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Mitte
Ende August
Spät-Slackertum mit semi-abgründigen
Liebeshändeln: Sebastian Schippers "Mitte Ende August"
Eine erst heitere, dann düstere,
dann groteske, dann melancholische Geschichte um Ehe und Liebe, um die Beziehungen
zwischen Menschen, die einander nahe sind, wenngleich vielleicht nicht nahe
genug, oder vielleicht sogar zu nahe, möchte Sebastian Schipper (im Bild)
in "Mitte Ende August" wohl erzählen. Er schickt dafür,
wie es in deutschen Filmen der letzten Jahre ("Sie
haben Knut", "Ferien", nur zum Beispiel) auf so langsam
doch sehr verdächtige Weise in Mode gekommen ist, seine Protagonisten aufs
Land. Er entfernt sie also - äußerlich jedenfalls - aus allen größeren
Zusammenhänge von Gegenwart und Geschichte
und konzentriert sich ganz auf Anziehungs- und Abstoßungskräfte des
künstlich begrenzten und isolierten Personals.
Für Experimentalanordnungen dieser
Art gibt es ein schwerlich erreichbares Vorbild, nämlich den vielleicht
größten Roman deutscher Sprache: die "Wahlverwandtschaften"
von Johann Wolfgang von Goethe. Ihn zu verfilmen, nicht weniger, hat sich Sebastian
Schipper vorgenommen, und schon in den allerersten Bildern wird ein Verfahren
der Anspielung etabliert. Während bei Goethe Eduard nicht nur als Mann
in den besten Jahren, sondern auch als Pfropfreiser aufbindender Gärtner
eingeführt wird, sehen wir Schippers Helden Thomas (Milan Peschel) beim
Blumengießen auf dem Balkon. So wird, nicht nur hier, symbolisch hoch
Aufgeladenes ins Lapidare transformiert. Und natürlich ist schon die Besetzung
des Eduard mit dem Ex-Volksbühnen-Star Milan Peschel ein Akt geradezu brutaler
Entkrampfung.
Sonst aber stimmt die Grundkonstellation:
Ein Paar in den besten Jahren sucht nach Vorgeschichten mit anderen Partnern
einen - allerdings hier: eher temporären - Rückzugsort. Man kauft
ein Haus, richtet sich neu ein. Entwürfe zur neuen Anlage des Lebens wie
der Umgebung werden gemacht. Ruhe will man erst haben, lädt dann aber doch
einen Mann ein, hier ist's Thomas' Bruder (Andre Hennicke), und eine Frau, hier
ist's das Patenkind Augustine (Anna Brüggemann). Der Keim eines Unheils
ist gelegt und das Unglück wächst sich zur Tragödie aus. Hier
nicht ganz so tragisch wie im Roman, aber doch gravierend genug. Die Übertragung
also einer einerseits archetypischen, von Goethe allerdings sehr genau auch
historisch verorteten Vierecksgeschichte. Regietheater, Umkostümierung.
Oder ist das alles bis hierhin vom falschen
Ende her beschrieben? Ist "Mitte Ende August" vielleicht gar keine
Verfilmung? Sondern eine Twenty (Anna Brüggemann)-Thirty (Marie Bäumer)-Forty
(Milan Peschel, Andre Hennicke)-Something-Studie, in die dann, später,
im Film, Gert Voss als Sixty-Something mit der Wildheit der theatererprobten
Rampensau hineinfährt? (In der bunten Vermischung von TV-, Kino- und Theaterstar-
und Starlet-Personal drängt sich wiederum Thomas Arslans unendlich viel
fester gerahmte Land-Etüde "Ferien" zum Vergleich auf.) Aber
warum dann die in der Summe doch sehr konsequenten Roman-Verweise in Verschiebungen,
Verdichtungen, Allusionen? Also die Partnerbäume, die das freilich ungleich
komplexere chemische Gleichnis quasi ersetzen. Also das Boot und der damit verbundene
Namensvorschlag "Blaue Augen", in dem der illegitime Sohn Otto lässig
nebenbei auf-, wenn auch, ungeboren, wie er bleibt, nicht untergeht. Also das
Blumengießen und der Ehebruch, der Hauptmann als Profi und mancherlei
mehr.
Der Vergleich drängt sich unentwegt
auf, weil Schipper unentwegt Bezüge herstellt. Wäre dann aber gerade
die Differenz von Fallhöhe und Ausmaß dessen, was auf dem Spiel steht,
die eigentliche Botschaft des Films? Dass
also, was im Roman strengstens gefügt und Symbol und Unerbittlichkeit ist,
eine Meditation über die unlösbare Verstrickung von Wollen und Trieb,
von Tun und Getriebensein, heute nur noch als handkamerabildförmig gewordenes
Spät-Slackertum mit semi-abgründigen Liebeshändeln denkbar ist?
Kann man das glauben? Nimmt man es Schippers Viererkonstellation ab? Und ist
sie in sich wirklich überzeugend? Als Liebestragödie mit eher heiterem
Beginn, als Beziehungsporträt, als Ferienschicksalsdrama, als Vierecksgeschichte
aus unserer Gegenwart? Und wenn sie als eins davon oder alles zugleich überzeugte
- ich kann's nicht sagen, weil von den "Wahlverwandtschaften" als
Vorlage, wie ich zugebe, von Anfang bis Ende bedrängt -, wozu dann Goethe?
Eine Antwort darauf müsste der Film geben. Mir scheint eher, dass er sie
letztlich verweigert - und darum nicht einmal als das reüssiert, was er
sein könnte, wollte er nicht auf diffuse Weise doch mehr.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen,
anlässlich der Berliner Filmfestspiele 2009, in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Mitte
Ende August
Deutschland 2009 - Regie: Sebastian Schipper - Darsteller: Marie Bäumer, Milan Peschel, Anna Brüggemann, André Hennicke, Gert Voss, Agnese Zeltina - FSK: ab 6 - Länge: 92 min. - Start: 30.7.2009
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