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Nachrichten
aus der ideologischen Antike
Versteinertes
verflüssigen
"Nachrichten aus der ideologischen
Antike", powered by Sergei Eisenstein: Alexander Kluge, als Filmemacher
der gewitzteste aller Dialektiker, lässt über Karl Marx' "Das
Kapital" nachdenken
Da sitzen sie wieder. An Tischen, in öffentlichen
Räumen, im Hellen, auch mal im Dunkeln, in dem neben den Köpfen ein
Lichtlein brennt. Der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl sitzt da, der schon
lange dabei ist und immer noch wie kein anderer auf faszinierendste Weise schon
mal ganz schönen Blödsinn erzählt. Oskar Negt sitzt da, der zutiefst
sympathische Theoriedialogpartner Alexander Kluges seit Jahrzehnten. Und dann
ist da, unvermeidlich, auch der marxistische Selberdenker und Schriftsteller
Dietmar Dath als vielversprechender Neuzugang. Viele weitere Kluge-Köpfe
treten auf, etwa auch Peter Sloterdijk, der den Dialog mit Kluge weitgehend
verweigert und in Professorenmanier vor sich hin monologisiert.
Mit dabei sind die Dichter Hans-Magnus
Enzensberger und Durs Grünbein. Letzterer liest und interpretiert übers
Telefon in Berlin Bert Brechts brillante Hexameter-Fassung des "Kommunistischen
Manifests". Außerdem: Sophie Rois, im Lachen und Reden und Überlegen
bezaubernd wie je. Absoluter Anspieltipp auch: der Dirigent Johannes Harneit,
der mit ansteckender Leidenschaft die Kompositionsstruktur einer kommunistischen
Luigi-Nono-Oper analysiert. Der große Abwesende bleibt, versteht sich,
Heiner Müller, das von ihm und von uns gegangene Gegenüber des Alexander
Kluge der Neunzigerjahre.
Seit Jahr und Tag sitzen sie da, als Fremdkörper
auf Programm in den privaten Sendern, die Kluge erst nicht kommen und dann zu
ihrem Entsetzen nie wieder gehen sahen. Sie sitzen da und denken und reden,
die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner von Alexander Kluge.
Auch Kluge sitzt da, im Off allermeist, aus dem er als guter Geist immer mitspricht.
Präsent ist er vor allem als Stimme, die niemals verstummt. Als unverkennbare,
leicht heisere Stimme, die längst zum Trägermedium einer einzigartigen
Form tastend und suchend erlangter Erkenntnis geworden ist. Kluge fragt und
drängt und extemporiert freundlich, sucht nicht die Konfrontation, sondern
das Neuland. Kluges Stimme aus dem Off will vom Gegenüber immer nur wissen,
was das Gegenüber womöglich selbst noch nicht weiß. Alexander
Kluge, Autor und Filmemacher, Jurist und gallisches Fernsehdorf in einer Person,
ist kein Nachfolger von Monologikern wie Theodor W. Adorno, in dessen Vorlesungen
er einst saß. Er ist vielmehr ein Erbe des großen Hebammenkünstlers
Sokrates und hat sich zur ihm gemäßen Methode die unbeendbare Dialogik
gewählt.
Da sitzen sie, freilich nicht im Fernsehen
diesmal, sondern auf DVD. Der Suhrkamp Verlag spendiert sich nach neuen Imprints
und Reihen nun auch eine Erweiterung des medialen Sortiments und versammelt
zum Auftakt neue und alte Heroen der Suhrkamp-Kultur. Rund neun Stunden geht
Alexander Kluge unter dem Titel "Nachrichten aus der ideologischen Antike"
auf Sendung, und alles dreht sich um nichts Geringeres als "Das Kapital"
von Karl Marx. Wenn auch nicht ohne weiteres oder einfach so, denn nichts ist
bei Kluge je ohne Brechung.
Der Ausgangspunkt der Recherche, die in
der Form den Fernsehproduktionen Kluges sehr ähnelt, ist vielmehr ein ganz
spezieller Fund. Sergei Eisenstein, der bedeutendste Filmemacher der damals
immer noch jungen Sowjetrevolution, plante im Jahr 1929 wohl allen Ernstes,
"Das Kapital" von Karl Marx zu verfilmen. Es gibt Pläne, Notizen,
es gibt die Idee, die Handlung in Anlehnung an James Joyce' Roman "Ulysses"
auf einen Tag zu begrenzen. Einen einzigen Tag, an dem das Kapital von der ursprünglichen
Akkumulation zum Geld als Realabstraktion inklusive der Verwandlungen in Lohn
und Ware et cetera das von Marx analysierte Triebschicksal der Ökonomie
mit allen theologischen und metaphysischen Mucken exemplarisch durchlebt.
"Nachrichten aus der ideologischen
Antike" ist keine Verfilmung des "Kapitals" und ist auch keine
Rekonstruktion von Eisensteins größenwahnsinnigem Projekt. Es ist
auch kein Film in einem irgend vertrauten, soll heißen: von anderswo als
Kluges Neuerfindung des Fernsehens her vertrauten Sinn. Ein in sich geschlossenes,
nach allen Seiten zugleich offenes "artistisches Kunstwerk" ist das
Ganze dennoch. Als "artistisches Kunstwerk" hat Karl Marx selbst das
"Kapital" bezeichnet, und als solches nimmt Kluge und nehmen beinahe
alle von ihm ausgesuchten Gesprächs-, Gesangs-, Musik- und Denkpartner
es ernst. Sie begreifen Marx' Wurf als eine Art begehbare Installation. Sie
treiben, mithilfe nicht nur, aber auch von Eisenstein Stollen hinein. Sie greifen
Begriffe heraus, den des "Warenfetisch" zum Beispiel, wenden ihn hin,
wenden ihn her, reiben daran, bis er wieder zu glänzen beginnt. Sie bemühen
sich das von der marxistischen Orthodoxie vernutzte und darüber versteinerte
Material ganz im Sinne von Marx wieder in den Aggregatzustand des Flüssigen,
Beweglichen zurückzuverwandeln. Und manchmal springt aus den alten Begriffen
ein Dschinn, der die Gegenwart aufschließen hilft. (Da, neben Joseph Vogl
im Dunkeln, wenn das keine Wunderlampe ist!)
Geradezu unfassbar zeitgemäß
wird das auf den ersten Blick so verschrobene Projekt immer wieder durch den
Bezug auf das Jahr 1929, in dem Eisenstein seine kapitale "Kapital"-Version
plante. Immer wieder gerät durch dies Datum die Weltwirtschaftskrise, die
im Oktober des Jahres ihren Ausgang nahm, in den analytischen Blick. Und alles,
was etwa Sloterdijk hier zum Thema sagt, trifft prophetisch geradezu mitten
hinein in die nach Fertigstellung der "Nachrichten" eskalierte Krise
der unmittelbaren Gegenwart. Und doch reicht Kluges Projekt über alle Tagesaktualität
weit hinaus. Es ist durchaus etwas wie das "Summum Opus" des Fernseh-Kluge,
das die erarbeiteten Formen, die vertrauten Motive und die bekannten Köpfe
nun um ein großes Thema herum anordnet. Durch die Lücke hindurch,
die der Teufel lässt, wird gedacht und geredet, wird zitiert und montiert,
wird auseinandergenommen und wieder zusammengebaut. Das meiste ist geradezu
anrührend Lowtech, die spektakulärsten Spezialeffekte sind fast schon
all die vielen bunten Buchstaben, die beinahe albern diversen Schrifttypen,
mit denen Kluge zwischen den sprechenden Köpfen Sätze auf Schrifttafeln
schreibt.
So gibt es ästhetische Rückgriffe
auf den Stummfilm, aber in einem Filmbeitrag Tom Tykwers zur Herkunft auf der
Straße aufzulesender Dinge immerhin auch einen Ausflug ins digital Virtuelle.
Kluge ist immer hypermodern und wahnsinnig altmodisch zugleich - und so dann
doch der gewitzteste aller Dialektiker. Eben deshalb war er der Einzige, der
in den Achtzigern ausgerechnet das Privatfernsehen als den Ort begreifen konnte,
an dem die Fortsetzung des Filmens und Denkens und Schreibens und Forschens
mit anderen Mitteln möglich ist. Als Dialektiker wie Dialogiker ist Kluge
stets nichtlinear. Alles muss bei Kluge jederzeit die Laufrichtung ändern
können. Nichts ist jemals aus einem Guss, alles bleibt in Bewegung.
Das Unermüdliche, auch das Kollaborative
gehört unabdingbar dazu. Der Vorwurf, er tue immer das Gleiche, ist darum
absurd. Kluge hat im Fernsehen einfach die ihm ganz gemäße Form gefunden.
Nur in den Augen spektakelgewohnter Konsumenten macht sie nichts her. Sie ist
vielmehr, beim Opern- und insbesondere Wagner-Enthusiasten Kluge nicht überraschend,
zwar durch und durch idiosynkratisch, zielt dabei aber immer auf das sich aus
den Einzelteilen fügende Gesamtkunstwerk.
Nicht anders denn als humanistisch ist
Kluges Menschenbild zu beschreiben. Alle Seelenkräfte und alle Sinne will
er mit seinen Kombinationskünsten mobilisieren. Der Betrachter soll hören
und fühlen und niemals soll er denken, ohne dabei zugleich zu begehren
und zu fantasieren. Fiktion und Verkleidung sind neben dem klaren Gedanken,
dem gewagten Wort legitime Mittel der Erkenntnis. Auch der Wahnwitz, auch das
Satyrspiel gehört immer dazu. Es nimmt im Epilog die Gestalt des größten
lebenden Clowns deutscher Zunge an: Helge Schneider fistelt mit Rasputinbart
"Proletarier aller Länder, vereinigt euch". Er macht Quatsch
mit Marx- und Engelszungen und Kluge macht den Quatsch hörbar amüsiert
mit.
So klingt beschwingt aus, was zuvor sehr
viel mehr Höhen als Tiefen hat. Man kann am Ende nur wünschen, es
möge die Stimme des Alexander Kluge, die so viele andere Stimmen sprechen
und singen macht, niemals verstummen.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in der taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Alexander Kluge: "Nachrichten aus der ideologischen Antike". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008, 3 DVDs, ca. 580 Minuten, mit einem Essay von Alexander Kluge., 29,90 €. Ab Mittwoch, den 19. 11.2008, im Laden zu haben
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