zur startseite
zum archiv
Nach
der Musik
„Nein“, sagt der alte Dirigent, „so darfst
Du den Taktstock nicht halten“, und nimmt ihn dem Sohn aus der Hand. Wie ein
verlängerter Arm müsse das Instrument ergriffen werden, „wie ein Holzarm
eigentlich“, erklärt Otmar Suitner vom Ohrensessel aus. Dann kehren sich
die Rollen um und Suitner singt, summt, krächzt eine Mozart-Ouvertüre,
während sein Sohn den Takt dazu schlägt. „Was für ein langsamer
‚Figaro‘, mein Gott“, stöhnt Suitner, lacht aber dabei. Im Wohnzimmer sitzt
kein grantelnder Orchester-Erzieher, sondern der lebenserfahrene, motivierende,
zärtliche Vater. Es ist ein bewegender Moment in Igor Heitzmanns schönem
Porträt des Vaters und Dirigenten; vielleicht auch, weil spürbar wird,
dass die Nähe zwischen Vater und Sohn nicht immer gegeben war. Ihre Zuneigung
scheint eher etwas Gewachsenes. „Er war ein Wochenendvater“, sagt Heitzmann.
Andere Väter und Söhne entfremden sich mit der Zeit, diese haben zueinander
gefunden.
Otmar Suitners Hände zittern. Parkinson.
In den frühen 1990er-Jahren hat ihn die Krankheit gezwungen, mit dem Dirigieren
aufzuhören. Es war das Ende einer außergewöhnlichen Karriere.
Von 1960 bis 1964 war Suitner Chefdirigent der Staatskapelle Dresden; vier Sommer
lang leitete er das Bayreuther Festspielorchester, 1964 wurde er als Generalmusikdirektor
an die Berliner Lindenoper berufen. Sein 1971 geborener Sohn Igor Heitzmann
rollt als Dokumentarist das Dirigentenleben neu auf. Auslöser der Recherche
war das Gefühl, den Vater nicht gut genug gekannt zu haben. Im Off beschreibt
der Sohn, wie er 17-jährig ein Konzert in Ostberlin besucht: „Der Mann
am Dirigentenpult erschien mir wie ein Fremder. In diesem Moment spürte
ich, dass ich den Musiker kennen lernen muss, um dem Vater nah zu sein.“ Neben
Konzert- und Probeaufnahmen gewährt der Film Einblicke in das ungewöhnliche
Privatleben des Dirigenten, wobei Suitner und seine Lieben kein Blatt vor den
Mund nehmen. „Es gab Momente, wo er anderweitig interessiert war, an verschiedenen
Weiblichkeiten“, deutet die Ehefrau Marita Suitner an. Nur eine „Affäre“
ihres Mannes sei ernsthaft gewesen, sagt sie und blickt in Richtung Kamera.
„Die einzige Ausnahme war Deine Mutter, nicht?“ Trotz der Beziehung zur fast
20 Jahre jüngeren Renate Heitzmann hält Otmar Suitner an seiner Ehe
fest. Das Doppelleben wird durch die Teilung Berlins noch erleichtert. Mit Marita,
die als seine Sekretärin arbeitet, lebt Suitner im Osten zusammen. Renate
Heitzmann besucht inkognito seine Vorstellungen an der Staatsoper, nur an Wochenenden
findet ein Zweitfamilienleben in West-Berlin statt. Während langer Konzerttourneen
begnügt man sich mit innigem Schriftverkehr. Wenn Renate Heitzmann schweigend
auf dem Bett sitzt und auf einen am Boden ausgelegten Briefeteppich blickt,
erahnt man die Ambivalenzen solcher Liebesbeziehungen.
Ohne Kommentar schildert Heitzmann eines
der regelmäßigen Familientreffen zu viert beim Italiener. Die beiden
Frauen siezen sich, wechseln nicht viele Worte miteinander. Akzeptanz und Distanz
zugleich, während dem „Stiefsohn“ auch von Seiten der Ehefrau mit Sympathie
und Wärme begegnet wird. Mit bewundernswerter Akkuratesse zeichnet Heitzmann
ein persönliches Bild des Dirigenten, ohne ins Peinliche abzugleiten. Das
hängt auch mit dem integren Charakter Suitners zusammen, der abgeklärt
auf sein Leben zurückblickt. Nicht fehlen darf die Liebesgeschichte, die
ihm in Bayreuth widerfährt, einem Schauplatz, dem Heitzmann sozusagen seine
Existenz verdankt und zu dem er mit den Eltern reist, um zu erfahren, wie es
sich damals zutrug. Wenig dagegen, zu wenig vielleicht, erfährt man über
die Ausnahmesituation eines österreichischen Musikers in der DDR. Suitner
beugt sich einmal über seine Stasi-Akte, redet woanders über die außerordentlichen
Privilegien, die denen eines hohen Diplomaten gleichkamen. Über sein Verhältnis
zu den Machthabern und seine politischen Überzeugungen spricht er nicht.
Man gewinnt den Eindruck, dass der Dirigent, der ursprünglich wegen der
legendären Dresdner Staatskapelle („Ein Klangfarbenrausch. Unerklärlich!“)
nach Ostdeutschland übersiedelte, mit grenzenlosem politischen Desinteresse
gesegnet war und ist. Noch heute lacht er sich indes angesichts der kulturellen
Ahnungslosigkeit der SED-Oberen ins Fäustchen. Anlässlich einer Schallplattenaufnahme
der großen Mozart-Opern wurde „für die Arbeiterklasse“ verlangt,
dass die Stücke in deutscher Sprache eingespielt werden. Man „einigte“
sich auf den Kompromiss, die Da-Ponte-Opern auf italienisch,
„Die Zauberflöte“ und „Die Entführung aus dem Serail“ auf deutsch
aufzunehmen – in den Originalsprachen eben. „Wie blöd die waren!“, bemerkt
Suitner.
Am Ende der vor allem in der Verschmelzung
von Bild, O-Ton und Musik makellosen Annäherung, die mit einer gemeinsamen
Reise in die Tiroler Alpen schließt, steht eine von Heitzmann initiierte
Probe mit der Berliner Staatskapelle. Ein freudiges Wiedersehen mit dem Ensemble
der Staatsoper, das Suitner zwischen 1964 und 1991 leitete. Er wurde krank.
Der Abschied vom Dirigentenpult sollte einer für immer sein. „Aber wenn
Du mich von den Toten auferweckst“, spricht der Vater tirolerisch eingefärbt
und lächelnd, „muss ich halt noch ein bisschen fuchteln.“ Auf dem Probenplan
stehen zwei Lieblingsstücke des Dirigenten: die Es-Dur-Sinfonie von Mozart
und Johann Strauß’ polkaselige „Libelle“. Die Geigen flirren, mit beschwingter
Gelassenheit koordiniert der alte Mann die Klänge. Und die Hände zittern
kein bisschen.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Nach
der Musik
Deutschland
2007 - Regie: Igor Heitzmann – Mitwirkende: Otmar Suitner, Marita Suitner, Renate
Heitzmann, Igor Heitzmann - Länge: 105 min. - Start: 14.5.2009
zur startseite
zum archiv