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Meek's Cutoff
Kelly Reichardts hypnotisch spröder "Meet's Cutoff" ist ein feministischer Western durch und durch.
Der
Prolog ist reine, sprachlose Kinopoesie an der Grenze zum audiovisuellen Ambient:
Ein Fluss, eine dürre Landschaft, ein überschaubarer Treck, der sich
seinen Weg durch die Furt sucht. Kisten tragen, Wasser einholen, den Esel satteln,
die Kutsche wieder bestücken, die Kleidung auswringen, das Wasser im Vogelkäfig
auffüllen. Die Kleidung ist ausgebleicht, eine blaue Haube, ein rotes Hemd
blitzen als Fremdkörper hervor. Einer ritzt das Wort "LOST" in
trockenes Holz. Dann zieht der Treck weiter, aus dem Bildkader hinaus, der Fluss
bleibt als blaues Band in der Landschaft zurück. Ein paar Herzschläge
lang steht das Bild, es folgt die langsamste, schönste Überblendung
mindestens des laufenden Kinojahrs, die für die Dauer dieses Zwischenzustands
das Filmbild zu einer rein piktorialen Angelegenheit erklärt: Eine Zäsur,
die das Zuvor und das Nachher als klar getrennte Sphären ausweist - eine
mit, eine ohne Wasserquelle.
Der Prolog zeigt letzte Manöver einiger, der unbarmherzigen Natur ausgelieferter
Menschen, Siedler, die im Jahr 1845 unter Anführung von Stephen Meek (Bruce
Greenwood) durch die Wüste von Oregon ziehen. Die von Meek eingeschlagene
Abkürzung abseits des üblichen Pfads entpuppt sich als strapaziöse
Zerreißprobe, die weit länger dauert als die angekündigten zwei
Wochen. Die Wasser- und Essensvorräte gehen zur Neige. Eine existenzielle
Situation, die Kelly Reichardt in ruhige, spröde, farblich entsättigte
Bilder fasst, in denen die Zeit - wie in der Überblendung - zum Erliegen
zu kommen scheint.
In der Mythopoetik des Westernfilms - in dessen machistischster Ausprägung
- handelt das Genre auch von der glorreichen Erschließung des Landes und
der Wüstenei, hinter deren Bergen sich immer neue verheißungsvolle
Abenteuer verbergen. Kelly Reichardt stellt dieser erotisierenden Breitbild-Fantasie
nicht nur das vergleichsweise klaustrophobe 4:3-Bildformat entgegen, sie holt
die Geschichte der Landnahme im de-fetischisierenden Verfahren auch auf ihre
materielle, strapaziöse Basis zurück: Das Land ist widerspenstig,
das Überleben muss ihm bitter abgerungen werden, Raumüberwindung ist
kaum bewältigbare Herausforderung, die hier nicht, wie in klassischeren
Westernkonzeptionen, im schnellen Umschnitt zwischen zwei Bildern zum Verschwinden
kommt. Auch deshalb ist die eingangs erwähnte Überblendung so bedeutend:
Sie verneint den raffenden Schnitt, der Raum und Zeit aus der Filmerfahrung
streicht und damit ideologische Mitarbeit leistet.
Die Befürchtungen der Siedler, sich verirrt zu haben, zerstreut Meek mit
einer selbstzufriedenen Gelassenheit, die verdächtig schon deshalb wirkt,
weil er die eigene Autorität notfalls durch den demonstrativen Griff zur
Waffe unterstreicht. Zottelig und ergraut gibt er eigene Heldengeschichten aus
Zeiten zum Besten, die lange zurückliegen - der Westernheld als kümmerlich
egomane, latent bedrohliche Figur, die mit den altgewordenen Melancholikern
des Spätwesterns, die traurig auf sich und mit dem Film auf das eigene
Genre zurückblicken, nichts gemein hat.
Als der Treck auf einen Indianer (Rod Rondeaux) stößt und diesen
gefangen nimmt, ist das Ensemble des klassischen Westerns - der Revolverheld,
die Frau (Michelle Williams) und der Indianer - vollständig. Der Indianer
soll unter den ängstlichen Blicken der Siedler den Treck zu einer rettenden
Wasserquelle führen - eine Kränkung für Meek, der mit gesteigerter
Aggression reagiert.
Reichardt erzählt dieses Drama hypnotisch spröde und minutiös
- jedes Bild bekommt seine Zeit, die Spannung wird sorgsam aufgebaut, bis sie
sich in einer drastischen Geste der Ermächtigung einerseits, in einem antiklimaktischen
Ausklang andererseits auflöst. Wenn es ihn bis dahin nicht gegeben hat,
dann gibt es ihn jetzt: Ein feministischer Western, durch und durch.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Meek's
Cutoff
USA 2010 - Regie:
Kelly Reichardt - Darsteller:
Michelle Williams, Bruce Greenwood, Will Patton, Zoe Kazan, Paul Dano, Shirley
Henderson, Neal Huff, Tommy Nelson, Rod Rondeaux - FSK: ab 6 - Fassung:
O.m.d.U. - Länge: 102 min. - Start: 10.11.2011
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