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Night Moves (2013)
Es ist charakteristisch für die Arbeitsweise von Kelly Reichardt, dass der Höhepunkt ihres neuen Films „Night Moves“ – die Explosion eines Staudamms – im Off stattfindet. Die Kamera fokussiert im Halbdunkel die drei Protagonisten auf der Flucht vom Tatort, als es im Hintergrund knallt. Kritiker haben Reichardts Filme schon als „Anti-Western“ („Meek’s Cutoff") oder „Anti-Thriller“ (jetzt „Night Moves“) bezeichnet, was nicht einmal despektierlich gemeint ist. In ihrem neuen Film zeigt die Independent-Regisseurin nun, dass sie durchaus auch konventionelle Register beherrscht. Die gut zehnminütige Sequenz, die der Explosion vorausgeht, weist einen meisterlichen Spannungsbogen auf, ohne dass Reichardt die Action forcieren müsste. Sie bleibt, wie auch später bei der Explosion, ganz nah an den Figuren. Insofern ist nicht zu viel verraten, wenn an dieser Stelle vorweggenommen wird, dass der Anschlag glückt, er aber ein ungewolltes Todesopfer fordert. Denn einen Genrefilm hat Reichardt mit „Night Moves“ nicht gemacht. Wohl aber, und das hat er mit „Meek’s Cutoff“ und „Wendy & Lucy“ gemein, interessiert sie, wie die politischen und gesellschaftlichen Kräfte im gegenwärtigen Amerika die Leben der Menschen prägen.
„Night Moves“ ist, wenn man so will, Reichardts erster „Themenfilm“. Josh (Jesse Eisenberg) und Dena (Dakota Fanning) sind militante Umweltaktivisten. Sie leben in einem landwirtschaftlichen Kollektiv im Nordwesten der USA, den Raubbau an der Umwelt sehen sie wie fast alle Menschen in diesem grünen Landstrich kritisch. So kritisch, dass die beiden mit Hilfe des Kriegsveteranen Harmon beschließen, zur Tat zu schreiten. Sie planen die Sprengung eines Staudamms, als politisches Statement gewissermaßen. „Lachse sterben, nur damit unsere iPods laufen“, rechtfertigt Josh die militante Aktion. Harmons Motivation bleibt dagegen unklar. Er ist die am wenigsten plausible Figur des Films, wenn man denn Reichardt Charakterisierungen an dramatischen Konventionen messen möchte. Vielleicht beteiligt er sich aus Rache an dem Anschlag, vielleicht will er auch einfach nur etwas in die Luft jagen.
Nicht jede Position muss in Reichardts Filmen in einem psychologischen Muster aufgehen. Auch Josh und Dena sind keine schlüssigen Charaktere, genau darum lassen sie sich aber auch nicht ohne weiteres instrumentalisieren. Reichardt tut einfach, was sie am besten kann. Sie beobachtet. Wie Dinge erledigt werden, wie bestimmte Handlungen unweigerlich Konsequenzen nach sich ziehen. Der landwirtschaftlichen Arbeit in der Kommune etwa widmet sie viel Aufmerksamkeit (sie war die ursprüngliche Inspiration für den Film). Und die Schwierigkeit, 500 Pfund Kunstdünger, der für die Herstellung des Sprengstoffs benötigt wird, ohne Personalausweis und Versicherungskarte käuflich zu erwerben, beschreibt Reichardt als Miniatur-Thriller. Nichts wäre demnach falscher, als ihren Stil mit „Anti-“ zu beschreiben. Sie mag nicht immer das Naheliegende tun – was Filmemachern in der Regie-Klasse einer Filmhochschule (Reichardts Brotjob) gewöhnlich beigebracht wird. Aber ihre Inszenierung folgt einer bestechenden Logik. Die Charaktere sollen sich aus ihren Handlungen heraus erschließen. Oder eben auch nicht.
So wird die Distanz zu den Figuren, die Reichardts Kameramann Christopher
Blaiuvelt ähnlich wie in „Meek’s Cutoff“ manchmal in weiten Einstellungen
einfängt, schon in ihrer teilnahmslosen Verlorenheit spürbar. „Night
Moves“ ist ein kühler Film mit einem heißen Thema. Im Anbetracht
seiner politischen Brisanz wird erstaunlich wenig gesprochen. Am meisten noch
redet die junge Umweltaktivistin, deren neuesten Film sich Josh und Dena mit
einer Gruppe Gleichgesinnter ansehen. Ihr filmisches Plädoyer stellt das
komplette Gegenteil von „Night Moves“ dar, obwohl die Botschaften auf dasselbe
hinauslaufen. Denn an der Richtigkeit von Joshs und Denas politischem Standpunkt
besteht kein Zweifel. Die Frage, die „Night Moves“ aufwirft, ist nicht ethischer,
sondern moralischer Natur. Welche Mittel sind gerechtfertigt, um seine korrekte
Haltung in die Praxis umzusetzen?
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd Film
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Night Moves
OT: Night Moves - USA 2013 - 112 min. - Regie: Kelly Reichardt - Drehbuch: Jonathan
Raymond, Kelly Reichardt - Produktion: Saemi Kim, Neil Kopp, Chris Maybach,
Anish Savjani, Rodrigo Teixeira - Kamera: Christopher Blauvelt - Schnitt: Kelly
Reichardt - Musik: Jeff Grace - Verleih: MFA/Filmagentinnen - Besetzung: Dakota
Fanning, Peter Sarsgaard, Alia Shawkat, Jesse Eisenberg, James Le Gros, Lew
Temple, Katherine Waterston, Logan Miller, Nate Mooney, Clara Mamet, Matt Malloy,
Griffin Newman, Kai Lennox, Barry Del Sherman, Bart McCarthy - Kinostart (D):
14.08.2014
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