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Old
Joy
In die
Natur
Wie zwei Freunde einander nichts mehr
zu sagen haben, zeigt mit dem Gespür für Nuancen Kelly Reichardts
gefeierter Independent-Film "Old Joy" mit „Bonnie
Prince Billy“- Wild Oldham
in der Hauptrolle.
Mark (Daniel London) und Kurt (Will Oldham)
sind Freunde, von früher her. Mark hat geheiratet und wird Vater, ihn sehen
wir, im Eigenheim mit Ehefrau, zuerst. Kurt ist allein, ohne Job und ruft bei
Mark an, um zu fragen, ob sie nicht einen Ausflug machen wollen in die Natur.
Marks Frau ist alles andere als begeistert, aber er sagt zu. Ohne aufdringlich
zu sein, webt der Film eine dichte Textur aus nur kurz zu sehenden Bildern,
aus Eindrücken und Gesichtern, ausgestatteter Wohnung und Rasenmähen,
Telefondrähten und Worten. Dann verlässt Mark diese dichte Textur,
in die er hineingewoben scheint, er verlässt sie, als koste es ihn einige
Überwindung, und eben darin, in der Kraft, die der Entschluss fordert,
liegt, denkt man, für ihn kein geringer Reiz. Er packt den Hund ein, fährt
zu Kurt, der kauft noch eine Ration Marihuana. Im Autoradio wird über Politik
gesprochen, Lyndon B. Johnson, Schnitt, den Zustand der amerikanischen Demokratie,
Schnitt, und so weiter, Schnitt. Die beiden fahren raus aus der Stadt, ins Grüne,
die Kamera, deren Blicke nicht auf die der einzelnen Personen zu verrechnen
sind, zeigt Telefondrähte und ausdünnende Zivilisation, die am Straßenrand
liegt.
Die beiden sprechen nicht viel. Die Kamera
blickt mal auf sie, mal aus dem Fenster des Autos, mal schweift sie etwas weiter
davon. Im Autoradio kommt bald nichts Vernünftiges mehr. Das dauert so
lang, das Hinausfahren aus der Stadt, dass man bald auf die Idee kommt, auf
diese Dauer komme es an. Das Gewebe der Zivilisation wird dünner, die Atmosphäre
wird kühler, nur hin und wieder noch am Straßenrand Telefondrähte.
Sonst Baum um Baum und Wald um Wald, keine Autos auf verlassener Straße.
Auf der Tonspur setzt sparsam-melancholische Gitarrenmusik ein. Sie ist von
Yo La Tengo, die den Soundtrack zu "Old Joy" geschrieben haben. Kurt,
der zu wissen glaubt, wo es langgeht, weiß dann doch nicht so genau, wo
es langgeht. Sie verpassen die Abfahrt, es wird dunkel und Nacht. Sie bauen
ihr Zelt auf im Irgendwo, sie schlafen mit Hund im Zelt und als sie aufwachen,
liegt überall Müll um sie herum. Von der Natur sollten wir uns, scheint
"Old Joy" zu sagen, keine falschen Vorstellungen machen. Und auch
von der Freundschaft nicht.
Ab und zu klingelt das Mobiltelefon, Marks
Mobiltelefon, und seine Frau ist dran. Er geht dann weg. Raus aus dem Auto,
raus aus dem Cafe und Kurt sitzt dann da, allein, schweigend im Auto, macht
zur Kellnerin einen Witz. Sie finden die Stelle, die Kurt gesucht hat, da sind,
sie haben es zuvor übersehen, Pfeile an Bäumen. Mark, der unter die
Haube gebrachte Ex-Slacker (so reimt man es sich jedenfalls zusammen), erzählt
von seinem ehrenamtlichen Engagement. Kurt, der Slacker, aus dem kein nützliches
Glied der Gemeinschaft geworden ist, lobt ihn dafür. Eine Hütte im
Wald, davor Wannen aus Holz, ausgehöhlte Baumstämme. Mark und Kurt
schütten Wasser hinein in die Wannen. Sie ziehen sich aus. Sie legen sich
hinein in die Wannen mit Wasser in Stämmen. Nach den Komplexitäten
des Beginns ist der Film inzwischen sehr parataktisch geworden zur Yo-La-Tengo-Musik.
Dann aber verlässt Kurt die Wanne und Mark bleibt noch liegen. Kurt erzählt
eine Geschichte von einem Mann, dem er mehrfach begegnet, eine Geschichte, die
gar nicht wirklich eine Pointe hat, aber sie hört fast nicht mehr auf.
Zwischendurch lacht Mark einmal, wie beseligt, aber ob er damit auf die Geschichte
reagiert oder ob er an ganz etwas anderes denkt: das bleibt unklar.
Dann nähert sich Kurt Mark von hinten,
gibt ihm eine Massage. Erst ist Mark irritiert, dann entspannt er sich. Ob Kurt
vielleicht schwul ist, was er sich denkt und was Mark sich denkt, all das bleibt
unausgesprochen. Überhaupt ist "Old Joy", einer der von der Kritik
am meisten gefeierten amerikanischen Independent-Filme der letzten Jahre, insgesamt
eine Etüde übers Unausgesprochene. Er ist aber, darin liegt seine
große Stärke, sehr präzise darin, wie er die Dinge unausgesprochen
lässt. Die Melancholie, die der Film verbreitet, verdankt sich deshalb
zum Beispiel der Genauigkeit, mit der er zeigt, wie Will Oldham (ja, der Will
Oldham: Palace, Bonnie
Prince Billy etc.) seine
Haschpfeife raucht, wie er tonlos aus seinem Bartverhau heraus spricht; aber
auch dem - allerdings fast schon wieder überdeutlichen - Verzicht auf jede
Überdeutlichkeit. Nie kommt es zwischen den beiden, auf der Fahrt, im Zelt,
in der Wanne zum Streit. Sie verabschieden sich freundlich. Mark fährt
zur Ehefrau nach Hause. Die letzten Bilder zeigen Kurt dann allein. Auf keine
Seite schlägt sich der Film, dem es genügt, Stimmungen und Atmosphären
zu erzeugen und darin eine schwer auf Worte zu bringende Trauer, die sich nicht
abschütteln lässt.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.perlentaucher.de
Old
Joy
USA
2005 - Regie: Kelly Reichardt - Darsteller: Daniel London, Will Oldham, Tanya
Smith, Robin Rosenberg, Keri Moran, Autumn Campbell, Steve Doughton, Jillian
Wieseneck - Fassung: O.m.d.U. - Start (D): 23.10.2008
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