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Max Schmeling
Trash wäre schöner
Uwe Boll hat das Leben des Boxweltmeisters Max Schmeling
als nationales Feel-good-Movie verfilmt. In der Hauptrolle: Henry Maske.
Ach, uns Uwe! Eigentlich müssten gestandene Cineasten
und Cineastinnen einen Filmemacher wie Dr. Uwe Boll heiß und innig lieben.
Exploitation, Trash, Low Budget! Das, was am unteren Rand der Filmkultur
passiert, ist in aller Regel viel interessanter als die breite Mitte. Ist nicht
unfreiwilliger Humor immer noch besser als "gepflegte Unterhaltung"?
Können nicht Trash-Filme so viel mehr ästhetischen Eigensinn entwickeln
als Bestseller-Verfilmungen, Serientaten und Mainstream-Klamotten?
Doch Uwe Boll ist ein Trash-Filmer, der vor lauter cineastischer
Pflichterfüllung keine Energie mehr für die Kür hat. Wenn es
Gewalt sein soll, liefert er Gewalt, wenn er einen alten Star aufgetrieben hat,
behandelt er ihn mit Respekt, und seine Videospiel-Verfilmungen bleiben immer
im Kanon der Fans. Boll gehört keineswegs in die Riege der "schlechtesten
Filmemacher der Welt", seine Filme stehen in einer ganz anderen Gefahr,
sie tendieren zur Langeweile.
Ein gewichtiger Grund dafür ist, dass er wenig Gespür
für Timing hat. Gute Trash-Filme sind entweder so schnell, dass man ihre
Defizite gar nicht bemerkt, oder so langsam, dass man sich in ihnen umsehen
kann und ein surrealistisches Panoptikum visueller Manien genießt. Und
auch das Zweite, was Uwe Boll von einem wirklich guten Trash-Filmer unterscheidet,
ist mehr oder weniger unverzeihlich, nämlich dass er viel zu viele Grenzen
respektiert, dass er zu vorsichtig argumentiert und zu mainstreamig
auflöst.
Bislang sind auch die Versuche Bolls, mit dem Mittel
der Drastik auf die Wirklichkeit zuzugreifen, "Dafour",
"Tunnel Rats" oder "Siegburg", nur als harte Gesten angesehen
worden, ein paar Körpertreffer, aber auch vieles, was danebengeht. Einen
Film mit den Mitteln des Torture Porn über Auschwitz zu drehen allerdings bedeutet vielleicht
nun auch für diesen Regisseur, eine Grenze im Trash zu überschreiten.
Schon der YouTube-Trailer erzeugt Reaktionen, die man mit "Aufregung"
nicht mehr beschreiben kann. Vielleicht erwartet uns der erste Uwe-Boll-Film,
der wirklich wehtut.
Doch erst einmal geht es - in "Max Schmeling"
- für diesen Regisseur gemächlich zu. Einem Film wie diesem wirft
man nicht vor, dass er nicht "gut" sei. Du lieber Himmel! Man sieht
ihm halt an, dass er sein Budget nicht besonders gut verwaltet hat. Davon gar
nicht zu reden, dass Henry Maske zwar der richtige Typ ist und seiner schauspielerischen
Aufgabe mit etwas dezenterer Führung durchaus gewachsen wäre, nicht
aber der sprachlichen.
Die Entscheidung, ihn nicht synchronisieren zu lassen,
ist kühn, aber es macht nicht den Eindruck, als wäre sich irgendjemand
dieser Kühnheit bewusst gewesen. Man muss sich nur den Film ansehen, in
dem der echte Max Schmeling spielte, "Knock Out", um zu verstehen,
wie man einen Nichtschauspieler mit einem genügend ausgeprägten Ego
führen kann: Raum um ihn schaffen, keine direkten Konfrontationen des Profischauspielers
mit dem Nichtschauspieler-Star, keine emotionalen Extreme, lieber Selbstironie
als Dramatik, eine allgemeine Tonlage der Beiläufigkeit und keine Nahaufnahmen
in falschen Momenten.
Ansonsten aber ist die Reibung zwischen Darsteller und
Dargestelltem, die schauspielerische Unbeholfenheit bei gleichzeitig ausgeprägter
Präsenz, ja eine durchaus akzeptierte Technik: Sportfilme wie Sportler
in Filmen erzählen schließlich immer wieder das Märchen der
Unschuld und ihrer Gefährdung. Sie wollen auf etwas Fundamentales und Reines
hinaus, bei dem zu viel Schauspielerei nur stört. Einer wie Henry Maske
kann das durchaus wiederherstellen. Seinerzeit im Ring, und auch eine Filmkamera
kann das noch in ihm entdecken.
Uwe Boll und Henry Maske also haben einen Film über
Max Schmeling gemacht, vom Boxen verstehen sie beide etwas, zu ihrem Helden
haben sie ein ungebrochenes Verhältnis von Bewunderung und Sympathie. Daher
ist nichts an diesem Film zynisch, große Jungs spielen große Jungs
für große Jungs (und ein paar Mädchen mit unkonventionellem
Geschmack). Und sie machen es auf herzzerreißend direkte Art, man sieht
hier eine der großen Wahrheiten des Trash-Films, dass "dilettantisch"
vor allem bedeutet, dass man etwas aus Liebe macht.
Aber es reicht nicht für einen großen Film,
auch nicht für einen großen kleinen Film. "Max Schmeling"
möchte es viel zu vielen recht machen, er buhlt um Anerkennung von falscher
Seite und kämpft dabei, wie einst Joe Louis, mit hängender Kampfhand.
Das Problem ist dabei ein Drehbuch, das mit keiner Überraschung, keiner
unerwarteten Variante, keiner Doppeldeutigkeit aufwartet. Und Max Schmeling
erscheint in Uwe Bolls Film auch im moralischen Sinne besser, als er sich je
selber gemacht hat. Nie nämlich hat der von seinen kleinen Gesten von Widerstand
und Loyalität erzählt ohne den Hinweis darauf, dass er alles andere
als ein Held war.
Max Schmeling und Anny Ondra, der
massige Boxer und die grazile Schauspielerin und Tänzerin (die Europameisterin
im Augenwimpernklimpern), das war so etwas wie ein Traumpaar gegen Ende der
Weimarer Republik, in aller Unschuld weltläufig, eigentlich völlig
ungeeignet für Rassismus, Nationalismus und Militarismus ringsherum. Aber
sie konnten nicht standhalten. Schmeling wurde zur "lebendigen Propaganda",
wie der Völkische Beobachter schrieb, er war kein Parteigänger der
Nazis, aber sein Wunsch, dazuzugehören, brachte ihm, um das Mindeste zu
sagen, eine Menge falscher Freunde ein. Die Unschuld ist so wenig zu retten
wie die fundamentale Reinheit des Boxkampfes. Was dem Film völlig
abgeht, sind Elemente von Trauer und Zorn, von bitterer Komik vielleicht, vom
Empfinden der obszönen Gewalt des Faschismus.
So entstand am Ende leider so was wie eine etwas unterproduzierte,
handwerklich ein bisschen sorglose, aber dafür weniger homogenisierte Variante
jener Degeto-Produktionen des nationalen Feel-good-Movie,
mit der seit Jahr und Tag eine lange, zähe Revision der deutschen Geschichte
betrieben wird: Alle waren gut, nur Hitler war böse, Goebbels war komisch,
und der Widersacher des guten Deutschen war der "Nazi-Scherge", der
brüllt und mörderische Papiere unterschreibt. Und irgendwie schön
war sie doch, diese Zeit.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Max Schmeling
Deutschland / Malta / Kroatien 2010 - Regie: Uwe Boll
- Darsteller: Henry Maske, Susanne Wuest, Heino Ferch, Vladimir
Weigl, Yoan Pablo Hernández, Arved Birnbaum,
Detlef Bothe, Arthur Abraham, Peter Gilbert Cotton - FSK: ab 12 - Länge:
123 min. - Start: 7.10.2010
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