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Die
Nacht der reitenden Leichen
Schildkrötenphilosophie
Während
man sich an der Bierflasche vergeht, den Deckel von ihrem Halse entfernt, ist
in einem „Horrorklassiker“ alles für ein satanisches Ritual vorbereitet.
Ritter des Tempelordens, bärtige Männer in weißen Kutten, fesseln
eine schreiende und stöhnende Holde halb entkleidet an ein Andreaskreuz;
es ströme ja junges, unschuldiges Blut in ihr, mit dem sich zu vereinen
ewiges Leben bedeute. Der Zuschauer stimmt den seligen Worten des Zeremonienmeisters
wohlwollend zu und vereinigt sich mit seinem Getreidesaft. Unterdessen haben
zwei berittene Tempelritter unlängst damit begonnen, um die Blonde zu galoppieren
und sie mit ihren Schwertern zu filetieren. Gleich sind auch schon die Brüste
freigelegt. Und das fürchterliche Gekreische der Gepeinigten schallt auf
Todesschmerzfrequenz, als die Klingen in Nahaufnahme in eine elastische, aber
der Schönen nicht gerecht werdende Latexmasse mit falschen Zitzen eindringen,
deren Oberfläche ganz anrührend kläglich menschliche Haut zu
imitieren versucht. Von dem bescheidenen Plagiatkörper wird bald darauf
eine rote Flüssigkeit abgeschleckt, was musikalisch ein pseudookkultes
Gemurmel tiefer Männerstimmen begleitet, das von nun an auch jeden Auftritt
der untoten Templer untermalen wird. Motivieren konnte das freilich nicht. Aber
das Bier schmeckt ganz wunderbar.
Nun
verlassen wir das Mittelalter, befinden uns an einem herrlich sonnigen Tag -
nachdem eine dem Anschein nach völlig aus dem Kontext gerissene Frau mit
falschem grauem Haar grundlos in die Kamera schrie - an einem großen Swimmingpool.
Man möge die Spanier selbst fragen, warum sie so eine Erfrischungsanlage
ausgerechnet zwischen Meeresstrand und Uferpromenade errichten. Für Virginia
und Bella, zwei alte Schulfreundinnen, wird dies jedenfalls der Ort eines plötzlichen
Wiedersehens. Große Freude. Und nach so langer Zeit hat man sich zunächst
natürlich einiges zu erzählen: "Weißt du noch, wie ich
von dir gelernt habe, wie man sich die Wimpern tuscht?" Die spannende Konversation
ist prächtig im Gange, als sie jäh von Roger, dem Freund der Virginia,
unterbrochen wird (wieder so eine Überrumpelung), der gerade aus dem Pool
steigt und sich einen gepunkteten Bademantel überstreift, der gewiss modisch
aussehen will, aber, mit Verlaub, nicht modisch ist. Kurzer Smalltalk und man
hat sich für den nächsten Tag zum gemeinsamen Campen verabredet (Treffpunkt:
Bahnhof). Unterredung beendet. Bella zieht powackelnd von dannen, wirft ihr
Handtuch auf den feuchten Boden und springt wieder in den Pool.
Jetzt
ist man am Bahnhof. Nun im Zug, der sich beinahe im Schritttempo voranschleppt.
Im Wagon sieht man Bella mit Roger und Roger mit Bella flirten. Virginia gefällt
das gar nicht und meint, an die frische Luft zu müssen (Draußen qualmt’s
allerdings, weil die Lok noch mit Heizkohle fährt). Flugs folgt ihr Bella
und erinnert die Freundin an die gute alte Schulzeit. Hierfür greift der
gerissene Regisseur nun auf eine Rückblende zurück, in der es nebelt
wie in der Waschküche. Schon wieder fasziniert die Musik (ein idyllisches,
unbekümmert dudelndes Geleier). Und die beiden Schulfreundinnen in Nachthemden
fühlen sich wohl - auch noch, als sich die Hand der einen langsam zum Oberschenkel
der anderen tastet. Da Virginia kurz darauf jedoch aus dem fahrenden Zug springt,
ist anzunehmen, dass sie das Schwelgen in lesbischer Nostalgie nicht aufheiterte.
Das
Schicksal lässt die Abtrünnige nun durch die Landschaft irren, irgendwann
aber die Ruine der Templerabtei erreichen. Tatsächlich ein Schauplatz mit
Aura, ein Gemäuer, in dem die vom Zug Gesprungene zu übernachten gedenkt.
Durch ein von ihr entfachtes Feuer hindurch beobachtet man sie zwangsweise voyeuristisch
beim Entkleiden und ist geneigt, die Bikinistreifen auf ihrem Gesäß
zu entdecken. Noch bevor Virginia aber einschlummert, ist es Zeit für die
Zombiestunde. Man spürt und sieht, wie es im abteieigenen Friedhof arbeitet.
Nicht lange dauert es, da lugen auch schon die ersten Plastikskeletthände
aus den Gräbern. Einige Minuten später liegt Virginia dann im Leichenschauhaus.
Bella und Roger sollen ihre Freundin identifizieren. Der vollbärtige, mit
Sicherheit nekrophile Leichenwart im Anzug, in dessen Blick sich eine einzigartige
Kombination aus Gier und Wahnsinn manifestiert, bekommt das Okay, die Leiche
aufzudecken. Buh, eine alte Dame kommt zum Vorschein. Der Pathologe bleibt ganz
gelassen: "Das ist sie nicht". Und der Leichenwart guckt wie ein Plötz,
ergötzt sich zugleich aber auch schon am Vorgefühl, gleich wieder
einen Leichnam präsentieren zu dürfen...
Nun
ja, überdies ließe sich noch von unzähligen kleineren Highlights
aus „Die Nacht der lebenden Toten“ berichten, doch wäre das des Berichtens
zuviel. Vielleicht ist die Schildkrötenphilosophie eine Erwähnung
wert. Die Dinge bewegen sich nämlich langsam in diesem Film: Nicht nur
Züge, nein, auch Leichen auf vermummten Pferden, die ausschließlich
in Zeitlupe und dämmerndem Licht auszureiten pflegen. Dieser Film ist im
Grunde eine Antithese von dem, was er vielleicht sein wollte; etwas nicht Definierbares:
zu gruselig für einen Trash-, zu trashig für einen Gruselfilm. Der
Regisseur ist indes wirklich groß auf seinem Gebiet. Aber sein Gebiet
ist freilich klein.
Daniel
Szczotkowski
04/2006
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Die
Nacht der reitenden Leichen
Originaltitel
LA NOCHE DEL TERROR CIEGO
Alternativtitel
LA NOCHE DE LA MUERTA CIEGA
TOMBS
OF THE BLIND DEAD (USA/Großbritannien)
THE
BLIND DEAD
TOMBS
OF THE BLIND ZOMBIES
NIGHT
OF THE BLIND DEAD
CRYPT
OF THE BLIND DEAD
THOSE
CRUEL AND BLOOD VAMPIRES
LA
REVOLTE DES MORTS-VIVANTS (Frankreich)
LE
TOMBE DEI RESUSCITATI CIECHI (Italien)
Land
und Jahr: Spanien, Portugal 1971
Regie:
Amando de Ossorio
Produktionsfirma:
Plata Films S.A. & Interfilme
Produktion:
Salvador Romero & José Antonio Perez Giner (später Chef von
"Profilmes")
Drehbuch:
Amando de Ossorio
Kamera:
Pablo Ripoll
Schnitt:
José Antonio Rojo
Musik:
Antonio Garcia Abril
Special:
Effects Julio Gomez Soria
Ausstattung:
Rafael Ablanque
Außenaufnahmen:
bei Lissabon
Klosteraufnahmen:
bei Madrid - olé!
Darsteller:
Lone Fleming (Betty), Cesar Burner (Roger), Maria Silva (Maria), Helen Harp
[= Maria Elena Arpó] (Virginia), Joseph Thelman [= José Telman],
Rufino Ingles, Veronica Llimera, Simon Arriaga Garibaldi, Francisco Sanz, Juan
Cortes, Andres Speizer, Antonio Orengo, Carmen Cir, José Camoiras u.
a.
deutsche
Erstaufführung: 29.09.1972
Verleih:
Jugendfilm
Format:
1:1,66
Laufzeit:
90 Minuten (deutsche Kino-Version); Originallänge: 101 Minuten
Home-Entertainment
Video:
ITT
Contrast;
VMP;
Atlas;
IMV;
Astro;
V.
Directori Publ.;
Redemption,
Großbritannien (als TOMBS OF THE BLIND DEAD).
Laserdisc:
Elite
Entertainment, USA (als TOMBS OF THE BLIND DEAD; ungeschnittene Widescreen-Version).
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