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Malevil
Die atomare Vernichtung braucht keine
Bilder der Zerstörung, auch keine insgeheime Koketterie mit der unbändigen
Kraft der totalen Vernichtung: Wenn sich im beschaulichen Naturidyll des französischen
Dorfes Malevil urplötzlich die Detonation ereignet, befinden sich die sieben
Protagonisten im Weinkeller des Bürgermeisters. Blitze flackern hinter
den Türritzen, die steigende Hitze lässt die Figuren sich fast zeitlupenartig
winden und das folgende Schweigen ersetzt jeden Schauer des Infernos. Der erste
Blick nach draußen fällt auf eine graue Steppe.
Im zeitgenössischen Kino ist die
Apokalypse wieder en vogue. Wir sind Zeuge ihres unmittelbaren Ausbruchs,
und nur selten stellt sich noch die Frage nach den Verantwortlichen: Es sind
die politischen Institutionen samt ihrer Exekutive, und im Regelfall fällt
deren Vorgehen derart rüde aus, dass an ein postapokalyptisches Leben ohnehin
nicht mehr zu denken ist. Auf das ausbrechende Chaos kann der Staat nur noch
als hoffnungslos ordnungsstiftender Chaot einwirken, bis er unter der Last zusammen
bricht (28
Weeks Later) und dem
Versuch einer gesellschaftlichen Reorganisation weicht, die meist ebenfalls
keinen langen Atem besitzt (Land
of the Dead). Die
Gegenwart scheint bereits marode genug, als dass sie noch auf irgendwas über
sich hinaus weisen könnte.
Im Kino der letzten Hitzeperiode des kalten
Krieges war der große Knall nicht selten bereits beschlossene Sache. Auch
in „Malevil“ gilt es nun vornehmlich zu klären, wie sich auf den Trümmern
zukünftig Zivilisation noch denken ließe. Dass diese Verhandlungen
vor allem schweigend stattfinden, sich in den Handlungen beweisen, weil scheinbar
niemand die Ursachen der Katastrophe kommunizieren möchte, verleiht dem
Film seine entrückte Stimmung, irgendwo pendelnd zwischen endgültiger
Resignation und stiller Hoffnung auf einen archaischen Neubeginn. Fast malerisch
fährt die Kamera das ausgetrocknete Flussbett ab, die verstummten Vogelgesänge
werden von den Figuren simuliert. Aber es bleibt bloß Spiel mit der Normalität
im Nirgendwo. Alle finden ihre Aufgaben, ohne dass es großen Austauschs
bedarf, autark versucht man sich in der Burgruine einzurichten, und es soll
auch tatsächlich gelingen, obgleich es der Intensität der Endzeitstimmung
keinen Abbruch beschert: Da scheinen die Bedeutungen von Gesten und Aussagen
längst als Relikt des vorherigen Lebens irgendwo unterm Aschehaufen zu
verkümmern oder wollen neu justiert werden. Aber die langen Einstellungen
der Gesichter zeugen von der Furcht vor der Ungewissheit, die nur durch kleine
Lichtblicke, wie einer sich langsam entfaltenden Liebe, erhellt wird.
Bis hier ist „Malevil“ eine bedrückende
Parabel des unabdingbaren Durchhaltewillens des Menschen gegen jede politische
Gewalt, schlimmstenfalls eben auch gegen die eigene Vernichtung. Mit dem Auftritt
einer zweiten Gruppe, die sich unter der Herrschaft des faschistoiden Führers
Fulbert in einem Zugtunnel eingerichtet hat, schlägt dieses Verfahren über
in einen Disput der politischen Selbstverständnisse, an dessen Ende der
blanke Verteilungskampf steht. An dieser Stelle gerät die flottierende
Stimmung des Films ins Wanken. Was zuerst, dank der surrealen Inszenierung der
vernichteten Welt als Raum und Abbild der Befindlichkeit der in ihr Überlebenden,
die undurchscheinbaren Motivationen der Figuren skizzierte und somit das Gefühl
der Ausweglosigkeit äußerlich wie innerlich erfasste, gerät
ein wenig zu einem Stellvertreterkrieg, aus dem jedoch nicht so recht ersichtlich
wird, weshalb er eigentlich geführt wird, scheint doch jeder vom Regime
Fulberts abgestoßen zu sein. Glücklicherweise verkommt dieser Konflikt
jedoch nicht zum sozialdarwinistischen Kommentar, sondern bleibt politisch motiviert.
Das gilt auch für den pessimistischen Schluss, in dem Helikopter jäh
in die langsam wieder gestaltbare Welt einbrechen. Das Gebiet wird evakuiert
und zur militärischen Experimentierzone erklärt. Aus ihren schockierten
Gesichtern ist abzulesen, dass den Überlebenden die Entscheidungsfähigkeit,
welche ungewisse Zukunft nun die aussichtsreichere sei, langsam abhanden gekommen
ist.
Sven Jachmann
Dieser Text ist zuerst erschienen bei fixpunkte und u.a. im: schnitt
Malevil
F/D
1981
Regie:
Christian de Chalonge
Darsteller:
Michesl Serrault, Jacques Dutronc, Hanns Zischler, Penelope Palmer u.a.
Länge:
115 Min.
Verleih:
AL!VE
FSK:
ab 12
Bonusmaterial:
Texttafeln, zwei Kurzdokumentarfilme über Atomtests, Hörbuch als ROM-PART
Sp:
Deutsch, Französisch. Bf: 1,77:1. Ex: Texttafeln, zwei Kurzdokumentarfilme
über Atomtests, Hörbuch als ROM-Part u.a.
DVD
ab 21.11.08
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