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Nicht mein Tag
So richtig glücklich ist der Sparkassenangestellte Till Reinders nicht. Zwar hat er seiner Kleinfamilie ein Eigenheim hingestellt, das in ein paar Jahrzehnten auch abbezahlt ist, doch die Abschiedsrede seines älteren Kollegen macht ihn dann doch beklommen, als der am letzten Arbeitstag davon schwärmt, wie schön es gewesen sei, sich 40 Jahre im Trott des Immergleichen zu wissen. Mag Till äußerlich auch wie ein Spießer erscheinen, so war er früher doch mal ein richtiger Rocker, auch wenn er seine Träume schließlich aufgab, als er sich fürs Glück im Winkel entschied. Jetzt aber, da sich seine Frau als Handtaschendesignerin verwirklichen will, fühlt sich Till mitunter überfordert und ausgenutzt. Da trifft es sich, dass ihn der Kleinkriminelle Nappo nach einem Banküberfall als Geisel nimmt, um seine Flucht ins französische „Scherburg“ zu sichern.
Der von Kopf bis Fuß tätowierte Proll verachtet den Spießer,
der beim Autofahren Kinder-CDs hört, und der Spießer verachtet den
Proll, der sein Leben nicht geregelt bekommt. Doch man ahnt schnell, dass dieses
ungleiche Duo geradezu füreinander geschaffen ist. Binnen kürzester
Zeit steckt Till, der einst „Till Tiger“ genannt wurde, bis zum Hals im Schlamassel
und muss seine Qualitäten als Fachkraft fürs Kleingedruckte auspacken,
um sich als Zivilist im Kleingangster-Milieu Respekt zu verschaffen. Für
Nappo dagegen führt der Weg nach „Scherburg“ über Amsterdam, wo er
ein Geschäft mit finsteren Albanern abwickeln soll. Nappos milieugerecht
aufgetakelte Freundin Nadine ist davon aber gar nicht begeistert. Für sie
ist Holland wie der Osten, nur im Westen, wie Zuhausebleiben, nur mit Wegfahren,
um den einzigen gelungenen Einfall des Films vor dem Vergessen zu bewahren.
Vor vielen Jahren gelang dem Filmemacher Peter Thorwarth mit „Bang
Boom Bang – Ein todsicheres Ding“ (fd 33 842) ein augenzwinkernder Überraschungserfolg,
der Thorwarth zumindest in den Augen seiner Fans zur Antwort des Ruhrgebiets
auf Tarantino machte. Heute scheint dieser Ruhm bis zum letzten Tropfen aufgezehrt,
wenngleich die Zutaten von „Nicht mein Tag“ Anderes versprechen, handelt es
sich doch um die Verfilmung eines Romans von Ralf Husmann mit Moritz Bleibtreu,
Axel Stein und ein paar bewährten Kräften aus Thorwarths Stock Company.
Der Film fängt allerdings enttäuschend lahm an und wird dann – trotz aller oberflächlichen, den Film auf nahezu zwei Stunden streckenden Action-Szenen – immer lahmer. Was der Inszenierung an „timing“ fehlt, zeigt ein direkter Vergleich mit den Exzessen des fast zeitgleich startenden „The Wolf of Wall Street“ (fd 42 145). Während Till den „Ausflug“ nach Amsterdam erwartbar nutzt, um ein letztes Mal so richtig aus der Rolle zu fallen, kehrt Nappo mindestens ebenso überraschend den moralischen Ehrenkodex des Kleinkriminellen heraus, der es letztlich erlaubt, mögliche schmerzhafte Konsequenzen der zum Amüsement der Zuschauer vorgeführten Entgleisungen schlicht auszustreichen. Da helfen dann auch keine Cameo-Auftritte von Prominenten wie Til Schweiger, Milan Peschel oder Frederick Lau, auch nicht die ästhetischen Verbeugungen vor uralten Video-Clips von The Prodigy („Smack my Bitch up“), eine mit einer liebevoll gestrickten Legende versehene Hardrockband namens „Donar“ oder das pubertär-sexistische Liebäugeln mit dem Vulgär-Transgressiven. Wenn dieser witzlose Aufguss des Allzubekannten eines unmissverständlich klarstellt, dann dies: die Rezepte von „Bang Boom Bang“ sind hoffnungslos in die Jahre gekommen; der alte Schwung ist gänzlich hin.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen im: film Dienst 2/2014
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Nicht mein Tag
Deutschland 2014 - Regie: Peter Thorwarth - Buch: Stefan Holtz - Vorlage: Ralf
Husmann (Roman "Nicht mein Tag") - Produktion: Christian Becker,
Marcus Machura, Peter Thorwarth, Til Schweiger, Tom Zickler - Produktionsfirma:
Donar Film/Westside Filmprod./Deutsche Columbia Pictures Filmprod./Mr. Brown
Ent. - Kamera: Jan Fehse - Musik: Cowboys on Dope - Schnitt: Andreas Menn -
Darsteller: Moritz J. Bleibtreu (Nappo Navroki), Axel Stein (Till Reiners),
Jasmin Gerat (Nadine), Anna Maria Mühe (Miriam), Nele Kiper (Ina), Ben
Ruedinger (Uwe), Kasem Hoxha (Sokol), Bekim Guri (Armando), Tobias Nied (Luan),
Ralf Richter (Langer), Maxwell Richter (Kurzer), Jürgen Rißmann (Bergmeister),
Milan Peschel (Vollbärtiger), Frederick Lau (Plauze) - Länge: 115
Minuten - Verleih: Sony - Start (D): 16.1.2014
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