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Lucy
Scarlett Johansson löst sich von ihrem
Körper
In Luc Bessons Sci-Fi-Spektakel „Lucy" treibt Scarlett Johansson ihre Verwandlung
von der Männerfantasie zum körperlosen Star voran.
Der weiße Raum, in den die Titelheldin in Luc Bessons „Lucy“
zum großen Finale auf frappierende Weise hineinmetastasiert, symbolisiert
so etwas wie ein evolutionäres Moment. Das menschliche Bewusstsein verschmilzt
mit dem Universum und das Wissen von Milliarden von Jahren rauscht durch Lucys
expandierendes Gehirn. Selbst Besson, ein spektakulärer und mitunter auch
spekulativer Bildererzähler, muss vor der überwältigenden Menge
dieser Informationen kapitulieren: Problem bei der Datenübertragung. Overload.
Die Augenzeugen dieses ungeheuren Vorgangs – Männer in weißen
Kitteln, Wissenschaftler ganz offensichtlich, obwohl wissenschaftliche Logik
bei Besson gehörig auf den Kopf gestellt wird – stehen entsprechend ratlos
vor einem white screen, während vor dem inneren Auge der Heldin die Entstehung
des Universums im Rückwärtsgang abläuft. Spätestens ab diesem
Punkt entpuppt sich Lucy als feierliche Form des höheren Unsinns.
Terrence Malick ist für die Weltschöpfungs-Episode in „Tree of Life“
mit seinen moralischen Dinosauriern seinerzeit von der Kritik verspottet worden.
Der französische Pop-Art-Vulgarier Luc Besson trägt dafür Kitsch
und Ironie gleich doppelt und dreifach auf: Für einen Augenblick steht
Lucy ihrer äffischen Namensvetterin an einem Flussbett gegenüber,
drei Millionen Jahre vor unserer Zeitrechnung. Und schon geht es wieder ab,
weiter zurück in der Zeit, mitten hinein in einen fauchenden Materie-Sturm,
der einmal die Erde hervorbringen wird. Bessons steile These: Seine Heldin ist
mehr als nur teilnehmende Beobachterin dieses Naturschauspiels, ihr Bewusstsein
hat den irdischen Körper hinter sich gelassen. I Am Everywhere.
Scarlett Johansson spielt Lucy mit einer Hingabe an die Kinetik des Körpers
und des Kinobildes, die man bislang eher von den Ausdrucksformen des Camp
kannte. Hinter dieser Performance wird in zunehmendem Maße auch eine professionelle
Strategie erkennbar, die Johansson seit einigen Filmen verfolgt. Die Rolle Lucys
ist der Höhepunkt einer radikalen Neuerfindung. Johansson, deren überreife
Sinnlichkeit ihrem Spiel meist im Weg steht, bricht mit dem Image der leicht
blasiert wirkenden Männerfantasie. Spike Jonze’ „Her“ eignete sich
als erster Test für diesen Rollenwechsel: eine bestechende Beweisführung,
dass der Star auch ohne Körper nichts von seiner Strahlkraft einbüßt.
Samantha war ein kognitives Experiment am Zuschauer, der sich das Bild Johanssons
zur weiblichen Stimme des Betriebssystems imaginierte.
War „Her“ ein noch harmloser Selbstversuch, begab sich Johansson mit
ihrer Rolle in Jonathan Glazers Science Fiction-Mysterium „Under the Skin“ (der
nach einigem Hin und Her im Oktober lediglich auf DVD und BluRay erscheint)
auf ungesichertes Terrain. Sie spielt, möchte man eine kohärente Handlung
aus dem verrätselten Bilderbogen herauslesen, eine Außerirdische
auf der Suche nach einer menschlichen Form, für die sie eine Reihe potenzieller
Beischlafpartner opfert. Die Schöpfungssequenz ihrer extraterrestrischen
Lebensform ist eines Stanley Kubrick würdig. Die Abstraktion des Starkörpers
vollzieht Glazer mit einem Paarungsritual, das er – konträr zur Bewusstseinsfusion
Lucys – in einem tiefschwarzen Raum inszeniert. „Under the Skin“ handelt von
menschlichen Hüllen, derer sich am Ende auch Scarlett Johansson entledigt.
Darunter kommt ein konturloses Wesen zum Vorschein, eine Antiprojektion.
Mit ihrer Rolle in „Lucy“ tritt Johansson in das Stadium vollkommener
Zeichenhaftigkeit ein. Es ist ein gewagter schauspielerischer Move, beflügelt
von einem unerschrockenen Regisseur, dessen deliranten Fantasien jegliches Maß
fehlt. Lucy durchläuft Johanssons eigene Verwandlung gewissermaßen
im Schnelldurchlauf. Gerade mal 89 Minuten dauert Bessons Sci-Fi-Kintopp, er
rast in der Zeit einmal um die halbe Welt (von Taipeh bis Paris) und vollzieht
en passage halsbrecherische pseudo-philosophische Volten (mit Bezüge auf
Darwin, Einstein und L. Ron Hubbard). Nach fünf Minuten hat der Film seinen
ersten Toten, keine Viertelstunde später erwacht Lucy mit einem Beutel
einer synthetischen Superdroge im Magen. Sie ist mit vier weiteren Kurieren
dazu auserkoren worden, Drogen nach Europa zu transportieren. Als der Beutel
reißt und die blauen Kristalle (seit „Breaking Bad“ der letzte Schrei
auf dem Markt illegaler Substanzen) in ihre Blutbahn eindringen, beginnen Lucys
Synapsen Flipper zu spielen. Fortan beginnt ihre Gehirnkapazität im Fünf-Minuten-Takt
zu wachsen. Das erste, was eine junge Frau bei Besson lernt, ist natürlich,
wie man eine Waffe bedient.
Man könnte „Lucy“ als Antwort auf den jüngsten Boom von
Superheldenverfilmungen verstehen, gefiltert durch Bessons eigene Filmografie
von „Nikita“ bis „Das fünfte Element“. „Lucy“
von Besson her verstehen zu wollen, ist jedoch wenig ergiebig. Von der visuellen
Konsequenz seines Frühwerks ist der einstige Kult-Regisseur hier weit entfernt.
Vielmehr scheint Besson seinen Absturz in die Niederungen der Action-Routinen
zu persiflieren: mit durchschaubaren Spezialeffekten aus einer Zeit vor „The Matrix“ und
Versatzstücken aus den Motivationsseminaren des höheren Managements.
Allegorien aus der Tierwelt findet er jedenfalls reichlich.
Scarlett Johansson, die mit einer unantastbaren Selbstgewissheit durch den Film marschiert, wird man damit nur bedingt gerecht. Bessons irres, grandios hirnrissiges Spaßprojekt (auch ästhetisch auf unglaublich souveräne Weise ein Arte-Povera-Blockbuster) dient ihr lediglich als weitere Etappe zu dem Ziel, die eigene Star-Persona zu unterminieren. In einer der tollsten Szenen des Films beginnt sich Lucy auf einer Flugzeugtoilette in ihre Atome aufzulösen. Vorübergehend schafft eine Line der blauen Wunderkristalle Abhilfe, doch ihr Aggregatszustand bleibt hochgradig instabil. So löst „Lucy“ Scarlett Johanssons angestrebtes Ideal im Sinne des digitalen Post Cinema auf kongeniale Weise ein. Sie wird zum Star ohne Körper. Scarlett Johansson is everywhere.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Zeit Online
Lucy (2014)
(Lucy) - Frankreich 2014 - Produktionsfirma: EuropaCorp/TF 1 Films - Regie:
Luc Besson - Produktion: Virginie Besson-Silla: Buch: Luc Besson - Kamera: Thierry
Arbogast - Musik: Eric Serra - Schnitt: Julien Rey - Darsteller: Scarlett Johansson
(Lucy), Morgan Freeman (Prof. Norman), Amr Waked (Pierre Del Rio), Choi Min-sik
(Mr. Jang), Julian Rhind-Tutt (der Brite), Pilou Asbæk (Richard), Analeigh
Tipton (Caroline), Nicolas Phongpheth (Jii) - Start (D): 14.8.2014 - Länge:
89 Minuten - FSK: ab 12; f - Verleih: Universal
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