
der Film bis dahin nicht stellt. So stützen die Teile einander nicht, sondern
stürzen und fallen ins Leere. Ohne Geräusch, ohne Bewegung. "The
Limits of Control" ist ein den Räumen, die er nicht begreift, der
Zeit, die in ihm nicht vergeht, aufgenötigter Film. Ein künstlerischer
Gewaltakt, der allen Sinn, alle Sehlust, die ganze spanische Wirklichkeit und,
was das Schlimmste ist, den neugierigen Blick, dem er sich so ostentativ darbietet,
zuletzt einfach schluckt.
Ekkehard Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen am 27.05.2009 im: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
The
Limits of Control
USA
2009. R, B: Jim Jarmusch. P: Stacey Smith, Gretchen McGowan. K: Christopher
Doyle. Sch: Jay Rabinowitz. M: Boris. A: Eugenio Caballero. Pg: PointBlank/Focus
Features/Entertainment Farm. V: Tobis. L: 116 Min. FSK: 12, ff. Da: Isaach de
Bankolé, Bill Murray, Tilda Swinton, John Hurt, Gael García Bernal,
Alex Descas, Luis Tosar, Paz de la Huerta, Hiam Abbass.
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