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Das
Massaker von Katyn
Zerbrochen
unter der schweren Last
Historische
Wahrheit ins Kino bringen - darum geht es dem polnischen Regisseur Andrzej Wajda
in "Das Massaker von Katyn". Dabei scheitert er mit seinem naiven
Realismus.
Die
"Wochenschau"-Bilder sind identisch, die Deutungen widersprechen sich
diametral. Kopfschuss von hinten: so töten die Sowjets, sagt die "Wochenschau"-Stimme
das eine, nein, so töten die Deutschen, das andere Mal. Unter Historikern
ist seit Jahrzehnten unbestritten, dass die Sowjets im Frühjahr 1940 in
Katyn das Massaker an über 10.000 polnischen Offizieren und Zivilisten
begingen. Die Nazis, denen eine solch bestialische Tat selbstredend ebenso zuzutrauen
gewesen wäre, haben das Massengrab 1943 entdeckt und die Untat in ihrer
Propaganda weidlich für sich zu nutzen versucht. Die offizielle Sowjetgeschichtsschreibung
hat die Schuld der eigenen Seite nicht anerkannt, bis Michail Gorbatschow sehr
spät, 1990 erst, für Glasnost sorgte. Wie so oft war Polen dabei kaum
mehr als der Spielball zwischen seinen beiden nicht zu Unrecht verhassten Nachbarn
im Westen und Osten. Katyn ist dafür das traurige Exempel: Für die
Polen, die da in mörderischer Seelenruhe geschlachtet wurden, interessierte
sich weder die eine noch die andere Seite.
Mit
seinem Film "Das Massaker von Katyn" verfolgt der polnische Meisterregisseur
Andrzej Wajda darum vor allem ein Ziel: Er möchte die historische Wahrheit
in Bilder fassen. Als Mahnmal zur Ehrung der Opfer - zu denen auch sein eigener
Vater gehörte - und zur Erinnerung für die Nachgeborenen. Die Unternehmung
ist auf den ersten Blick also aller Ehren wert - und, ebenfalls auf den ersten
Blick, hoch problematisch. Denn Wajda betritt mit seinem Film, ob er das nun
will oder nicht, das Feld der Erinnerungspolitik und setzt damit jede ästhetische
Entscheidung unter ganz besonderen Druck. Jedes Bild liegt auf der Goldwaage.
Jede Wahl, die er trifft, birgt Gefahren, von der Trivialisierung durch allzu
willige Anlehnung an Unterhaltungsstereotype bis zur unzulässigen Vereinfachung
oder gar Verfälschung historischer Tatsachen. Und ein Befreiungsschlag
durch kühn kontrafaktische Fantastik, wie er Quentin Tarantino mit seinen
"Inglourious Basterds" gelang, liegt einem Vertreter der Erzmoderne
wie Wajda denkbar fern.
So
wählt er für seine Elegie das realistische Register und damit die
naivste bildpolitische Variante. Und er scheitert, weil er einerseits den Bildern
zu wenig zutraut und andererseits der Narration zu viel aufbürdet. Jede
Figur nämlich, die er einführt, trägt so die Last, zugleich durch
die Mittel der Erzählung beglaubigtes Individuum und exemplarischer Charakter
im großen historischen Ganzen zu sein.
Darum
müssen wir uns nun mit der Frau eines in Katyn ums Leben gebrachten polnischen
Soldaten identifizieren. Darum gibt es den Professor, den die Nazis im Konzentrationslager
töten, darum gibt es die bösen Nazis und die bösen Russen (aber
auch einen halbwegs guten). Es gibt Kinderaugen, aus denen die Unschuld verschwindet;
es gibt einen opportunistischen Priester und es gibt, als Ambivalenzfigur, den
am Verrat leidenden polnischen Verräter, der sich eine Kugel in den Kopf
jagen muss.
Das
alles wird mit den Mittel des Historien-Fernsehfilms vor Augen gestellt, dazwischengestreute
historische Originalbilder inklusive. Den Massenszenen sieht man vor allem an,
das einiges Geld für Statisten und ihre Verkleidung ins Zeitgenössische
zur Verfügung stand. Die Kamera bewegt sich dazu auf dem Kran elegant.
Ein jeder agiert, wie es das ausgewogene Drehbuch befiehlt. Kein einziges Bild
sieht anders aus als tausende, die man schon sah. Einen Unterschied macht vor
allem die Musik: Schwere Zeichen setzt in dunklen Registern Krzysztof Penderecki
unter die Bilder, als protestierte er Ton für Ton gegen deren Gewöhnlichkeit
- und bleibt doch machtlos. (Womit nicht gesagt ist, dass ein Film, der für
die alles andere als klischeefreie Musik passende Bilder fände, ein besserer
Film wäre.)
Weil
er zuvor zu mutlos agiert, scheitert Andrzej Wajda auch mit seinem größten
Wagnis. "Das Massaker von Katyn" läuft zu auf Bilder des Massakers
selbst. Geisterhände blättern im Tagebuch des Protagonisten Andrzej
(Artur Zmijewski), dessen Bericht der Film bis zu diesem Punkt in einem Strang
der Erzählung folgt. Leer sind die letzten Seiten, vom Ereignis, das kein
Opfer mehr mit eigener Stimme bezeugen kann, künden nun nur noch die Bilder
des Films. Und tragen so noch einmal eine schwerere Last. Und brechen darunter
zusammen, spätestens in jenen Momenten, in denen Wajda glaubt, auch hier,
im Herzen der Finsternis selbst, noch Identifikation über Kamerasubjektiven
herstellen zu können. Es ist nicht gesagt, dass sich eine Untat wie diese
nicht in bewegten Bildern darstellen ließe. Man muss nur sagen: So geht
es nicht.
Ekkehard
Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Das
Massaker von Katyn
Polen 2007 - Originaltitel: Katyn - Regie: Andrzej Wajda - Darsteller: Maja Ostaszewska, Artur Zmijewski, Andrzej Chyra, Jan Englert, Danuta Stenka, Pawel Malaszynski, Magdalena Cielecka, Joachim Paul Assböck - FSK: ab 16 - Länge: 121 min. - Start: 17.9.2009
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