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Mitte
Ende August
In the
Summertime
Sebastian Schippers wunderbarer Film
„Mitte Ende August“
Die Geschichte, die „Mitte Ende August“
erzählt, ist nicht neu. Teile dieser Geschichte haben 200 Jahre auf dem
Buckel, Teile davon dürften noch ein paar Jahrzehnte älter sein, ein
paar Momente jedoch entstammen unserer unmittelbaren Gegenwart. Vielleicht sollte
man es tatsächlich wie der Filmemacher Sebastian Schipper machen: Einfach
mal ein, zwei trendige Bücher weniger in den Urlaubskoffer packen – und
dafür dann „Die Wahlverwandtschaften“ vom ollen Goethe dazulegen. Gemäß
der alten Formel von Angebot und Nachfrage könnte es dann unter südlicher
Sonne mit einer Lektüre funktionieren.
Schipper jedenfalls hat der Romanklassiker
so gefallen, dass er ihn sogleich verfilmt hat. Den ganzen Roman? Nein, nur
ein paar Versatzstücke daraus, deshalb ist „Mitt Ende August“ auch nur
bedingt eine Sternchenthema-Literaturverfilmung, sondern vielmehr ein richtig
guter Film, der sich zudem bestens in die Jahreszeit fügt: „It’s Summertime
and the Living Is Easy!“ Er sei „in die Villa ‚Wahlverwandtschaften’ hineingegangen“
und habe „alles geklaut“, was ihm gefallen habe, hat Schipper offenheraus erklärt.
Gefallen hat dem Fachmann für Männerfreundschaften („Absolute
Giganten“, „Ein Freund
von mir“) vor allem die atmosphärische Dichte des Romans, nicht allerdings
dessen brutale Exekution. Will sagen: in der brandenburgischen Sommerfrische
liegt zwar Liebe in der Luft, aber es geht nicht um Leben oder Tod.
Gleich zu Beginn werden die nicht mehr
ganz jungen Urbanen Thomas (herrlich abgeschlafft und unrasiert: Milan Peschel)
und Hanna (wie immer eine Wucht: Marie Bäumer) reich beschenkt – ein einsam
stehendes Haus irgendwo in der blühenden Pampa der neuen Bundesländer
wechselt den Besitzer – jetzt werden Hanna und Thomas keinen langweiligen Sommer
in der Stadt erleben. Die beiden werden uns als bestens eingespieltes Paar vorgestellt.
Er ein bisschen kindisch und bewusst jungenhaft; sie schon etwas reifer und
eher lebenspraktisch orientiert. Jetzt wird geplant, gewerkelt und instandgesetzt,
der in der Nähe gelegene Baumarkt zur zweiten Heimat.
Dann überrascht Thomas Hanna mit
der Nachricht, er habe seinen Bruder Friedrich eingeladen. Diese Nachricht irritiert
Hanna: Sollte Thomas die Zweisamkeit in der Funkloch-Idylle nicht genügen?
Der Architekt Friedrich (André Hennicke) trifft als Psychowrack ein:
kein Job mehr, keine Familie mehr, Tinnitus. Wenn Friedrich joggt, dann nur,
um nicht Amok zu laufen. Trotzdem ist da etwas in Friedrichs ernsthaftem Wesen,
was in Hanna eine Saite erklingen lässt. Sie erhält für Momente
gewissermaßen eine Außenperspektive auf die Rituale und das Gefüge
ihrer Beziehung: kein schöner Anblick. Nach ein paar Tagen wächst
das Trio dann zum Quartett, als Hannas knapp 20-jähriges Patenkind Augustine
(Anna Brüggemann) eintrifft – das (bekannte) Spiel kann beginnen. Thomas,
im Geiste noch ganz jung, wirft sich Augustine mit Verve vor die Füße.
Sebastian Schipper erweist sich als ungemein
cleverer Dieb in der „Villa Wahlverwandtschaften“, überfordert seine ganz
und gar heutigen Figuren nicht mit der Schwere von Goethes Beziehungschemie,
sondern lässt ihnen genug Luft zu atmen. Dem Film tut diese bewusst gewählte
Freiheit ausgesprochen gut. Man muss sich nur mit Grausen an die hölzerne
„Wahlverwandtschaften“-Verfilmung der Bruder Taviani erinnern, um zu ahnen,
was hier für ein Abgrund an verstaubtem Bildungsbürgertum lauert.
Die Löcher im Gewebe füllt Schipper mit Gegenwart auf, indem er Beziehungsmuster
des Hier und Jetzt beschreibt, insofern liefert „Mitte Ende August“, als etwas
leichtere Variante des penetranten Hinguckens von Maren Ades „Alle
anderen“, neues Material
zur „Grammatik der Gefühle“ der gealterten Bohème der ausgehenden
Nullerjahre.
Allerdings hat „Mitte Ende August“ neben
den engagierten Spiel der Protagonisten und seinen atmosphärischen Bildern
noch zwei Trümpfe in der Hinterhand. Gleich der erste Trumpf sticht: Hannas
Vater erscheint zum 36. Geburtstag auf dem flachen Land. Stilsicher mit Sportwagen,
russischem Supermodel und reichlich Lebenserfahrung, die er auch gerne ungefragt
herausposaunt. Der Theaterstar Gert Voss gibt diesen Vater als Rampensau – und
die beiden jüngeren Männer räumen anstandslos die Bühne.
Zwischen den selbstbewussten Frauen und den vitalen Rentnern wird die Luft dünn.
Dass diese Rentner-Generation auf Kosten Dritter lebt, verschweigt Schipper
nicht. Wer will, kann in dieser Russland-Connection auch einen Hinweis auf Ex-Kanzler
Schröder und andere 68er entdecken. Der zweite beziehungsweise x-te Trumpf
dieses wunderbaren Films ist die äußerst delikate Musik vom Songwriter
Vic Chestnutt, die sich wie von selbst in die wohltuende Unaufgeräumtheit
und leicht erschöpfte sommerliche Ziellosigkeit fügt. Am Ende bleibt
Hanna und Thomas nur ein leises, überraschtes „Hallo!“. Into the great white
open. Oder?
Ulrich Kriest
Dieser
Text ist zuerst (leicht gekürzt) erschienen in der: Stuttgarter Zeitung
am 30.7.2009
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Mitte
Ende August
Deutschland 2009 - Regie: Sebastian Schipper - Darsteller: Marie Bäumer, Milan Peschel, Anna Brüggemann, André Hennicke, Gert Voss, Agnese Zeltina - FSK: ab 6 - Länge: 92 min. - Start: 30.7.2009
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