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Live
aus
Reden
ist Gold
Erinnert sich noch jemand an den »anderen«
Irakkrieg im Jahr 1991, als der »andere« George Bush Kuwait befreite,
aber den Irak trotz massiver Bombardierung Saddam Hussein überließ?
Die Auseinandersetzung war damals in seliger Unkenntnis der Region als »Golfkrieg«
hochgeschaukelt worden und wurde inzwischen als »Zweiter Golfkrieg«
historisch relativiert zu nur einem von einer ganzen Reihe teils jahrzehntelanger
Konflikte in Vorderasien. Was uns zu der Frage führt: Was könnte veralteter
sein als ein Film über den Irakkrieg 1991?
Sicher, Live
aus Bagdad ist kein Film,
der neue Erkenntnisse über die derzeitigen Dilemmata der Demokratisierung
eines explosiven multi-ethnischen Zweistromlandes bieten könnte. Wie die
meisten US-Produktionen zu einem internationalen Thema erzählt er mehr
über die aktuelle amerikanische Außensicht als den eigentlichen Gegenstand.
Was Mick Jacksons TV-Film den aktuelleren Produktionen voraus hat, ist schlichte
Qualität.
Regisseur Mick Jackson, der nach seinen
Erfolgen in den frühen 90ern mit überraschend guten (L.A.
Story) wie überraschend
schlechten Filmen (Bodyguard) zum gepflegten TV-Serienregisseur abstieg,
liefert mit dieser Journalisten-Saga noch ein letztes Mal eine Demonstration
seines Könnens. Dass dabei weder die Titelfigur Robert Wiener, der das
Drehbuch höchstselbst schrieb, noch sein Sender CNN, der als Schwestergesellschaft
von HBO durchaus an der Produktion beteiligt war, über die Maßen
verherrlicht werden, ist in erster Linie dem klugen, nüchternen Design
zu verdanken. Als eine der frühen HBO-Spielfilmproduktionen weist Live aus Bagdad
bereits jenen Stil auf, der später mit Serien wie Sopranos und Deadwood, aber auch mit Fernsehfilmen wie Angels
in America eine ganze
Fernsehgeneration prägte: visuelle Sorgfalt, ebenso ambivalente wie schonungslose
Drehbücher, dazu Besetzung und Regie auf gehobenem Kinofilm-Niveau.
In diesem Fall darf man das dezente, aber
sehr aufmerksame Spiel des zu Unrecht fast in Vergessenheit geratenen Michael
Keaton mal wieder in einer Hauptrolle bewundern. Mit Helena Bonham Carters saufender,
fluchender und auch ansonsten einfach hinreißender Produzentin Ingrid
Formanek verbindet ihn zudem eine der schönsten Mann-Frau-Kumpelfreundschaften,
die je über die Flimmerkiste liefen (»Haben wir eigentlich mal...?« – »Nein.« – »Echt nicht?«
– »Nein!« – »Und beinahe?« – »Ach beinahe, klar,
zwei- oder dreimal...«). Überhaupt Helena Bonham Carter: Ihr Schaulaufen
in diesem Film grenzt ans Obszöne. Natürlich wurden ihr auch vom Drehbuch
einige unvergessliche Szenen mitgegeben, wenn sie etwa beim Duty-Free-Shopping
mit einem Einkaufswagen voller Wodkaflaschen in die Geschichte eingeführt
wird oder angesichts einer überraschenden Erkenntnis in einem Hotelzimmer
voller irakischer Sicherheitsleute die Hand vor den Kopf schlägt und den
unsterblichen Ausruf prägt: »Ja fick mich mit dem heißen Prügel!«
Aber auch abseits solcher Dialogperlen ist die Schauspielerin, die mit schwarzbemalten
Augen und Gothic-Frisur durch diese Moralfabel für Journalisten wankt,
in jedem Moment sehenswert.
Ohne mit der Wimper zu zucken, zeigt der
Film neben allem journalistischen Ethos auch die Arroganz eines zynischen Journalisten,
der sich längst keine Illusionen mehr über seinen Platz in der Welt
macht – und der sich eben nicht aus edlen Motiven in Lebensgefahr begibt, sondern
einzig auf der Suche nach Ruhm. Auch die moralischen Fallen, die zwischen einer
radikalen Zensur, dem Nachgeben vor diktatorischer Propaganda und dem zusätzlich
tobenden Konkurrenzstreit der Nachrichtensender lauern, werden keineswegs ausgespart.
Und Live aus Bagdad gelingt es sogar, diese irrationale Abenteuersuche
nachvollziehbar erscheinen zu lassen: Das schwitzende, paranoide, triumphale
Glücksgefühl, stundenlang den nächtlichen Bombenhagel vor dem
Hotelzimmerfenster wie ein ultimatives Sportereignis zu kommentieren, überträgt
sich tatsächlich auf den Zuschauer.
Lernen wir etwas daraus? Vielleicht nicht.
Die CNN-Journalisten sind, so absurd das klingen mag, keine Menschen der großen
Worte – ihre Ideale sind Pragmatismus und unendliche Geduld. Und wenn einer
wie Robert Wiener sich dann doch einmal zu einem politischen Statement hinreißen
lässt, klingt es nüchtern und traurig: »Wir dürfen nicht
aufhören zu reden, selbst wenn wir kein Wort vom anderen verstehen. Aber
so lange wir reden, werfen wir keine Bomben.«
Er hat längst begriffen, dass Zuhören eine Utopie wäre. Die Geschichte
hat gezeigt, dass selbst das Reden zuviel verlangt war.
Daniel Bickermann
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