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Nothing
Personal
Eine
junge Holländerin gönnt sich eine Auszeit. Sie hat ihre Amsterdamer
Wohnung leer geräumt, persönliche Sachen verschenkt. In der Wildnis
der westirischen Küstengegend Connemara hofft sie, endlich Distanz zum
Alltag und dem Ende ihrer Ehe zu finden. Sie wirkt nicht verzweifelt, nur müde.
Regen und Wind machen ihr nichts aus. Die Anwesenheit von Menschen ist ihr zuwider,
lässt sich aber mit dem Verzicht aufs Trampen umgehen. Was sie sucht, ist
Stille und Einsamkeit. Ein Ziel gehört nicht dazu. Als entfernte Verwandte
von Sandrine Bonnaire in Agnès Vardas Klassiker „Vogelfrei“ (fd
25 543) genießt sie sichtlich den Zustand der Verwahrlosung einer Rebellin
auf Wanderschaft, die bewaffnet mit Zelt, Schlafsack, feuerroten Haaren und
einem abweisenden Blick dem Funktionsmodus eine Absage erteilt. Ganz entkommt
Anne aber auch hier der eigenen Spezies nicht. In einem abgelegenen Haus trifft
sie auf einen intellektuellen Sonderling, der ihr gegen Gartenarbeit Essen und
Logis anbietet. Einzige Bedingung: Persönliches soll außen vor bleiben,
schließlich gilt es, den mit Büchern, Musik und gutem Essen strukturierten
Tagesablauf zu bewahren. Das emotionslose Abkommen kommt ihr wie gerufen. Dass
sich das Verbot nicht einhalten lässt, zumal gerade die selbst auferlegte
Einschränkung Neugierde weckt, erweist sich nicht nur als eine dramaturgische
Notwendigkeit. Es ist der Beginn einer in fünf Kapitel nach Beziehungsstadien
sezierten Annäherung zweier Einzelgänger, die Stephen Rea und der
mit einem rätselhaften Maskengesicht gesegneten Entdeckung Lotte Verbeek
die Gelegenheit zum ganz großen Schauspieler-Duell bietet, äußere
und innere Metamorphose inbegriffen.
Dass
das herausragende Kinodebüt von Urszula Antoniak 2009 in Locarno fünf
Preise abräumte, ist kein Wunder. Die polnischstämmige Regisseurin
mit Wohnsitz in Holland macht aus ihren Kommunikationsverweigerern keine Helden
gegen den digitalen Zeitgeist, eher Freiheitssuchende, die das Glück in
der Abwesenheit von Freunden, Familie und sozialer Bindung wähnen – und
erleben müssen, wie ihre autistische Schutzmauer allmählich Risse
bekommt. Dazu passt, dass sich Antoniak einem psychologischen Steckbrief verweigert.
Viel lieber konzentriert sie sich mit langen Einstellungen, kaum merklichen
Naturgeräuschen und knappen Dialogen auf ihre reduzierten Mittel und beobachtet
das Paar dabei, wie es inmitten einer eifersüchtig dazwischen funkenden
Natur seine Zweckgemeinschaft begräbt. So karg die Inszenierung anmutet,
der ausufernde Reichtum an Bildern ist es nicht. Ob mystisch aufblühende
Landschaften oder tröstend gedämpfte Farben: Treffender lässt
sich das seelische Aufwärmprogramm wohl nicht in der Außenwelt widerspiegeln.
Dass die Harmonie von Bild- und Tonsprache auch noch ohne Rückgriff auf
Sentimentalität gelingt, macht das Zweipersonen-Drama zu einem Glücksfall,
vor dessen Folie das in der Schwebe belassene Ende nur konsequent erscheint.
Alexandra
Wach
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Nothing
Personal
Irland
/ Niederlande 2009 - Regie: Urszula Antoniak - Darsteller: Lotte Verbeek, Stephen
Rea - FSK: ab 6 - Länge: 85 min. - Start: 8.4.2010
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