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Milk
Eine zirzensische Tour de Force unternimmt
Sean Penn in Gus van Sants "Milk".
Das Ungewöhnliche an Gus van Sants
Film über den Schwulenrechte-Aktivisten Harvey Milk ist, wie sehr sich
der zu Experimenten aller Art fähige Regisseur hier an die Regeln des ganz
gewöhnlichen Hollywood-Biopic hält. Dazu gehört, um das Leben
als Film geschlossen zu kriegen, ein Rahmen: Harvey Milk (Sean Penn) diktiert,
von Todesahnungen bewegt, Erinnerungen ins Tonband und wird dabei von Rückblenden
unterbrochen, die die Erinnerungen in Bild und Ton illustrieren.
An Harvey Milks vierzigstem Geburtstag
beginnt der Film. Auf der Treppe zur U-Bahn quatscht der einen Mann an, nimmt
ihn mit nach Hause und beschließt bald darauf, sein Leben zu ändern.
Die beiden ziehen als Paar ins Castro-Viertel von San Francisco, Milk eröffnet,
sehr zum Widerwillen der schwulenfeindlichen Ladenbesitzer in der Gegend, ein
Foto-Geschäft. In diesem Widerstand lokalisiert "Milk" den Ursprung
des Aktivismus, der Harvey Milk einige Jahre und viele Kämpfe und eine
Wahlbezirksumverteilung später zum ersten offen schwulen Politiker im Parlament
einer US-Großstadt machen wird. Den Weg dahin rekonstruiert der Film.
Mehr will er nicht tun, nur eine Erfolgsgeschichte erzählen, deren blutiger
Ausgang allen bekannt ist. Keine Experimente. (Oder fast keine. Aus heiterem
Himmel gibt es mitten im Film einen hinreißenden Split-Screen-Flickenteppich
aus ineinander gewirkten Kleinbildern. So schnell, wie das kommt, geht es wieder.
Es ist ein wenig wie damals in seinem ostentativ unoriginellen "Psycho"-Remake, in das Gus van Sant seine
eigene Signatur explizit nur an ganz wenigen Stellen des Films zwischen die
nachgebauten Bilder schmuggelte.)
Wie es die Regeln des Biopic, denen zu
folgen van Sant nun mal beschlossen hat, vorschreiben, werden die Stationen
von Milks Leben Punkt für Punkt abgehakt. Damit ist, durchaus auch genretypisch,
eine Privatisierung des Politischen verbunden. Milk, der eine Symbolfigur der
Schwulenbewegung war, wird hier zu ihrer Verkörperung - soll heißen:
Was darum herum passierte, kommt in weiten Teilen gar nicht vor. Dazu passt,
dass die Widerstände gegen ihn in der Figur seines späteren Mörders
Dan White (Josh Brolin) psychologisch, nicht sozial oder politisch gefasst werden.
Der Film deutet White, einen Kollegen Milks im Stadtparlament, als heimlichen
Schwulen, der dem Konkurrenten nicht nur - was der Auslöser der Tat sein
wird - einen Führungsposten neidet, sondern ihn als prinzipielle Bedrohung
seiner mit aller Kraft aufrecht erhaltenen Fassade begreift. So plausibel diese
Deutung sein mag, so - für den Film exemplarisch - kurz greift sie doch,
wenn es um den politischen Kontext der amerikanischen Schwulenbewegung geht.
Das alles wäre noch langweiliger,
als es bei aller Eleganz im Grund ist, wäre da nicht Sean Penn. Wer einmal
Aufnahmen des echten Harvey Milk gesehen hat, wird Penns schauspielerische Leistung
mindestens als zirzensische Tour de Force einer staunenswerten Anverwandlung
bewundern können. Es ist aber mehr als das. Virtuos entfaltet Penn nämlich
die nuancenreiche Skala einer Persönlichkeit, die zwischen Engagement,
Menschenliebe und Narzissmus nie auf einen einzigen Ton oder Punkt zu bringen
ist. Penns Darstellung widersetzt sich den öden Erklärungsversuchen
der Biopic-Mechanik nicht - aber sie weitet den Film doch nach innen und eröffnet
da einen Schauplatz, der mehr Tiefe und feine Verläufe und Tiefenschärfen
hat als das konventionelle Spektakel, dessen Zentrum diese Figur ist.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen am 11.02.2009 im: Perlentaucher
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Milk
USA 2008 - Regie: Gus Van Sant - Darsteller: Sean Penn, Emile Hirsch, Josh Brolin, James Franco, Diego Luna, Alison Pill, Victor Garber, Denis O’Hare, Jeff Koons, Brandon Boyce - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 128 min. - Start: 19.2.2009
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