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Nebraska
On The Road Again
Eine Million US-Dollar hat Woody Grant (Bruce Dern) im Lotto gewonnen. Auf die
Idee, dass dies nur ein Marketing-Gag sein könnte - immerhin hat er nicht
einmal einen Wettschein ausgefüllt -, kommt der alkoholkranke und zunehmend
verwirrte Rentner nicht. Und so beschließt er mangels Führerschein,
den 600-Meilen-Weg von Montana nach Nebraska zu Fuß zu absolvieren. Als
ein Streifenpolizist ihn auf dem Standstreifen aufliest, hat einer seiner erwachsenen
Söhne ein Einsehen. Zwar hat David (Will Forte) selbst genug Probleme,
aber wie könnte er nicht mit seinem alternden Vater einen Wochenendausflug
nach Nebraska unternehmen, wenn dies dessen größter - und vielleicht
auch letzter - Wunsch ist?
Mit "Nebraska" inszeniert der zweifache Oscar-Gewinner Alexander Payne (2011 für "The Descendants" und 2004 für "Sideways") ein melancholisches, oft auch sarkastisches Roadmovie, das Kameramann Phedon Papamichael in wunderbar kontrastreichem Schwarzweiß und überbreitem Scope-Format auf die Leinwand zaubert. So verschroben und liebenswürdig viele der Protagonisten von "Nebraska" sind, breitet Payne, der übrigens selbst aus dem US-Bundesstaat im Mittelwesten stammt, jedoch keine klebrig-versöhnliche Idylle aus. Was zunächst an den lakonisch-verschrobenen Charme des jungen Jim Jarmusch und David Lynchs meditativ-poetisches Roadmovie "The Straight Story" (1999) erinnert, verlässt bald allzu versöhnliche Bahnen und konzentriert sich darauf, in pointierten Einzelepisoden ein bitterböses Porträt der US-amerikanischen Provinz zu entwerfen, deren Bewohner nicht selten von Neid, Missgunst und Doppelmoral angetrieben werden.
So führt die Reise des ungleichen Vater-Sohn-Gespanns, zu dem sich bald auch Mutter Kate (ganz, ganz großartig: June Squibb) und Bruder Ross (Bob Odenkirk) gesellen, zurück in die eigene Familiengeschichte und zu immer neuen Prüfungen des von seinen Eltern entfremdeten, allerdings auch reichlich phlegmatischen Sohnes. Beim Besuch von Woodys tumber Verwandtschaft im Geburtsort der Eltern wird der duldsame David, der bereits auf der Hinfahrt auf Zuggleisen Woodys verlorengegangenes Gebiss suchen musste, zu seinem Leidwesen mit intimen sexuellen Details über seine Eltern konfrontiert. Bald muss er außerdem Verwandte wie Jugendfreunde gleichermaßen von seinem Vater fernhalten. Denn nachdem Woody beiläufig erklärt hat, Millionär zu sein, erinnert sich fast jeder im Ort an angebliche Schulden, für deren Begleichung nun der ideale Zeitpunkt gekommen scheint. Die bucklige Verwandtschaft und eine von Stacy Keach angeführte Rentnergang schrecken dabei nicht einmal vor Erpressung, Raub und physischer Gewaltanwendung zurück.
So unterhaltsam die episodische Handlung ist, ohne Hauptdarsteller Bruce Dern wäre Paynes Film undenkbar. Der mittlerweile 77-jährige Schauspieler hatte seine Karriere in den 1960er Jahren mit Nebenrollen in Fernsehserien, Horrorfilmen und Bikerfilmen wie Roger Cormans "The Wild Angels" ("Die wilden Engel"; 1966) begonnen, bevor er in den 70er Jahren zu einem der Gesichter des rebellischen New-Hollywood-Kinos wurde. Zu Derns ikonischen Rollen dieser Jahre zählt der moderne Noah, der sich in Douglas Trumbulls Science-Fiction-Dystopie "Silent Running" ("Lautlos im Weltraum"; 1972) der Bewahrung der ökologischen Überbleibsel der Erde verschreibt; der verbitterte Vietnamveteran, der in Hal Ashbys Kriegsdrama "Coming Home" (1978) zu dem 68er-Soul-Hit "Time Has Come Today" von den Chambers Brothers in den Freitod geht; und der langhaarige Outlaw, dem es in Mark Rydells melancholischem Spätwestern "The Cowboys" ("Die Cowboys"; 1972) tatsächlich gelingt, John Wayne auf der Leinwand zu erschießen.
Ein Star wurde Dern in seiner mehr als 50-jährigen Karriere jedoch
nie, auch wenn er in fast 100 Kinofilmen auftrat. Nun, am Ende seiner Karriere,
findet er in "Nebraska" seine große Altersrolle. Als stoischer-bockiger
Rentner spielt er noch einmal groß auf, modelliert seine Figur mit kleinen
Gesten und zurückgenommener Mimik, die zugleich die ganze Widersprüchlichkeit
dieses zwischen Starrsinn, Verweigerung und Verwirrung, Renitenz und Impertinenz,
Ruppigkeit und Verletzlichkeit pendelnden Mannes ausdrückt. Allein schon
seine Leistung, auf dem Filmfestival in Cannes 2013 mit dem Schauspielerpreis
ausgezeichnet, lohnt den Kinobesuch und sorgt dafür, dass auch der härteste
Zyniker an dem verhaltenen Happy End, welches das Drehbuch Derns Figur am Ende
zugesteht, kaum herumnörgeln kann. Dass er für eine Hauptrolle in
Tarantinos kürzlich angekündigtem Söldner-Western "The Hateful
Eight" im Gespräch ist, freut da umso mehr.
Benotung des Films: (8/10)
Harald Steinwender
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: www.filmgazette.de
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Nebraska
USA 2013 - 115 min. - Regie: Alexander Payne - Drehbuch: Bob Nelson - Produktion:
Albert Berger, Ron Yerxa - Kamera: Phedon Papamichael - Schnitt: Kevin Tent
- Musik: Mark Orton - Verleih: Paramount - FSK: ab 6 Jahren - Besetzung: Bruce
Dern, Bob Odenkirk, Will Forte, Stacy Keach, Devin Ratray, Rance Howard, Missy
Doty, June Squibb, Melinda Simonsen, Kevin Kunkel, Anthony G. Schmidt, Angela
McEwan - Kinostart (D): 16.01.2014
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