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Miller’s
Crossing
Nicht
den Hut verlieren
Die Omertà verletzt vom Pentito.
Die Bande der familiären Loyalität ist verwittert in Martin Scorseses
„Goodfellas“, nachdrücklich und brutal. In einem anderen Film desselben
Jahres sind ungeschriebene Gesetzmäßigkeiten des Gangsterfilmes viel
unmerklicher im Begriff, sich aufzulösen. Indem in „Miller’s Crossing“
schleichend das einzelgängerische Prinzip des Opportunisten etabliert und
dem ehrbaren Kodex vorgezogen wird, werden festgeschriebene Grundsätze
des Genres von den Coen-Brüdern dekultiviert.
Das ist zunächst ziemlich seltsam.
Denn im Prolog hält der an Einfluss in der Stadt gewinnende, italoamerikanische
Ganove Johnny Caspar vor Gangsterboss Leo, einem irischen Paten, noch eine inbrünstige
Rede über die Maximen des Business: Freundschaft, Charakter, Ethik. Grandezza-Selbstverständlichkeiten
für den kleinen Mann mit dem Oberlippenbärtchen, dessen fülliger
Leib mit Leichtgläubigkeit und einer guten italienischen Portion Temperament
gefüllt ist. Wissen wollen, wer ein Freund ist und wer ein Feind. Es ist
nicht so einfach, Caspar. Freundschaft, Charakter, Ethik - ein Dreiklang, den
auch sein Gegenüber lebt, viele mehr aber leben ihn hier nicht. Und das
in diesem Genre, das schon vielfach von Freundschaften oder konkreter: Männerfreundschaften
erzählte, von Ehre und von Aufrichtigkeit und solchen Dingen.
Das Vorgehen der Coens, oder je nach Wohlwollen
auch ihre Masche, ist hier schon dasselbe wie in späteren Arbeiten, die
sie „The man who wasn’t there“ oder „No Country for old Men“ nennen werden.
Sie nisten sich zitierend in einem Genre ein, wenden dessen Mechanismen an,
um sie dann auf den Kopf zu stellen. Die romantisierenden Bilder von Wäldern
und ehrfurchtsvollen Räumlichkeiten, die aus jenen Wäldern gemacht
sind, aus ihrem Holz, das die Wände verkleidet und aus dem die noblen Möbel
gefertigt sind. Das Interieur, es ist da. Die Mobster in edlen Mänteln
mit ihren rauen Gesichtern im Schutze der Schatten, die ihre Hüte werfen.
Sie sind da. Prohibitionszeit, alles was dazu gehört, geschobene Boxkämpfe,
korrupte Staatsmächte, Schutzgelder. Es ist alles da.
Damit stecken die Coens drin in der Materie
und jetzt beginnen sie, sie von innen langsam auszuhöhlen und die so geeicht
erscheinenden Strukturen zu zersetzen. Welche Macht stellt ein hiesiger Polizeichief
noch, dessen Machtstellung in eine ironische Unterwürfigkeit verkehrt wird?
Es wird sich gerade auf die Seite geschlagen, welche „die weitaus bessere Lösung“
bietet. Die zutiefst ökonomische Devise eines Kleinganoven beherrscht den
derben Alltag der Stadt, in der sich jeder lieber selbst der nächste zu
sein scheint. Ein außerhalb seiner gesellschaftlichen Umstände isoliert
betrachtetes Milieu, unterwandert vom Opportunismus als Endstufe der Eigennützigkeit.
Eine Frau kann hier selbst auf sich aufpassen und schlägt zu, dass die
Wucht den Kerl nach hinten schleudert. Sie benutzt die Männer für
ihre Interessen und zeigt nur Schwäche, wenn Schwäche bedeutet, den
Abzug nicht betätigen zu können.
Anstelle einer Fehde, die aus Mord, Rache
und Gegen-Rache und so weiter ihre Eigendynamik entwickelt, präsentiert
sich ein verdichtetes Noir-Netz aus fatalen Intrigen mit einem Helden, der keiner
ist. „Niemand kennt irgendjemanden“, wirft dieser Tom Reagan in den Raum. Auch
wir kennen ihn nicht, werden ihn nicht kennen lernen. „Hör auf Dein Herz“
wird auf der Waldlichtung Toms Gewissen angewimmert. Abzudrücken, es ist
nicht so einfach, Tom, wenn der Hinzurichtende das Ende nicht standhaft ertragen
kann. Es wird gewinselt. Dem Tod lässt sich nur kotzend ins Auge blicken.
Mann-Sein ist hier nicht so männlich, wie das Genre es vorschreibt. Der
ikonographische Hut, der den Gangster der 30er, 40er Jahre erst zu einem Gangster
macht und das zwielichtige Gesicht, das manchmal ganz schön blass sein
kann, von seiner Umwelt abschottet, dieser Hut, den Tom in einem Traum in den
Wald davonfliegen sieht, wird besser nicht verloren. Wer den Hut verliert, ist
ein toter Mann.
Daniel Szczotkowski
Miller's
Crossing
MILLER'S
CROSSING
Regie:
Joel Coen
Buch:
Joel Coen, Ethan Coen
Kamera:
Barry Sonnenfeld
Musik:
Carter Burwell
Schnitt:
Michael R. Miller
Darsteller:
Gabriel
Byrne (Tom Reagan)
Albert
Finney (Leo)
Marcia
Gay Harden (Verna)
Jon
Polito (Johnny Caspar)
John
Turturro (Bernie Bernbaum)
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