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Melancholia
Sieht nicht gut aus
Zwischen Roland Emmerichs Hollywood und Andrej Tarkowskis
Autorenkino: Der Filmemacher Lars von Trier lässt in „Melancholia“ die
Welt untergehen. Mit Vergnügen
Melancholie bedroht die Menschheit. Für diese zeitgemäße
Diagnose reicht schon ein Blick auf die Finanzmärkte. In dem Film "Melancholia"
inszeniert Lars von Trier den Gemütszustand des Postkapitalismus als kosmisches
Endzeitspektakel. Der Planet Melancholia rast auf die Erde zu – und weit und
breit kein Bruce Willis in Sicht. Von Trier reagiert auf das Ende der Welt nicht
mit dem blinden Aktionismus des Hollywood-Kinos, er zelebriert es in liturgischer
Andacht. Für den Melancholiker ist Entropie ein heilsamer Zustand.
„Die Erde ist schlecht“, erklärt die schwerblütige
Justine, gespielt von einer wunderbar verquollenen Kirsten Dunst, ihrer Schwester
Claire (Charlotte Gainsbourg). „Sie ist es nicht wert, um sie zu trauern.“ Die
Melancholikerin blüht erst im Angesicht ihres Untergangs auf. Einmal beobachtet
Claire nachts, wie Justine im blauen Licht des melancholischen Planeten badet,
sich zärtlich über die nackten Brüste streicht. Ein planetarisches
Petting. Nie wirkte sie schöner als in diesem einsamen Augenblick, nicht
einmal auf ihrer eigenen Hochzeit. Die Dunkelheit umschließt die Melancholikerin
und ihre Weltvergessenheit.
Dabei beginnt "Melancholia" durchaus heiter. Justine und Michael befinden sich auf
dem Weg zu ihrer Hochzeit auf dem mondänen Landsitz von Justines Schwager
(24-Hauptdarsteller Kiefer Sutherland im permanenten Jack-Bauer-Alarmzustand),
aber die Stretchlimousine ist zu sperrig für den kurvenreichen Waldweg.
Lachend übernimmt Justine das Steuer und setzt den Wagen erst einmal ihrem
Gatten vors Schienbein. Viel zu spät erscheinen die beiden zu den Feierlichkeiten,
die der latent hysterische Hochzeitsplaner (Udo Kier als tuckiger comic relief) wie ein Staatsbankett orchestriert.
Es soll das letzte Mal sein, dass wir Justine so unbeschwert
erleben. Mit der Ankunft verfällt die junge Frau in eine brütende
Schwere. Je länger die Feier fortschreitet, desto vehementer beginnt sie,
sich der Familie und ihren Freunden zu entziehen. Justine sucht in gesellschaftlichen
Rollen – liebende Ehefrau, Karrierefrau – nach seelischem Halt, doch die bürgerliche
Farce der Eheschließung erweist sich als trügerische Illusion von
Normalität.
Justines Reaktion fällt erratisch aus. Sie verschwindet
in den unzähligen Räumen des Anwesens, nimmt ein Bad oder geistert
verloren über den benachbarten Golfplatz mit den achtzehn Löchern.
Ihrem Chef, der ihr zur Hochzeit eine Beförderung in seiner florierenden
Werbeagentur schenkt, erklärt sie vor versammelter Gesellschaft, was für
ein armseliges Schwein er sei. Später wird sie sich noch seinen jungen
Adlatus schnappen und ihn an einem putting hole im Hochzeitskleid regelrecht vergewaltigen. Am Ende
der Nacht ist Justine von allen verlassen: ihrem Bräutigam (Alexander Skarsgard),
ihrem Vater, ihrer Firma. Mit einem Blick zum Himmel, an dem sich bereits neues
Unheil abzeichnet, endet der erste Akt von "Melancholia". Im zweiten, der nach Claire benannt ist, wird die Melancholie
ganz manifest über die Menschheit hereinbrechen.
Mit seinen jüngsten Filmen und Wortmeldungen hat
sich Lars von Trier strategisch abseits eines aufgeklärt-rationalen Konsenses
positioniert. Rechenschaft ist er in dieser Funktion niemandem mehr schuldig,
einem durchgeknallten Spinner wird einiges verziehen (wenn auch nicht umgehend,
wie von Trier im Frühjahr in Cannes feststellen musste). In "Antichrist" brach er mit Freud und der Psychoanalyse, um diese durch
eine Art paganistische Naturlehre von der Geschlechterdifferenz zu ersetzen,
Höhlenbildnisse inklusive. "Melancholia" vertritt nun einen ästhetischen Totalitarismus,
der den Zusammenhang von Form und Inhalt radikal aufgekündigt hat.
Für diese Schlussfolgerung muss man nicht einmal
mehr jene blödsinnigen Nazi-Kommentare heranziehen, die Trier auf den diesjährigen
Filmfestspielen von Cannes den Status einer persona non grata einbrachten. Der
dänische Filmemacher entwickelt seit Jahren eine Neigung zum wagnerhaften
Übermut, der in "Melancholia" im knapp zehnminütigen Prolog zur Ouvertüre
von "Tristan und Isolde" noch einmal zu kristalliner Form findet (kristallin
wie die Oberflächen der eingefrorenen Digitalbilder von Kirsten Dunst mit
einer Schleppe aus Farnen und Schlingpflanzen). "Antichrist" und "Melancholia" markieren einen vorläufigen Bruch mit der Tradition
des europäischen Autorenkinos – weniger in ihrer antibürgerlichen
Einstellung denn in formaler Hinsicht.
"Melancholia" verweist gleich in doppelter Hinsicht auf eine europäische Ahnenreihe, nur um diese umgehend wieder zu negieren. Der Landsitz des Films befindet sich auf der schwedischen Insel Gotland, wo schon Tarkowski sein Weltuntergangsdrama "Opfer" mit Bergman-Personal drehte. Doch der Hinweis auf den Moralisten Tarkowski, dem von Trier "Antichrist" noch gewidmet hatte, läuft ins Leere. Moralische Kategorien interessieren von Trier herzlich wenig, ihm geht es allein um die Darstellung einer inneren Zerrüttung. Seine Figuren drehen sich ausschließlich um sich selbst; von dieser narzisstischen Bewegung rührt letztlich auch ihre Erschöpfung her.
Es könnte daher lediglich als böser (oder auch
blöder) Witz missverstanden werden, wenn von Trier mit "Melancholia" ausgerechnet dem antithetischen Blockbuster-Kino Hollywoods,
dem natürlichen Habitat des spezialeffektlastigen Katastrophenfilms, seine
Reverenz erweist. Auch von Trier scheut den großen Knall nicht: In einem
spektakulären Finale lässt er die Planeten schließlich kollidieren.
Ein Bild, das einerseits weit über das Kino von Triers hinausweist, als
ikonischer Exorzismus aber ähnlich einzuordnen ist wie die körperlichen
Verstümmelungen in "Antichrist". Und für einen kurzen Moment steht er Roland Emmerich
plötzlich näher als dem ganzen europäischen Kunstzusammenhang,
auf den "Melancholia" in fast jeder zweiten Einstellung hinausläuft.
In solchen Widersprüchen hat von Trier sich inzwischen gemütlich eingerichtet.
Mit Vernunft oder gar einem Besteck von kritischen Begriffen, methodisch also,
ist seinem Kino kaum mehr beizukommen.
So tritt Lars von Trier immer öfter als wandelndes
Paradox in Erscheinung: ein Spaßvogel, der es eigentlich verdammt ernst
meint. Darin liegt allerdings auch eine Gefahr von Beliebigkeit, vor der "Melancholia", angekündigt als „schöner Film über das
Ende der Welt“, nie ganz gefeit ist. Tatsächlich aber ist von Trier seit der Krankenhaus-Serie
"Geister" nicht mehr so komisch gewesen. Die Hochzeitsfeier
ist eine opulent ausstaffierte Farce, die streckenweise an Thomas Vinterbergs
"Das Fest" erinnert. Die Eltern der Schwestern (John Hurt
und Charlotte Rampling) dürfen noch einmal ungebrochen die dekadente Lebensfreude
und Verbitterung der bürgerlichen Klasse durchspielen, sehr zum Missfallen
von Claires Mann, dessen Versuche, die Mutter loszuwerden, kläglich scheitern.
Dieses Wechselspiel von komischen und depressiven Momenten erzeugt eine Binnendramaturgie,
die der pessimistischen Weltsicht von "Melancholia" ihre existenzielle
Schwere nimmt.
Lars von Trier hat "Antichrist" und "Melancholia" als seine persönlichsten Filme bezeichnet, weil
sie viel mit seiner eigenen Krankengeschichte zu tun haben. Das könnte
auch erklären, warum sie so prozesshaft wirken, bis hin zu ihrer Kapitelstruktur.
Es braucht eine Weile, bis von Trier seine Ideen geordnet hat. An "Melancholia" ist sehr gut zu beobachten, wie sich seine vagen Bilder
und Allegorien erst allmählich konkretisieren, wenn Justine stärker
als dominante Instanz des Filmes in den Vordergrund tritt. Zu diesem Zeitpunkt
hat Claires rationaler Ehemann (ein Amerikaner!), der dem kosmischen Phänomen
noch mit Astronomie beikommen will (Wissenschaft!), längst abgedankt. Zurück
bleiben die beiden neurotischen Schwestern und Claires Sohn Leo, der Justine
nur „Tante Stahlbrecher“ nennt, weil Kinder noch die Unschuld besitzen, um hinter
die Fassaden des Menschen zu blicken.
Dankenswerterweise hat von Triers mitunter schwer erträgliche Misanthropie in "Melancholia" beinahe fürsorgliche Züge angenommen. Die Justine des zweiten Akts ist von allen Trier-Figuren zweifelsohne diejenige, der er sich am stärksten verbunden fühlt. Auch weil sie früh begriffen hat, dass der Mensch im Universum immer schon allein gewesen ist. Für die sentimentalen Anwandlungen Claires hat der Film dagegen nur Verachtung übrig. „Du willst, dass wir uns auf der Terrasse versammeln und zusammen ein Lied singen?“, fragt Justine ihre verängstigte Schwester ungläubig. Warum sich stattdessen nicht einfach auf der Toilette von der Welt verabschieden?
Lars von Trier erweist sich mit "Melancholia" als vortrefflicher Apokalyptiker. Der Weltuntergang
bereitet ihm sichtlich Vergnügen.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Der Freitag
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Melancholia
OT: Melancholia
Dänemark/Schweden/Frankreich/Deutschland 2011 - 136 min.
Regie: Lars von Trier - Drehbuch: Lars von Trier - Produktion: Meta Louise Foldager,
Louise Vesth - Kamera: Manuel Alberto Claro - Schnitt: Manuel Alberto Claro
- Verleih: Concorde - Besetzung: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer
Sutherland, John Hurt, Charlotte Rampling, Alexander Skarsgård
Kinostart (D): 06.10.2011
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