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LOS
James
Benning dreht Experimentalfilme und macht Kino. Auf den ersten Blick scheint
in diesem Satz ein Widerspruch zu liegen. Doch es gibt nur wenige zeitgenössische
Avantgarde-Filmmacher, die über die Jahre ähnlich nachdrücklich
an der Aufhebung dieser Dichotomie gearbeitet haben. (Ein anderer ist der Österreicher
Peter Kubelka.) Die Unterscheidung zwischen Experimentalkunst und den Formen
des klassischen Kinos wirft Fragen auf, die direkt ins Herz von Bennings Arbeiten
vorstoßen. Dabei würde niemand auf die Idee kommen, seine Filme an
den Kriterien des Kinofilms zu messen. Und dennoch eröffnet erst die kritische
Berücksichtigung klassischer filmischer Formen, denen der Filmmacher sich
auch in seinen persönlicheren Arbeiten nie verschlossen hat, einen Zugang
zu Bennings Werk. Es steht heute wie ein Solitär zwischen den Institutionen
Museum, Kinosaal und Kulturfernsehen - das die Extravaganzen Bennings zu einem
Großteil finanziert. Bennings filmischer Ansatz ist streng vom Material
her gedacht: dem Filmmaterial in seiner Plastizität (Körnung, Lichtempfindlichkeit,
Tonalität) und dem vorgefundenen, der Landschaft, die er mit dem Sucher
seiner Kamera "modelliert".
Dieser
Gestaltungswille kommt erst auf der Kinoleinwand zu voller Geltung. Bennings
Weigerung, seine Filme auf DVD zugänglich zu machen, ist dabei auch als
Skepsis gegenüber unseren modernen Sehgewohnheiten zu verstehen. Für
das Zappen (sei es durch DVD-Kapitel oder helle Ausstellungsflächen) sind
Bennings Filme zu rigoros konzipiert. In den offenen Räumen eines Museums
würden seine strukturalistisch beeinflussten Arbeiten unweigerlich einen
skulpturalen Charakter annehmen. Sein Material zielt nicht auf kurze, sensuale
Intensitäten ab, es muss in seiner umfassenden Tiefe und Dichte auch in
einem zeitlichen Zusammenhang erfahren werden. Also sperrt Benning den Betrachter
in einen dunklen Raum. Manchmal muss man eben die Menschen zu ihrem Glück
zwingen.
Die
inzwischen abgeschlossene Kalifornien-Trilogie
(1999-2001) ist ein Paradebeispiel für Bennings Arbeitsweise. Überzeugen
kann man sich davon nun anhand von "Los", dem Mittelstück des
Triptychons, das diese Woche recht unvermittelt und ganze neun Jahre nach seiner
Berlinale-Premiere erstmals regulär in den deutschen Kinos startet. Das
Schöne an Bennings Filmen ist jedoch aber, wie wenig die Zeit ihnen letztlich
anhaben kann - umso erstaunlicher, stellt Zeit immerhin seine wichtigste Arbeitsressource
dar. Alle drei Kalifornien-Filme sind nach demselben Prinzip strukturiert: Sie
bestehen aus 35 statischen 2 ½ -Minuten-Einstellungen, die sich kommentarlos
aneinanderreihen. Erst der Abspann gibt minimale Hintergrundinformationen preis.
Manchmal fügen sie dem Gesehenen eine neue Ebene hinzu, aber im Grunde
ist jede Sequenz autonom. Unvorbelastet sind die Bilder deswegen noch lange
nicht. Nach "El Valley Centro" über die Agrarlandschaften des
Great Central Valley befasst sich Benning in "Los" mit einem Mythos:
dem Großraum Los Angeles. Ein Ort, von dem sich jeder Betrachter schon
sein Bild gemacht hat. Benning selbst nimmt sich da nicht aus.
Benning
nähert sich seinem Wohnort Los Angeles mit dem skeptischen Blick des Kulturkritikers
Mike Davis, dessen Standardwerke "City of Quartz" und "Ökologie
der Angst" eine neue Topografie Südkaliforniens entwarfen. Kaum ein
Flecken Natur (ausgenommen vielleicht die niederländische Küstenregion)
ist in den vergangenen hundert Jahren auf ähnlich drastische Weise kultiviert
und urbanisiert worden. Benning zeigt ungerührt die Auswirkungen dieser
Entwicklung. Spuren, die der Mensch in der Landschaft hinterlassen hat: ein
Aquädukt, eine Raffinerie, Highways, ein Einkaufszentrum, die ewiggleichen
vorstädtischen Straßenzüge voller Billboards und Autohändler,
ein Müllplatz, ein Baseballstadion, ein Containerschiff, Lastwagen, Autos.
"Los" besitzt noch nicht den kontemplativen Charme seiner letzten
Filme über Himmel, Seen und Züge. Oftmals wirken die starken Lautstärkeschwankungen
zwischen den einzelnen Segmenten wie ein Schock, wenn Benning beispielsweise
von einem Bolzplatz zu einer stark befahrenen Kreuzung schneidet. Doch man kann
sich dem metrischen Groove seiner Montage nicht entziehen. Alle 2 ½ Minuten
ist Schluss, unwiderruflich.
Eine
weit verbreitete Ansicht über Bennings Filme lautet, dass in ihnen rein
gar nichts passiere. Auch dieses Vorurteil widerlegt "Los" mehr als
eindrucksvoll. Benning erweist sich mit seinen Miniaturen als ebenso versierter
Geschichtenerzähler wie ein Robert Altman. "Los" entfaltet ein
Panorama des städtischen Lebens, er funktioniert als Ensemblefilm im weitesten
Sinne. Jedes Segment fügt sich in die große Erzählung ein, bis
die inneren Zusammenhänge sichtbar werden. Man kann sich für Bennings
Geschichten keinen besseren Ort als das Kino wünschen.
Andreas
Busche
Dieser
Text ist (ähnlich) auch erschienen in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
LOS
USA
2000 - Regie: James Benning - Darsteller: Dokumentation - Länge: 90 min.
- Start: 15.10.2009
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