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Master of the Universe
Immer wieder nimmt in diesem von einer elegischen Pergolesi-Musik
untermalten Dokumentarfilm die Kamera Fassaden und Aufzüge ins Visier,
die sich die Karrierestockwerke einer Großbank hocharbeiten. Mal bleibt
der Betrachter abgehängt zurück, mal begleitet er einen geläuterten
Insider in die himmlische Schaltzentrale, die einst dessen Arbeitsplatz hätte
sein können. Das leere Gebäude wirkt mit den nicht abgehängten
Namensschildern wie ein geisterhaftes Schlachtfeld, das in Panik fluchtartig
verlassen wurde. Die Konkurrenz lauert draußen, in dem eng bebauten Frankfurter
Finanzzentrum, dicht an dicht, die Türme wachsen weiter um die Wette, die
verglasten Fenster simulieren trotzig eine Transparenz, an die kein Privatkunde
mehr glaubt. Offene Serverschränke zeugen in den weiten Großraumbüros
von einer Zeit, in der schwindelerregende Summen durch die Handelsnetze verschoben
wurden.
„Vor 20 Jahren betrug die Haltedauer einer Aktie im Durchschnitt vier Jahre.
Heute sind es 22 Sekunden. Den Sinn, eine Unternehmensbeteiligung für 22
Sekunden zu behalten – also das kann mir keiner erklären“, sagt der späte
Skeptiker Rainer Voss, der die Deregulierung des „kuscheligen Kapitalmarkt-Zoos“
in Deutschland seit Anfang der 1990er-Jahre selbst begeistert mitgetragen hat,
mit Anfang 50 aber trotz seiner einstigen Spitzenposition brutal, aber branchenüblich
entsorgt wurde. Sein distanzierender Blickwechsel will schon etwas heißen,
schließlich glänzen die Augen immer noch euphorisch, wenn er von
dem Glück erzählt, zur richtigen Zeit der richtige Spezialist gewesen
zu sein, der ihm damals im noch unbedarften Bewerberumfeld den Weg zum titelgebenden
„Master of the Universe“ ebnete.
Von der ersten Einstellung an hängt man gebannt an den Lippen
des ehemaligen Investmentbankers, einer Spezies, die nur selten Auskunft über
ihr Treiben in den modernen Kathedralen der Finanzmacht gibt. Klug vereinfachend
erklärt er die von außen nebulös erscheinenden Praktiken, die
vor fünf Jahren mit dem Einbruch der New Yorker Investmentbank Lehman Brothers
zur internationalen Krise führten. Wenn er nicht gerade eine allzu private
Antwort harsch verweigert, liefert der Ex-Broker das Psychogramm von Männern,
die ohne mit der Wimper zu zucken den eigenen Profit über die Konsequenzen
ihres Tuns auf ganze Staaten stellen. Was zählt, ist der Erfolg des eigenen
Geldinstituts, mag auch der Markt gerade nichts hergeben oder das verkaufte
Produkt Risiken beinhalten, die zwangsläufig zum Ruin des Käufers
führen, wie etwa die Zinswetten, mit denen Kommunen bewusst um ihren Einsatz
erleichtert wurden, oder die kaum nachvollziehbaren Gewinne, die bis heute mit
griechischen Aktien möglich sind.
Archivmaterial von der Verhaftung des französischen Börsenhändlers Jérôme Kerviel oder die im Rückblick erschreckend affirmative Fernsehberichterstattung aus der Frühzeit des Neuen Marktes spiegeln einen verlogenen Zeitgeist wider, der auch dem kleinen Anleger millionenschwere Gewinne suggerierte. Voss verheimlicht weder die menschenverachtenden Methoden, mit denen Top-Renditen erzielt werden, noch die Folgen für die eigene Psyche, die der eines infizierten Sektenmitglieds ähnelt.
Der Film ist eine erhellende Beinahe-Abrechnung mit einer sorglos am Rande der Kriminalität balancierenden Branche, garniert mit einer alarmierenden Botschaft: „Es dauert nicht mehr lange und das ganze Ding fliegt uns um die Ohren“, wenn die Regierungen weiter zögern, die schlimmsten Auswüchse zu regulieren, meint der Fachmann in Frührente zum Abschied. Er selbst habe den Überblick längst verloren, was für fast alle Mitspieler des zur Umkehr unfähigen Systems gelte. Weltherrscher, die nicht wissen, was sie tun, unterwegs in einem „Raumschiff Enterprise“, wie der dankbare Akteur dieser grandiosen Götterdämmerung das Gefühl der von jeder Realität abgehobenen Allmacht beschrieb. Ein Pflichtprogramm für jeden unverbesserlichen Börseneinsteiger.
Alexandra Wach
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Filmdienst 23/20133
Master of the Universe
Deutschland/Österreich 2013 - Produktionsfirma: Bauderfilm/Nikolaus Geyrhalter
Filmproduktion - Regie: Marc Bauder - Produktion: Marc Bauder, Nikolaus Geyrhalter,
Markus Glaser, Michael Kitzberger, Wolfgang Widerhofer - Buch: Marc Bauder -
Kamera: Börres Weiffenbach - Musik: Bernhard Fleischmann - Schnitt: Rune
Schweitzer, Hansjörg Weissbrich - Länge: 95 Minuten - Verleih: Arsenal
- Start (D): 7.11.2013
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