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No
Direction Home: Bob Dylan
"I'm
masquerading!"
In einer der stärksten Szenen des
Johnny-Cash-Biopics "Walk
the Line" versucht
sein Manager den Man in Black dem Zeitgeist anzupassen: "Everyone goes
electric!" Als einen Gewährsmann dieses Trends nennt er Bob Dylan.
Doch hätte er kaum ein abschreckenderes Beispiel finden können als
das des Folk- und angeblichen Protestsängers Dylan. Warum ihm so viele
Fans und ehemalige Kollegen seinen Griff zu der elektrischen Gitarre übel
nahmen und wie Dylan dadurch der Ausnahmekünstler wurde, der er heute ist,
erklärt Martin Scorsese in seiner großartigen Dokumentation "No
Direction Home: Bob Dylan".
Alles kreist um jenes berühmte "Royal
Albert Hall"-Konzert, das Dylan am 17.5.1966 in Manchester gab. Nach der
ersten akustischen Hälfte kommt seine Band auf die Bühne. Mit antirhythmischem
Klatschen, Buh- und "Verräter!"-Rufen versuchen aufgebrachte
Fans, Dylan aufzuhalten. Kurz vor Ende dann der legendäre Ausruf "Judas!".
Dylan, gedehnt, zugedröhnt: "I don't believe you." Einige Sekunden
später: "You're a liar!". Zur Band: "Play it fucking loud!"
Und genau so endet das Konzert, mit einer der besten Versionen von "Like
a Rolling Stone" und fucking
loud.
Welch Kontrast dazu die folgenden Szenen.
Dylans Kindheit in Duluth, Nord-Minnesota, von ihm, dem medienscheuen und -verabscheuenden
Rollenspieler, kommentiert. Viele Archivaufnahmen, Werbung, Wochenschauen und
natürlich Musiker, deren Name heute und außerhalb der USA kaum einer
kennt. Zu den berühmteren Minuteneinschnitten gehören der tragikomische
Hank Williams, dann natürlich die Legende und Dylans frühes Vorbild
Woody Guthrie, später auch Cash. Sie alle und viele mehr hat Dylan aufgesogen,
als er im Dezember 1960 nach New York kommt. Hier spielt er sich durch die angesagten
Beat-Kaffeehäuser in Greenwich Village, wird bald entdeckt, spielt das
erste, noch sehr traditionelle Album ein. Schon mit dem zweiten, das vor allem
eigene Kompositionen enthält und damit seine eigentliche Begabung unter
Beweis stellt, gelingt langsam der Durchbruch. Zugleich gärt Amerika: Menschenrechts-
und Antikriegsbewegungen suchen sich ihre Stimme im Folk und finden sie immer
mehr in Dylan. Der Mann, dem jedes Label die Pest ist, bleibt aber trotz anfänglicher
Konzessionen nicht lange dabei, spielt ab '65 mit Band und Elektrogitarre und
wird zur persona non grata in den Reihen der Rebellen, die elektronisch verstärkte
Musik mit Kommerz gleichsetzen.
So stellt uns Scorsese in seiner offenen
Hommage die wichtigsten Jahre in Dylans Karriere vor. Doch Vorsicht: Hier ist
nicht der belehrende Historiker, sondern der sich erinnernde Zeitzeuge am Werk.
Wer die Interviewschnipsel, Auftritte und Privataufnahmen in ihrem Kontext verstehen
will, der sollte sich schon einmal mit Dylan und seiner Zeit auseinandergesetzt
haben, am besten wie Scorsese enthusiastischer Zeitgenosse sein. Für letzteren
sind in ihrer Kürze auch die vielen Aufnahmen gedacht, die Kunde von Dylans
Zeit geben sollen: Der Marsch auf Washington, Newport, JFK und Lee Harvey Oswald
- dies und vieles mehr wird nur in berühmten Aufnahmen verdichtet angedeutet,
eben in Erinnerung gerufen. Heutigen Hörern, deren Dylan sich in einem erstaunlich hohem Maße erfreut, wird die Sprengkraft
der Bilder und die Bedeutung seiner Protestlieder für die dort aufbegehrende
Generation nicht hinreichend deutlich werden.
Darauf aber zielt "No Direction Home:
Bob Dylan" auch nicht ab. Lieber erfreut Scorsese seinesgleichen, den in
die Jahre gekommenen Dylan-Hörer, mit allerlei bis dato unveröffentlichtem
Material und vor allem dem Kommentar des Meisters persönlich. Was das erste
betrifft, so ist "No Direction Home" in der Tat eine wahre Fundgrube.
Dass etwa Robert Zimmermann den Namen Bob Dylan aufgrund antisemitischer Ressentiments
in der Folkszene angenommen haben soll, ist eine originelle These, die Dylan
natürlich nicht kommentiert ("I don't know"). In einer anderen
Aufnahme steht der spindeldürre Dylan - abermals stoned - vor einer englischen
Tierhandlung; dadaistisch spielt er mit den Worten der Reklametafeln, man glaubt
fast, um ein neues Lied zu komponieren. Durchweg beachtlich ist die technische
Qualität dieses Materials, bedenkt man einmal Alter und Zweck dieser Aufnahmen.
Dagegen sind Dylans persönliche Kommentare
- wie hätte es auch anders sein sollen - überaus ambivalent, im Grunde
genommen so nichtssagend wie die früheren absurden Interviews, von denen
einige in "No Direction Home" zu sehen sind. Der vom Leben gezeichnete
Mann nuschelt entweder Altbekanntes in neuer Variation oder schlicht Triviales
in die Kamera. Scorsese macht es ihm darin auch denkbar einfach, indem er schwierige
Themen ausspart oder es bei Dylans sophistischen Antworten belässt. Auf
diese Weise kommt, bis auf die augenscheinlich unhaltbaren Vorwürfe der
ehemaligen Folk-Freunde, keine Kritik auf an Dylan. So wird sein rüdes,
undankbares Verhalten gegenüber Joan Baez, einer Protest-Ikone, die seinen
Ruf durch gemeinsame Auftritte befördert hat, die er aber später hat
fallen lassen, - beiden sichtlich peinlich - unter den Tisch gekehrt. Dylans
Kommentar entbehrt immerhin nicht seines berüchtigten Humors: "You
can't be wise and in love at the same time".
Dass Scorsese der Kritik gegen Dylan wenig
Aufmerksamkeit schenkt, mindert nicht den Stellenwert seiner Hommage. Über
das Sentimentale und das Sammeln von Kuriosa hinaus gelingt es ihm, Dylans Erfolgskonzept
herauszustellen. Eben weil dieser sich nie von irgendjemanden
- Freunden, Industrie oder Presse - ein Brandzeichen hat aufdrücken lassen,
hat er die zeitlose Bedeutung erlangt, die ihm heute von allen Seiten zugestanden
wird. Er selbst hat das schon sehr früh zu erkennen gegeben, so etwa während
des "Philharmonic Hall"-Konzerts 1964 in New York. Dort sagte Dylan,
es sei Halloween und er habe deswegen seine Bob-Dylan-Maske an. "I'm masquerading!".
Sprach's, lachte und spielte das nächste Lied.
Wertung:
* * * * * (5 von 5)
Thomas Hajduk
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.filmrezension.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
No
Direction Home: Bob Dylan
USA
2005, 208 Minuten
Regie:
Martin Scorsese
Musik:
Bob Dylan
Kamera:
Mustapha Barat, Maryse Alberti, Oliver Bokelberg, Anghel Decca, Ken Druckerman,
Ellen Kuras, James J. Miller, James Reed, Lisa Rinzler, Michael Spiller
Schnitt:
David Tedeschi
Mitwirkende:
Bob Dylan, B. J Rolfzen, Dick Kangas, Liam Clancy, Tony Glover, Allen Ginsberg,
Dave van Ronk, Maria Muldaur, Bruce Langhorne, Suze Rotolo, Peter Seeger, John
Hammond, Mavis Staples, Joan Baez, Peter Yarrow, Bob Neuwirth, Al Kooper u.a.
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