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Mammut
Lukas Moodysson hat etwas entdeckt.
Dass es in New York und auf den Philippinen Familien gibt. Dass es Globalisierung
gibt. Dass hier wie dort gearbeitet wird. Dass es ein Wohlstandsgefälle
gibt. Hier Überschuss, dort Mangel. Und dass es selbst im Mangel noch Unterschiede
zwischen wenig und ganz erbärmlich wenig gibt. Und dass oft Kinder die
Leidtragenden sind. Und dass das irgendwie alles miteinander zu tun hat. Muss
man nur die Familien aneinander legen. Dann sieht man das. Deshalb hat Lukas
Moodysson einen Film drüber gemacht.
Die Familie in New York lebt im Überfluss. Penthouse,
Kühlschrank kunterbunt randvoll (trotzdem Pizza bestellen), in den Regalen
Bücher (ungelesen?) und Platten, unanständig viel Raum zur Seite,
nach oben. Das Trimm-Dich-Gerät steht oben auf dem Dach. Mutter Ärztin,
leidet unter Schlafmangel, Vater, Computerspiele-Bastler und irgendwas mit Web
2.0, daher der Reichtum. Tochter? Bilderbuch-brav, Bilderbuch-Herz-aus-Gold,
neugierig auf die Welt, der Traum jedes Was-ist-was-Buchverlegers. Eine Welt
wie ein Kokon, abgeschirmt vor allem und jedem, nach innen wattig, aber doch irgendwie schnucklig-gut.
Angelpunkte: Das mütterliche Kindermädchen
(auch mit Herz-aus-Gold-Verdacht) von den Philippinen, für die Tochter
ein Ticket in eine Welt der Primärerfahrung, und die Geschäftsreise
des Vaters nach Thailand. Sie arbeitet hier - für Jahre, wie ihr Sohn in
der Heimat dem kleinen Bruder erklärt -, damit die Familie zu Hause sich
ein Haus bauen kann. Er, der er auch so irgendwie ein Herz aus Gold zu haben
scheint, fliegt nach Thailand, um etwas zu unterschreiben, was der Web2.0-Spielefirma
noch viel mehr Geld einbringen wird. Auf der Reise überreicht ihm sein
Berater einen obszönen Kugelschreiber: Mit Mammut-Elfenbein besetzt. 3.000
Dollar. Damit er den Vertrag gediegen unterschreiben kann.
Der Mammutfüller gibt dem
Film nicht nur seinen Namen, er dient auch als Stichwortgeber für manche
Philosophiererei auf Sparflamme, wie hier überhaupt sehr viel auf
Sparflamme gestellt ist, wenn's um Wesentliches geht. Die Sparflamme freilich
wird hinter viel Bohei versteckt, hinter Betroffenheitsgeheische
(Kinderprostitution ist schlimm), einer brutalen Melodramatik (tote, geschundene
Kinder gehen immer) und einer plumpen Eva-Herman'schen Schlussagitation
(Mutter, bleib bei deinem Kinde!), dass man Reißaus nehmen möchte
vor soviel simplen Postkartengrüßen aus der Welt des
zurecht gezimmerten Elends, in der am Ende jede Erbse wieder im eigenen Töpfchen
landet: Alle sind wieder im je eigenen Land. Wie gut, dass wir uns haben, besser
gewesen wär's, wir hätten nie rausgeschaut.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen, anlässlich der
Berlinale 2009 im: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Mammut
Schweden / Dänemark / Deutschland 2009 - Originaltitel:
Mammoth - Regie: Lukas Moodysson - Darsteller:
Gael García Bernal, Michelle Williams, Marife Necesito, Sophie Nyweide, Tom McCarthy, Jan
Nicdao, Run Srinikornchot, Perry Dizon - Länge: 125
min. - Start: 10.6.2010
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