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Metropolis
(1927 / 2010)
Phönix aus der Schmalfilmdose
Fritz Langs „Metropolis“ ist nun (fast) keine Ruine
mehr. Eine Uraufführungskritik.
Auf halber Höhe zwischen Hirn und Herz: das Handy.
Die Sitznachbarin streckt es der Leinwand entgegen und fotografiert Metropolis,
mit dem Enthusiasmus der Besucherin, die noch nie da war. Andere, wohl die meisten
Zuschauer im Berliner Friedrichstadtpalast, kennen die Skyline, die nun auf
dem Chip eines Mobiltelefons landet: Türme aus Beton und Glas, soweit das
Auge reicht, Flugzeuge schwirren, über Hochstraßen wälzt sich
endloser Stoßverkehr.
Die „Metropolis“-Touristin gehört zu den happy few,
die dem Ereignis im geheizten Auditorium beiwohnen dürfen. Parallel findet
eine Aufführung, ebenfalls mit live gespielter Orchestermusik, in der Alten
Oper Frankfurt statt. Wer keine Karten ergattert hat, muss – immerhin zeitgleich
mit der Berliner Uraufführung – Glanz, Elend und Beinahe-Untergang einer
Megacity am Fernsehschirm verfolgen. Furchtlose schlottern draußen vor
dem zur Leinwand umgewidmeten Brandenburger Tor. „Metropolis“ ist überall
an diesem ersten Berlinale-Freitag, und so übergroß, dass die letzte
Festspiel-Aufführung, 2001 im Berlinale-Palast, in der Erinnerung kleinstädtisch
wirkt. Das Projektionsbild war im Vergleich winzig und wurde vom Orchesterklang
ersäuft. Die Klangfluten stammten allerdings nicht vom Uraufführungskomponisten
Huppertz; Bernd Schultheis hatte eine neue „Metropolis“-Musik geschrieben, die
einen Bogen von Alban Berg bis György Ligeti schlug.
Inzwischen ist man längst zu Gottfried Huppertz’
spätromantischer Originalpartitur zurückgekehrt. Die Wiederaufführung
leitet Frank Strobel, der früh in die Gesamtrekonstruktion der neuen Langfassung
einbezogen war. Schließlich ergaben sich aus der Partitur wichtige Anhaltspunkte
für die Neumontage des Materials. In den ersten Filmminuten bleibt aber
alles beim Alten: Mitten in die Lauftitel des Vorspanns hinein rollt das Rundfunk-Sinfonieorchester
Berlin einen goldenen Klangteppich aus, den der reife Richard Strauss gewirkt
haben könnte. Dem Auftakt, vom strahlenden Dur der Trompeten durchwirkt,
folgen düster-brutale Rhythmen, die mit den stählernen Mahlwerken
der Unterstadt korrespondieren. Zahnräder und Pleuelstangen laufen heiß;
Hörner und Pikkoloflöten begleiten das ikonische Orgelpfeifen-Bildmotiv
des Signals, das zum Schichtwechsel ruft. Zu einem Trauermarsch trotten dann
Arbeiterkolonnen durchs Bild.
Über sieben Minuten verstreichen, bis die eigentliche
Attraktion dieser Fassung ihre Schatten vorauswirft. „Väter, für die
jede Umdrehung eines Maschinenrades Gold bedeutete, hatten ihren Söhnen
das Wunder der Ewigen Gärten geschenkt“, verkündet ein Zwischentitel.
Es folgt der Establishing-Shot eines Baldachins auf Tropfsteinfüßen,
unter dem ein Frackträger eine Schar fantasievoll gekleideter Konkubinen
zusammenruft. Umschnitt auf die Halbnah-Einstellung mit dem Zeremonienmeister
– hinter einem Regenvorhang aus Kratzern, aber eine Sensation. Es ist das allererste
Filmbild, das dem „Metropolis“-Torso nach der Wiederentdeckung fehlender Teile
hinzugefügt wurde. Ein Raunen geht durchs Publikum, als der eunuchenhafte
Alte einen Schminkpinsel zückt und einer Konkubine herzförmige Lippen
malt: Komparsen-Venus, neu geboren, nie gesehen.
Erst vorletztes Jahr sind diese und weitere Passagen
in einem Archiv in Buenos Aires wiedergefunden worden. 25 Filmminuten, die wohl
allein in diesen 16-mm-Filmrollen überlebt haben, hunderte Einsprengsel
für die bekannte „Metropolis“-Fassung, die dem Mammutwerk ein ausdrucksvolleres,
lebendigeres Gesicht geben. Die Kratzer, die sich unmöglich ganz wegschminken
– sprich: digital entfernen – ließen, rühren von der inzwischen vernichteten
35-mm-Nitrokopie her und sind in den Schmalfilm eingeschlossen wie Schmutzpartikel
in Bernstein. Nach der Wiederaufführung murren einzelne Zuschauer über
die verquollene Unschärfe der „neuen“ Sequenzen, doch vom Gros des Publikums
wird der Signalcharakter der Bild-„Sprünge“ begrüßt: Man schaut
den Filmrestauratoren gleichsam über die Schulter, die „Metropolis“ Bauteil
für Bauteil neu zusammengesetzt haben.
Der argentinische Fund hat überhaupt zu einer
Revision der „Metropolis“-Montage geführt. Diese Modifizierungen bleiben
dem Premierenpublikum natürlich weitgehend verborgen. Verwunderung löst
ein Detail in der nun vollständigen Schöpfungsszene aus: Während
sich die Roboterfrau unter Energieblitzen in ein Abbild Marias verwandelt, fällt
der Kopf der liegenden, echten Maria kraftlos zur Seite. In der Neufassung geschieht
das zweimal – das digitale Master wurde einfach kopiert –, jeweils begleitet
von einem absteigenden Harfenappeggio (auf der „Metropolis“-DVD decken sich
Kopfbewegung und Instrumentalmotiv noch nicht). Allein die Partitur rechtfertigt
solche Eingriffe, denn in der argentinischen Fassung kommt die Bildwiederholung
nicht vor.
Brigitte Helm, die doppelte Maria, war auch in den
verstümmelten Fassungen nicht zu kurz gekommen. Marias panische Flucht
vor Rotwang, dem mad scientist, der Balztanz ihres Doubles in Yoshiwara, die Verführungsgesten
der falschen Schlange, die den Platz der Heiligen am Altar der Katakomben eingenommen
hat, Helms unglaublicher Stunt am Glockenseil – mit solchen Szenen hat sich
die damals gerade mal 17-jährige Darstellerin, deren Karriere kaum zehn
Jahre anhielt, ins kollektive Bewusstsein eingeschrieben.
Vor allem die Männerfiguren sind es, die von
der Neufassung profitieren: Die Rolle des Arbeiters 11811 hatte man nie wirklich
begriffen, dieser Mann namens Georgy hatte mit dem Fabrikantensohn Freder die
Kleider getauscht und war später recht unvermittelt in Freders Armen tot
zusammengebrochen. In der jetzigen Version erleben wir, wie Georgy in der Luxuswelt
von Yoshiwara abtaucht. Mit ihm wird deutlicher, dass die Leuchtreklamen, die
Roulettetische und Amüsiermaschinen der Oberwelt von den Motoren der Arbeiterstadt
am Laufen gehalten werden. Und vor allem mit Georgy werden die sozialen Rollen
in „Metropolis“ austauschbar. Seine Szenen kratzen an der gängigen These,
bei Lang seien die Arbeiter biologisch zur mörderischen Maloche bestimmt.
„Metropolis“ reloaded. Das Filmereignis vertieft die
Erkenntnis, dass die Moral des Films widersprüchlich ist, dass Szene um
Szene, Auftritt um Auftritt Behauptungen und Gegenbehauptungen aufgestellt werden;
ein Geflecht, dass sich im Resultat kaum mehr entwirren lässt. Schon Luis
Buñuel stellte fest, „Metropolis“ sei von „unterschiedlichen,
extrem antagonistischen geistigen Ansprüchen“ bestimmt. Personifikation
des Widerspruchs ist die Figur des Schmalen, dem Fritz Rasp seine markant-unheimliche
Physis leiht: hünenhafte Gestalt, Adlerprofil, irres Augenfunkeln. In der
Urfassung bringt es der Schmale, Diener und Spion des Moguls Fredersen zugleich,
fast zur heimlichen Hauptfigur – ein Mann mit vielen Gesichtern. Als Mönch
warnt er in Freders Traum vor dem Untergang der Stadt, als aalglatter Spitzel
des Chefs bringt Rasp mephistophelische Komik ins Spiel, wie er seine Delinquenten
in den Schwitzkasten nimmt, mit Geldbündeln wedelt und schmierig grinst.
Seltsam, dass Channing Pollock, der 1927, drei Monate
nach der Uraufführung, die „Metropolis“-Kürzung für den amerikanischen
Markt verantwortete, ausgerechnet einen Teil der Actionszenen entsorgte. Gerade
in der Parallelmontage hitziger Verfolgungsjagden und verzweifelter Cliffhanger
zeigt sich jetzt Langs Erzählgenie, das in die Kinozukunft weist: Kinder
flüchten vor den Fluten in die Sackgasse eines Luftschachts, der von einem
Gitter blockiert ist, Freder und Josaphat bewähren sich als Retter, vor
denen sich ein Indiana Jones verbeugen müsste. Stahlseile reißen,
Fahrstühle stürzen ab, der Mob tobt durch die Straßen. Die Fluchtszene,
in der die echte Maria schreiend vor der aufgebrachten Arbeiterschaft wegläuft,
war von Pollocks Team derart abgekürzt worden, dass man streckenweise keine
Angst mehr um Maria haben musste. Endlich fiebert man mit der Heldin und begreift
ihr Zufallsglück, in letzter Sekunde den Weg der Maschinenmaria zu kreuzen,
die schließlich auf dem Scheiterhaufen brennt.
Aber bekanntlich hält das Drehbuch noch einen
weiteren Twist für die Heroine bereit, die jetzt in Rotwangs Hände
fällt, von dem sie aufs Dach der Kathedrale verschleppt wird. Im Finale
– Freder kämpft mit Rotwang, Maria wird vom Dach gerettet, Vater Fredersen
sinkt in die Knie – wird noch einmal sicht- und hörbar, wie eng Huppertz
und Lang zusammengearbeitet haben, wie dicht musikalische Motive und filmische
Aktion verzahnt sind, wie essentiell der Resonanzraum ist, den die Musik den
Bildern aufschließt. Ein paar Dropouts im digitalisierten Film lassen
einen Bildausfall befürchten, als bräche gleich die ganze schaurig-schöne
„Metropolis“-Welt doch in sich zusammen und müsste Frank Strobel sein Dirigat
abbrechen. Doch die Hände des Arbeiterführers Grot und des Fabrikanten
Johann Fredersen finden nach Plan zueinander, der doch funktionierenden Technik
und dem „Mittler“ sei dank. Noch einmal strahlt das Blech, „Mittler zwischen
Hirn und Händen muss das Herz sein“, verkündet der Schlusstitel, Applaus
brandet auf. Und die Nachbarin, glücklich erschöpft von der Tour durchs
neue Metropolis, hat ihr Fotohandy längst in der Handtasche verstaut.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Metropolis
(Metropolis,
Deutschland 1927 / rekonstruiert: 2010)
Regie:
Fritz Lang
Premiere:
10. Januar 1927 (Deutschland)
Drehbuch:
Fritz Lang
FSK:
ab 16
Länge:
178 min
Darsteller:
Alfred Abel (Johhan Fredersen), Gustav Fröhlich (Freder Fredersen), Brigitte Helm (Maria/The Robot), Rudolf Klein-Rogge (C.A. Rotwang), Fritz Rasp (Slim), Theodor Loos (Josaphat), Heinrich George (Grot), Fritz Alberti (kreativer Mensch), Grete Berger (Arbeiterin), Erwin Biswanger (Georg), Olly Boeheim (Arbeiterin), Max Dietze (Arbeiter), Ellen Frey (Arbeiterin), Beatrice Garga (Frau in den Ewigen Gärten), Heinrich Gotho (Zeremonienmeister)
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