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M.
Butterfly
Das
Leben, eine Oper
Am Tag ist die Eule blind, bei Nacht
die Krähe. Wen aber die Liebe verblendet, der ist blind bei Tag und Nacht.
(aus Indien)
In der Peking-Oper wurden die Frauenrollen
traditionell von Männern gespielt. Diese Tradition versiegt im heutigen
China zwar allmählich, ist aber so wahr wie die Begebenheit, auf der David
Cronenbergs Film beruht. Es gibt noch mehr solcher eindeutigen und weniger eindeutigen
Aussagen, etwa dass die Protagonisten hier zu den "verbotensten aller Lieben"
aufbrächen. Das ist nicht unbedingt als Hinweis zu verstehen, eher als
Anleitung, Cronenberg in seinem Anliegen nicht misszuverstehen. Weil es nämlich
mitnichten darum geht, uns Zuschauern einen Bären aufzubinden, eines Clous
teilhaftig werden zu lassen, konkret: uns vorzumachen, dass der Opernstar namens
Song Liling, in den sich der französische Diplomat René Gallimard
verliebt, eine Frau sei. Song Liling ist es nicht, stattdessen ganz und gar
Tradition.
Die Katze ist aus dem Sack. Wenn sie jedoch
schon die ganze Zeit im Sack miaute, dann ist damit gar nichts verraten. David
Cronenberg inszeniert geflissentlich das Offensichtliche, das heißt, Lilings
Männlichkeit ist nicht verborgen. Das Gesicht ist zu streng, zu kantig,
zu maskulin. Vielmehr ist Song Liling der Inbegriff der Androgynität. Doch
Gallimard erkennt das Vage an diesem Antlitz nicht, er scheint nichts zu wissen
von dem Mann in seiner Frau, keinerlei Argwohn, den Partner nie wirklich nackt
gesehen zu haben. Sogar an der Vaterschaft seines Sohnes hegt Gallimard keine
Zweifel. Sein reales Alter Ego, Bernard Boursicot, lebte gar zwanzig Jahre mit
dem Transvestiten Shi Pei-Pu zusammen, ohne zu wissen, dass er einer war. Da
stellt sich einem nur eine Frage, und deren Antwort versucht Cronenberg zu karthographieren:
Wie zum Teufel ist so etwas bloß möglich?
René Gallimard lernt Song Liling
1964 in China kennen. Er wohnt ihrem Auftritt in der Puccini-Oper "Madame
Butterfly" bei. Darin spielt der amerikanische Marineoffizier Linkerton
mit der Liebe der japanischen Geisha Cho-Cho-San und lässt sie ins Verderben
stürzen. Mit den Augen Gallimards, eines Europäers, sehen wir die
Opernvorstellung wie auch dieses China an der Schwelle zur Kulturrevolution.
Es sind fremde, aber faszinierende Eindrücke einer fernen Kultur, sich
zusammensetzend aus der Vitalität auf den Straßen, der reizvoll seltsamen
Sprache oder den fernöstlichen Künsten, getragen von exotischen Darbietungen,
opulenten Gewändern und greller Schminke. Die chinesische Oper ist Gallimards
Ausgangspunkt, an den er späterhin, immer wieder noch beeindruckter, zurückkehren
und Impressionen aufsaugen wird.
Wenn Gallimard irgendeiner Illusion erliegt,
dann der selbst geschaffenen; dem Trugbild eines verzerrten Chinas. Sein Tunnelblick
fokussiert sich auf das Unbekannte und die Verheißung, auf die Reize dieser
fremden Kultur. Das Leben mit Song Liling, Gallimard nennt sie bald nur noch
Butterfly, wird zu einer Inszenierung, wird zur Oper selbst, aus der alles Vertraute,
all der westlich versittlichte Alltag zuvor herausgefiltert wird und nicht zum
Gallimard’schen Phantasma vorzudringen vermag. Song Liling spielt ihm dabei
nichts vor, sie/er spielt nur mit. Die Empfindungen für Gallimard sind
echt. Diese beidseitige Liebe allerdings ist nur unter diesen Voraussetzungen
möglich. Es bedarf jener Rollen, um das geschaffene Konstrukt aufrechtzuerhalten
und nicht einstürzen zu lassen. Song Liling verhüllt die Knabenbrust
hinter der asiatischen Schamhaftigkeit, befriedigt Gallimard mit Liebesspielen,
die eigens für ihn erfunden werden. Im Prinzip macht Cronenberg die Rollenverteilung
einer jeden Beziehung mit dieser extremen nur extrem sichtbar.
In einem Zustand fortgeschrittener eskapistischer
Entrückung wird Gallimard aus Gründen politischer Fehleinschätzungen
schließlich zurück nach Paris versetzt. Song Liling front indessen
als von der Kulturrevolution verstoßener Künstler in einem kommunistischen
Arbeitslager. In der französischen Heimat ist die China-Imagination nun
in der Auflösung begriffen. Ein Bild mit Eiffelturm markiert zunächst
den Ortswechsel, Notre Dame ist flüchtig zu sehen, kurzum europäische
Architektur, prunkvolle wie modrige. Bei Studentenprotesten werden auch Maos
Konterfeis hochgehalten, doch man ist jetzt nicht mehr in China. Der Kontrast
zeigt sich ebenso in Gallimard und seiner Körpersprache. In der heimischen
Herkömmlichkeit ist das Selbstbewusstsein des Diplomaten verflogen. Der
Degradierte leistet einen Kurierdienst, trinkt abgehalftert in der Bar, sitzt
zusammengepfercht beim Essen. Die fehlende Partnerrolle nimmt auch seiner China-Persönlichkeit,
die eines selbstsicheren Expeditionsforschers, die Existenz.
Eines der größten Rätsel
bleibt nicht zuletzt das genaue Verhältnis von Sexualität und Rollenbild.
In seiner Beziehung zu Song Liling, der für ihn "vollkommensten Frau",
kehrt Gallimard die Dominanz des Mannes aus "Madame Butterfly" um
und übernimmt den unterwürfigen Part. Mag Gallimard von Song Lilings
wahrer Identität nichts bewusst gewusst haben, seine Affinität zur
offensichtlichen Androgynität, sein ungehemmtes Gefühl sexueller Anziehung
hierfür, seine verschaffte Befriedigung - ein Ausdruck latenter Homosexualität?
Oder kann das menschliche Gespür tatsächlich so irregeführt werden?
Die beschädigte Fata Morgana schließlich führt zu einer finalen
Ausformung, zur transvestitischen Inszenierung als das, was die Sehnsucht begehrt.
Gallimard wird zu dem, was er anbetet. Opernhafter Schlussakt einer Cronenberg-Verwandlung.
Daniel Szczotkowski
M.
Butterfly
M.
BUTTERFLY
USA
- 1993 - 101 min. - Verleih: Warner, Warner Home (Video) - Erstaufführung:
9.12.1993/10.6.1994 Video/29.6.1995 premiere - Produktionsfirma: Geffen - Produktion:
Gabriella Martinelli
Regie:
David Cronenberg
Buch:
David Henry Hwang
Vorlage:
nach seinem Bühnenstück
Kamera:
Peter Suschitzky
Musik:
Schnitt:
Ronald Sanders
Darsteller:
Jeremy
Irons (René Gallimard)
John
Lone (Song Liling)
Barbara
Sukowa (Jeanne Gallimard)
Ian
Richardson (Botschafter Toulon)
Shizuko
Hoshi (Genosse Chin)
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