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LOL
(Laughing Out Loud)
Entwarnung
an der Erziehungsfront
Was
man beim Sehen dieses Films im Hinterkopf behalten sollte: die Musik von Phoenix,
Justice, Camille, Benjamin Biolay, Sebastien Tellier, Daft Punk, Air – die relevante
und innovative Popmusik der letzten zehn Jahre kommt nämlich aus Frankreich.
Die Franzosen registrieren so etwas. Und nicht grundlos mit gehörigem Stolz.
Wenn jetzt die Filmemacherin Lisa Azuelos mit „Lol (Laughing Out Loud)“ einen
Film über eine jugendliche Clique in Paris dreht, dann schöpft sie
gewissermaßen aus dem Vollen einer selbstbewussten französischen
Popkultur. Dass ihr Film einen Tunnelblick hat und nur unter den Schönen
und Reichen der Seine-Metropole spielt, wo der Vater eben ein Minister ist und
die Mutter eine erfolgreiche Architektin, das i-phone zur Grundausstattung gehört
wie das i-book, die Designer-Lederjacke zur Designer-Jeans zur Hip-Frisur, wo
man brennende Vorstädte nur von google.news kennt, ist schon fast der einzige
Schönheitsfehler eines doch sommerlich turbulenten Films, der sogar ein
historisch bedeutsames Vorbild vorzuweisen hat: „La Boum – Die Fete“. 1980 von
Claude Pinoteau gedreht, machte dieser sensibel beobachtete Unterhaltungsfilm
seinerzeit die junge Sophie Marceau zum Idol einer Generation. Fast 30 Jahre
später spielt Marceau nun in „Lol“ Anne, die geschiedene Mutter der pubertierenden
Lola (Christa Theret), genannt Lol.
Viel
hat sich geändert in diesen 30 Jahren, die Schulklassen sind selbst in
den Eliteschulen multikultureller geworden, die Kommunikation zwischen den Jugendlichen
hat sich extrem beschleunigt und virtualisiert. Aber einige Dinge haben sich
eben auch nicht sonderlich verändert: als Lola nach den Sommerferien wieder
in die Schule kommt und dort ihre Clique trifft, ist die Stimmung bestens. Nur
Lolas Freund Arthur (Félix Moati) vermiest die Wiedersehensfreude, hat
er doch in den Ferien mit einem anderen Mädchen geschlafen. Lola kontert
spontan, nicht ahnend, wie viel Kummer ihr dies Geständnis noch bereiten
wird: auch sie habe sich vergnügt. Jetzt kommt Maël (Jérémy
Kapone) ins Spiel, der Lola sehr mag, aber zugleich auch Arthurs bester Freund.
Man ahnt schnell: Schule und Schulnoten werden in den nächsten Wochen bestimmt
nicht im Mittelpunkt des Interesses stehen.
Liza
Azuelos will vom Erwachsenwerden unter den Bedingungen der modernen Mediengesellschaft
und unter der Verantwortung von Eltern, die sich ihrerseits mit Beziehungsproblemen
herumschlagen, Scheidungen hinter sich haben, sich linksliberal und stilbewusst
geben und gerne mal einen Joint rauchen, aber es trotzdem nicht witzig finden,
wenn sich die eigenen Töchter untenrum auf »Porno-Style« trimmen.
Dass der Zugriff auf die Internet-Pornografie die Sexualität der Jugendlichen
prägt, ist so ein Feuilleton-Thema fürs Sommerloch. Geschenkt, der
Film bastelt sich daraus ein, zwei, allerdings originelle und recht derbe Gags.
Dass die Kommunikation per SMS die (Jugend-)Sprache verändert – ein Hobby
von Soziolinguisten -, signalisiert der Film gleich im Titel: „Lol“ ist eben
nicht nur eine Abkürzung für Lola, sondern auch für „Laughing
out loud“. Aber fungiert die Kürzelsprache wirklich als Mauer zwischen
den Generationen, wie Azuelos in Interviews behauptet hat? Immerhin: ihr Film
reißt diese Mauer nieder, sucht eher Verbindendes als Trennendes, verteilt
die Konflikte sehr gerecht zwischen den Jugendlichen und den Erwachsenen um
das Zentrum der Mutter-Tochter-Beziehung herum.
Vieles
mag sich – so eine explizite These des Films – in der Kommunikation und im Zeichenrepertoire
verändert haben, aber die Suche nach der romantischen Liebe ist immer noch
sehr up to date. Und auch die Jungs träumen immer noch davon, irgendwann
einmal mit ihrer coolen Band auf der Bühne zu rocken, selbst wenn es sich
dabei mittlerweile um einen staatlich geförderten Nachwuchswettbewerb handelt.
Und der verständnislose, stets auf Leistung pochende Vater wird dann doch
beim großen Auftritt im Saal dabei sein, mit Tränen in den Augen,
wenn er seinem Sohn auf der Bühne zusieht. Auf die in bürgerliche
Familienverhältnisse eingelagerte Sentimentalität kann man bauen.
Wenig
an „LOL“ ist letztlich neu, aber als sorgsam gearbeiteter Genrefilm verfügt
Azuelos sympathische Verbeugung vor der Gegenwart und der Vergangenheit durchaus
über Charme. Und wenn die jungen Franzosen schließlich auf eine abenteuerliche
Klassenfahrt nach England fahren, wo „es“ dann doch passieren soll, dann nimmt
der Film satirisch bis polemisch noch einmal Fahrt auf. Während alle Franzosen
so aussehen, als seien sie Mitglieder der angesagtesten New Yorker Band, gibt
es in England nur noch spleenige alte Menschen und Jugendliche mit Down-Syndrom.
Kein Wunder, dass von der Insel seit Jahren nur noch Musik kommt, die Sophie
Marceau noch aus ihrer eigenen Jugend erinnert. Man sieht also, frei nach Hegel:
der Weltgeist des Pop hat den Ärmelkanal erfolgreich überquert. Aber,
siehe oben: Die Working Class schafft keine Heroes mehr, die in Frankreich auch
nur einen Fuß an den Boden bekämen. Insofern ist „Lol“ auch ein weiterer
Abgesang auf traditionelle Formen der Popkultur.
Ulrich
Kriest
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: Stuttgarter Zeitung
LOL
(Laughing Out Loud)
Frankreich
2008 - Regie: Lisa Azuelos - Darsteller: Sophie Marceau, Christa Theret, Jocelyn
Quivrin, Alexandre Astier, Françoise Fabian, Jérémy Kapone,
Marion Chabassol, Lou Lesage, Émile Bertherat, Félix Moati, Louis
Sommer - FSK: ab 12 - Länge: 103 min. - Start: 27.8.2009
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