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Mein
Schatz, unsere Familie und ich
Der allerkomischste Moment dieser Weihnachtskomödie
trifft ins Herz des Festes. Eine Charismatikergemeinde inszeniert das Heilsgeschehen
und besetzt zwei unfreiwillige Gäste der Christmesse kurzerhand mit den
Rollen von Maria und Josef: Kate und Brad, ein unverheiratetes Paar aus San
Francisco. Während Kate nervös und jenseits ihrer Marien-Rolle die
Krippe nach einem Tuch absucht, um das Jesuskind zu wickeln, geriert sich „Josef"
als wortgewaltige Rampensau, die mit Sätzen wie „Sie ist besser im Babymachen
als im Wickeln" die Gemeinde zu befremdlichen Ovationen hinreißt.
Bei Vince Vaughn wird ein hinreißend parodistischer Seitenblick aufs „Actor´s
Studio" daraus. „Vergiss nicht: Agieren ist Reagieren", zischt sein
Brad die Partnerin einmal altklug an, als säße Lee Strasberg persönlich
im Publikum.
Im Original heißt Seth Gordons Spielfilmdebüt
„Four Christmases", und vor diesem vierfachen Weihnachten sind Brad und
Kate bisher stets erfolgreich geflüchtet - in ein sonniges Urlaubsparadies,
doch diesmal macht ihnen der Bodennebel einen Strich durch die Rechnung. Nur
Sekunden, nachdem sich das Pärchen auf dem lahmgelegten Flughafen live
von einer Fernsehreporterin interviewen lassen muss, klingelt Kates Handy. Mutter
ist dran. Und weil Kate und Brad Scheidungskinder sind, reißen die Einladungen
nicht ab. Gezwungenermaßen starten die beiden zum Weihnachtsmarathon,
das ihre Beziehungkiste bald heftig wackeln lässt. Keiner kennt die Herkunft
des anderen, Familienpeinlichkeiten und Geheimnisse drängen ans Licht.
Aber auch Kates Kinderwunsch wird geweckt. Überall Babys.
Die Story von „Mein Schatz, unsere Familie
und ich" ist mit Geschick konstruiert. Ihre episodische Struktur ergibt
sich wie von selbst aus den vier divergierenden sozialen Sphären, in die
Kate und Brad nach jeder Weiterfahrt mit ihrem Auto eintauchen. Zum Problem
wird die Tendenz des Regisseurs, vor allem in Slapstickszenen allzu dick aufzutragen.
Das passiert gleich in der ersten Episode, in der Brads Vater besucht wird.
Er wohnt in einem verlebten Haus mit zwei weiteren Söhnen, muskelbepackten
Losern, die sich mit brutalen Kampfgriffen an Brad dafür rächen, dass
er als Anwalt Karriere gemacht hat. Im Kontrast dazu herrschen im Heim von Kates
Mutter - sie ist mit dem evangelikalen Pastor jener oben erwähnten Kirchengemeinde
liiert - Ordnung und Sauberkeit, doch auch zwischen Kate und ihrer Schwester
kriselt es. Wenn der Regisseur Kates Trauma, das mit einer Hüpfburg im
Garten verbunden ist, wie ein Psychodrama inszeniert, wirkt die Kino-Persiflage
stilsicher. Raffiniert wird auch der verborgene Mutterwunsch der Heldin eingeflochten:
Im Bad hat Kate heimlich ein Schwangerschafts-Teststäbchen ihrer Schwester
benutzt und muss ihre rotzfrech-flinke Nichte dann in der aufblasbaren Gummihölle
stellen, um das Stäbchen wiederzubekommen. Die Fahrt ins New-Age-Paradies
von Brads Mutter wird dagegen für den Sohn zum ödipalen Horrortrip.
Mama lebt mit seinem ehemals besten Freund zusammen, der wie ein Spiegelbild
seiner selbst wirkt, das ungleichaltrige Paar lässt sich mit Vergnügen
über sexuelle Aktivitäten aus. Mit großem Witz, der sich vor
allem dem Improvisationsgeist der beteiligten Darsteller verdankt, punktet die
Szene, in der das Spiel „Tabu" gespielt wird. Begriffe müssen umschrieben
und geraten werden, das besser eingespielte Paar hat die meisten Chancen. Brad
und Kate verzetteln sich, verlieren haushoch. Der Verdacht wächst, dass
man sich weniger gut kennt als vermutet. „Ich wünsche mir ein Kind",
bekennt Kate Brad auf der Autofahrt zu ihrem Vater. Brad bringt sie nur noch
zur Tür und fährt zurück zum eigenen alten Herrn. In der wenig
überzeugenden, sentimental behauchten Schlussepisode bringen spät
formulierte Einsichten der Väter das junge Paar wieder zusammen. Ein Jahr
später wird ein Kind geboren - und wieder posaunt eine TV-Berichterstatterin
das Geheimnis in alle Fernsehstuben.
Gemessen am flauen Standard des alljährlichen
Weihnachts-Feelgoodmovies geht „Mein Schatz, unsere Familie und ich" einigermaßen
erfolgreich durchs Ziel. Verächter von Brachialhumor dürften sich
schnell langweilen. Doch der Film ist exzellent und ungewöhnlich kontrastreich
fotografiert. Manche Szene bekommt allein aufgrund der seltsamen visuellen Erscheinung
eines Familienmitglieds einen Stich ins Gruselige. Stars wie Robert Duvall,
Mary Steenburgen und Sissy Spacek kosten solche Irritationen in ihren Elternrollen
weidlich aus. Nur Jon Voight zeigt sich rollendeckend altersmilde. Aus dem Fakt,
dass sie schon hinsichtlich Körpergröße und -volumen eigentlich
überhaupt nicht zusammenpassen, schlagen Reese Witherspoon und Vince Vaughn
in den Hauptrollen komödiantische Funken.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Mein
Schatz, unsere Familie und ich
USA 2008 - Originaltitel: Four Christmases - Regie: Seth Gordon - Darsteller: Vince Vaughn, Reese Witherspoon, Robert Duvall, Jon Favreau, Mary Steenburgen, Dwight Yoakam, Tim McGraw, Kristin Chenoweth, Jon Voight, Sissy Spacek - Länge: 88 min. - Start: 4.12.2008
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