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Mondo
Cane
„Dokumentar”-Film
als Exploitation
Der Albtraum eines
jeden Ethnologen: Eine Gruppe italienischer Exploitationfilmer schickt sich
an, uns über die Absonderlichkeiten der Menschheit „aufzuklären“.
Der Schnitt wirft uns vom Hundezwinger zu afrikanischen Stammesritualen, vom
US-amerikanischen Hundefriedhof in ein Korallenatoll, in dem Südseebewohner
ihre Toten versenken. Viel Tier- und Menschquälerei und Elend aus der „Hundewelt“
(mondo
cane)
wird präsentiert, mit süffisant-zynischem Kommentar aus dem Off zusammengekleistert,
immer hält die distanz- und gnadenlose Kamera voll drauf. Die Bilder von
den Trinkern auf der Reeperbahn zählen wohl zum Unbarmherzigsten, dem ich
bislang begegnet bin, und, ohne hier falsche Analogien ziehen zu wollen, diese
Inszenierung erinnert, in der Haltung wohlgemerkt, nicht in Bezug auf den Antisemitismus,
an den perfiden Kamerablick von Machwerken wie „Der Ewige Jude“ (1940). Interessant
ist an diesem Kompendium der Verachtung allenfalls, dass es bis zu einem gewissen
Maß eine Aufmerksamkeit dafür erzeugt, was Dokumentarfilme normalerweise
nicht
zeigen. Von allen Bildern, die das Filmteam von Menschen gesammelt hat, sehen
wir immer nur die hässlichsten. Immer den Moment, wenn jemand in der Nase
bohrt; oder jemanden, der unpassend gekleidet ist; der unserer (westlich-)tradierten
Wahrnehmung als ausgesprochen hässlich erscheint. Kurz: all das, was sonst
die Pietät geboten hätte, herauszuschneiden, wird hier Perlen an einer
Schnur gleich aufgereiht. Würde man das Ganze ernst nehmen, so ließe
sich hier nur Menschenverachtung oder besser: Welt- und Menschenhass finden.
Für wen wurde
ein solcher, im Übrigen zu seiner Zeit extrem erfolgreicher Film eigentlich
gemacht? In den Dreck werden fast alle gezogen. Zugute halten könnte man
Jacopetti, Prosperi und Cavara auf den ersten Blick, dass sie auch italienischen
Aberglauben und religiöse Verstümmelungsrituale ausstellen. Andererseits
zeigen sie dies wohl vor allem, weil das Material so leicht zu filmen war (bzw.
im Archiv zu finden). Der Rest ist eurozentristische Verachtung den „Wilden“
der „unterentwickelten“ Länder gegenüber, antiamerikanisches wie antideutsches
Ressentiment (ungewöhnlicherweise findet sich kein Beitrag über französische
„Sitten“ – waren keine Bilder vom Froschschenkel-Essen oder Ähnlichem zu
erhalten?). Aber das Material aus Italien greift entweder die katholische Kirche
an oder es zeigt uns „unterentwickelte“ Süditaliener, was dann auch nicht
mehr verwundert. Letztlich nimmt der Film eine überheblich-norditalienische
Kleinbürgerlichen-Perspektive ein, die jeder Devianz gegenüber nur
Verachtung bereit hält und deren Hass sich, als mondän-dekadente Neugier
verkleidet, in einer arroganten Freakshow äußert. Eine ähnliche
Geisteshaltung wie hier dürfte dem Kolonialismus vergangener Jahrhunderte
zugrunde gelegen haben. Interessant wäre es, herauszufinden, ob „Mondo
Cane“ speziell im Süden oder im Norden Italiens erfolgreich war. Ich weiß
es nicht. Von den Regisseuren und Drehbuchautoren ist jedenfalls nur Cavara
Norditaliener und stammt aus Bologna, Jacopetti wurde im toskanischen Barga
und Prosperi in Rom geboren.
Lange vor jeder
political
correctness
entstanden, wurden die Regisseure dieses Prototyps aller modernen „Shockumentaries“
u.a. in Cannes (1962) für die Goldene
Palme
nominiert und ein Musikstück Riz Ortolanis und Nino Olivieros war 1964
für den Oscar nominiert. Die
italienische Filmindustrie verlieh „Mondo Cane“ 1962 den David
di Donatello
als beste Produktion. Das alles ist im Rückblick fast unfassbar.
Harald Steinwender
Diese Kritik ist zuerst erschienen
bei: http://themroc-filmblog.blogspot.com/.
Mondo
Cane
MONDO
CANE
Italien - 1960 - 108 min. - Literaturverfilmung, Dokumentarfilm
- Verleih: Hermes - Erstaufführung: 14.9.1962 - Produktionsfirma:
Cineriz
Regie: Gualtiero Jacopetti
Buch: Gualtiero Jacopetti, Paolo Cavara, Franco E. Prosperi
Vorlage: Gualtiero Jacopett
Kamera: Antonio Climati. Benito Frattari
Musik: Riz Ortolani, Nino Oliviero
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