zur startseite
zum archiv
zu den essays
Only God Forgives
Blutrünstiges Rache- und Vergeltungsdrama, in dem ein junger Amerikaner in Bangkok auf Druck seiner Mutter den Tod seines älteren Bruders rächen soll, der seinerseits für den Mord an einer minderjährigen Prostituierten niedergestreckt wurde. Im Hintergrund zieht ein gottgleicher Polizist die Fäden, der mit dem Schwert für Ordnung sorgt. Motive der griechischen Tragödie und aus den Dramen von Shakespeare werden so weit trivialisiert, dass sie ins Gewand eines Exploitationfilms passen, der seinerseits mit den Mitteln des elaborierten Arthouse-Kinos auf Hochglanz poliert wird.
Dieser Film ist eine Provokation. Allerdings weniger für das
Publikum, das sich vom Namen des Hauptdarstellers Ryan Gosling ins Kino locken
lässt. Sondern eher für jene, die „Drive“ (fd 40
864) von dem dänischen Underground-Filmemachers Nicolas Winding Refn als
eine Lehrstunde in Sachen Coolness und Style gefeiert haben. Wer hingegen mit
Refns Filmen (u.a. die „Pusher“-Trilogie oder „Walhalla Rising“) vertraut ist, muss
dem Film-Punk wohl recht geben, der „Only God Forgives“ als eine Art Zusammenfassung
seiner bisherigen Filme begreift: „Ich glaube, dass ich mit Hochgeschwindigkeit
auf eine kreative Kollision zusteuere, um alles um mich herum zu verändern.“
Tatsächlich scheint Winding Refn seine Eigenarten hier bis an die Grenze
zu treiben: das fatalistische Gangstermilieu, die exzessiven Gewaltdarstellungen,
die labyrinthische Inszenierung von Räumen, die forcierte Farbdramaturgie
und eine Vorstellung von Männlichkeit, die zu gleichen Teilen mythisch
wie parodistisch erscheint.
Alles ist hier von einem unbedingten Stilwillen dominiert, der gerade
eben noch so kontrolliert ist, dass es nicht ins unfreiwillig Komische umschlägt.
Der Film erzählt im Grunde recht sentimentale Familiengeschichten, die
allerdings in einem Martial-Arts-Film gefangen sind und nach dessen blutigen
Genreregeln (plus bizarren Karaoke-Einlagen) exekutiert werden. Zwei ungleiche
Brüder betreiben in Bangkok ein Studio für Thai-Boxen, finanzieren
sich aber hauptsächlich durch Drogenhandel. Als der ältere Bruder
Billy eine minderjährige Prostituierte vergewaltigt und tötet, erhält
deren Vater vom pensionierten Polizisten Chang die Erlaubnis, seinerseits Billy
tot zu schlagen. Anschließend bestraft Chang den Vater grausam dafür,
seine Aufsichtspflicht vernachlässigt zu haben. Als der jüngere Bruder
anscheinend nicht auf die Ermordung Billys reagiert, tritt die Mutter Crystal
auf den Plan, ein vulgäres Mutter-Monster, das unerbittlich Rache einfordert.
Eine Rachegeschichte zwischen zwei Familien, eine dominante Mutter,
Inzest-Anspielungen, ein zögerlicher Thronfolger, die Nemesis in Gestalt
Changs – ganz offenkundig hat sich Winding Refn bei den elementaren Mythen der
griechischen Tragödie und den Dramen Shakespeares bedient, ihre Motive
aber soweit verdichtet und trivialisiert, bis sie ins enge Korsett eines Exploitationfilms
passen, der dann allerdings wieder mit allen Wassern des elaborierten Arthouse-Kinos
auf Hochglanz poliert wurde. Hier wird entweder ausdauernd geschwiegen oder
hingebungsvoll geflucht, hier kommt der Tod nur selten ohne ausdauernde Qualen,
hier werden Blutspritzer zu Wanddekors, hier träumen erwachsene Männer
nicht nur von der Rückkehr in den Mutterleib, sondern legen aktiv Hand
an, hier tastet sich die Kamera immer wieder mutig in dunkle Gänge, in
denen vielleicht der Sinn des Ganzen verborgen ist.
Am Ende ist die Abfolge der Racheakte erschöpft. Vergeben hat hier niemand,
denn auch Julian, der einst auf Geheiß der Mutter seinen Vater tötete,
hat Schuld auf sich geladen – und sei es nur durch seine Passivität. Das
Ganze inszeniert Winding Refn durchaus passend eher als Atmosphäre denn
als Geschichte, voller Zitate und Anspielungen aus Film-, Fotografie- und Literaturgeschichte,
wobei die Kameraführung, die kongenialen Sets und nicht zuletzt der Score
von Cliff Martinez dafür sorgen, dass diese eigensinnige Abfolge von Tableau
vivants eher fasziniert als abstößt. Die idiosynkratische Kino-Kino-Welt
von Nicolas Winding Refn, selbst eine Art humorlos-verspielter Karaoke, sollte
damit ausgeschritten sein; auf seinen nächsten Film darf man indes richtig
gespannt sein.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: filmdienst 15/2013
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Only God Forgives
Frankreich / Dänemark / Thailand 2013 - 90 min.
Regie: Nicolas Winding Refn - Drehbuch: Nicolas Winding Refn - Produktion: Lene
Børglum - Kamera: Larry Smith - Schnitt: Matthew Newman - Musik: Cliff
Martinez - Verleih: Tiberius Film - FSK: ab 16 Jahren - Besetzung: Ryan Gosling,
Kristin Scott Thomas, Tom Burke, Yayaying, Sahajak Boonthanakit, Vithaya Pansringarm,
Gordon Brown, Joe Cummings, Oak Keerati
Kinostart (D): 18.07.2013
zur startseite
zum archiv
zu den essays