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Man nannte es
den Großen Krieg
Bitteres Lachen: Mario Monicellis „La Grande Guerra“
In vieler Beziehung
weicht die Commedia
all’italiana
von anderen nationalspezifischen Varianten Europas ab. Stärker an die Wurzeln
des europäischen Stegreiftheaters zurückgehend, ist die italienische
Komödie oft vulgär und proletarisch, ihre Protagonisten amoralisch
und stereotypisiert, die Hauptfiguren bestenfalls Anti-Helden. Der schwarze
Humor und die absurde Spiegelung der Realität sind ihre Domäne. Mario
Monicelli hat in einem Interview einmal seine historischen Komödien wie
folgt charakterisiert: „All Italian comedy is dramatic. The
situation is always dramatic, often tragic, but it's treated in a humorous way.
But people die in it, there's no happy ending. That's just what people like
about it. It
deals with death, hunger, poverty, illness“. Der spezifisch „italienische“ Humor
dieser Filme gründet dabei in der Vermischung von Komik, Melodramatik,
Politik und Horror; alles vom riso
amaro,
dem bitteren Lachen, geeint. Mit ihrer Mischung aus Komik und Tragik wäre
die italienische Komödie gewiss aus Platons Ideal-Staat ausgewiesen worden,
für den der Philosoph doch die Reinheit der Kunst vorsah – wenn die italienische
Komödie eines
ist,
dann von erfrischender Unreinheit.
„Ho lasciato la mamma mia / l’ho lasciata per fare il soldà“ – „Ich habe
meine liebe Mama verlassen / ich verließ sie, um Soldat zu werden“. „La
Grande Guerra“ („Man nannte es den Großen Krieg“) eröffnet mit dieser
melancholischen Soldatenweise Nino Rotas, doch schon die Bilder stellen sich
dazu in boshaften Kontrast: Stiefel stapfen durch Schlamm, der Titel „der große
Krieg“, gemeint ist der Erste Weltkrieg, erscheint zum Blick in eine graue Eintopfsuppe,
eine dreckige Hand schneidet einen Laib Weißbrot, eine Feldflasche wird
aufgefüllt, Zigaretten gerollt, Postkarten beschriftet, ein Knopf angenäht,
dann abermals Stiefel, die bandagiert werden, um sogleich wieder durch den Schlamm
zu marschieren. Eintönigkeit, Entindividualisierung, Langeweile. Einmal
heißt es in diesem Film, der Krieg würde vor allem aus Warten bestehen;
dem Warten in durchnässter Kleidung auf die Essensration, die sowieso nie
kommt; auf die Heimat, die man unfreiwillig verlassen hat; auf das Kriegsende,
das man sowieso nicht erleben wird. Heldentum werden wir in diesem Film nicht
zu sehen bekommen. Und wenn die Protagonisten einmal – wohlgemerkt: aus Trotz
und Unwissenheit – ein militärisches Geheimnis bewahren, so müssen
sie es bitter bezahlen.
Die von Alberto
Sordi und Vittorio Gassman gespielten „Helden“, ein Römer und ein Mailänder,
sind vor allem fessi, Idioten, aber
ihr Drückebergertum erscheint in jedem Fall vernünftiger als falscher
Heroismus. Und es sind gerade ihre Kleinlichkeiten und unnützen Streitereien,
die sie menschlich und uns sympathisch machen. Umso grausamer wirkt es, wenn
Monicelli sie kurz vor dem Ende des Films nonchalant nacheinander in distanzierenden
Totalen von den Österreichern füsilieren lässt. Der Epilog ist
dann vielleicht wirklich zynisch: Ein ehemaliger Vorgesetzter sieht inmitten
des Schlachtens die Leichen der beiden: „Sogar diesmal kommen diese Faulenzer
einfach davon!“, so sein Kommentar. Die Kamera steigt in die Höhe, die
Soldatenmassen rennen weiter in den Tod. Fine. Der Effekt ist
niederschmetternd und auch dies unterscheidet Monicellis Filme zusammen mit
einigen anderen italienischen Komödien so stark von deutschen und amerikanischen
Vertretern des Genres: Außer den Italienern hat niemand die Frechheit
(bzw. den Mut), seine Komödie damit zu enden zu lassen, dass der Hauptprotagonist
mit einem Mord durchkommt (wie in „Divorzio all’italiana“ / „Scheidung auf Italienisch“,
1961), totgeprügelt wird (wie in Wertmüllers „Film d’amore e d’anarchia
…“ / „Liebe und Anarchie“, 1973), oder eben wie hier standrechtlich erschossen
wird.
Auch formal ist
Monicellis aufwändig produziertes Werk durchaus beeindruckend: Das Scope-Format
wird oft bis ganz an den äußersten Rand ausgenutzt, die Schwarzweiß-Fotografie
ist kontrastreich und immer wieder finden sich flüssige oder gänzlich
statische Plansequenzen (etwa die nach ca. einer Stunde im Film in der Notunterkunft).
Die Massenchoreografie ist so effektiv wie der Humor boshaft und gegen jede
Organisation gerichtet ist: Ein junger Soldat stirbt, weil er ein versiegeltes,
also vermeintlich wichtiges Schreiben durch die feindlichen Linien trägt
– tatsächlich sind es nur Weihnachtsgrüße der Offiziere untereinander.
Ein anderer übernimmt für wenige Lire jede Selbstmordmission, um Geld
für Frau und Kind zu sammeln. Er stirbt schließlich bei einem „normalen“
Einsatz; also umsonst. Wieder ein anderer
schwingt große Reden darüber, dass Arbeiter wie er an der Heimatfront
gebraucht werden würden – es stellt sich raus, dass er im Zivilleben Friseur
ist. Und grundsätzlich ist hier jeder, der sich in Monicellis absurd und
zugleich oft realistisch gezeichneter Kriegswelt an die Regeln hält, der
wahre Idiot. Mittendrin dann ein ausgesprochen poetischer Moment: Eine junge
Hure hat keine Lust mehr, von den Soldaten wie Dreck behandelt zu werden und
schmeißt ihren Beruf hin. Ein Soldat bekommt dies mit und macht ihr daraufhin
den Hof, ganz so, als ob sie eine echte Dame wäre. Beide spielen das Spiel
bis zu Ende und doch ist beiden klar, dass sie dem jeweils Anderen eine Rolle
vorspielen – und dass der das auch weiß. Nach der gemeinsamen Nacht stiehlt
sie ihm trotzdem das Portemonnaie. Später im Film treffen sie sich dann
wieder. Sie hält ihn mit einer Handgranate (!) in Schach, gibt ihm aber
schließlich seine Brieftasche wieder, da er darin ein Kinderbild aufbewahrt.
Sie nimmt an, es müsse das seines Sohns sein. Er: Das bin ich als Kind.
Sie: Welcher Idiot läuft mit seinem eigenen Kinderbild herum? Fesso!
„La Grande Guerra“ und Monicellis „L'armata Brancaleone“ („Branca Leone“, 1966)
nahmen in vieler Beziehung Trends vorweg; den absurden Humor in Richard Lesters
„Musketeers“ -Filmen (1973/74) und „Royal Flash“ (1975) ebenso wie Leones ahistorischen
Behandlung des amerikanischen Bürgerkrieges und der Mexikanischen Revolution
in „Il Buono, il Brutto, il Cattivo“ („Zwei glorreiche Halunken“, 1966) und
„Giù la Testa“ („Todesmelodie“, 1971), natürlich auch Monty Pythons
Genreparodien in den 70ern.
Harald Steinwender
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei: http://themroc-filmblog.blogspot.com/.
Man nannte es den Großen Krieg
LA GRANDE GUERRA
(F: „La Grande Guerre“, USA: „The Great War“),
Italien/Frankreich 1959
Regie: Mario Monicelli.
Buch: Agenore Incrocci und Furio Scarpelli [= "Age &
Scarpelli"], Luciano Vincenzoni, Mario Monicelli.
Musik: Nino Rota. Kamera: Leonida Barboni, Roberto Gerardi, Giuseppe Rotunno,
Giuseppe Serrandi. Schnitt: Adriana Novelli. Produktion: Dino De Laurentiis.
Darsteller: Alberto Sordi, Vittorio
Gassman, Silvana Mangano, Folco Lulli, Bernard Blier, Romolo Valli, Tiberio
Murgia u. a. S/W, CinemaScope.
Auf DVD in Frankreich und Italien erhältlich, jedoch
ohne deutsche oder englische Untertitel.
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