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Operation
Walküre
– Das Stauffenberg-Attentat
(drei Kritiken von Georg Seeßlen)
1)
Bryan Singer dreht mit Tom Cruise einen
Film über den deutschen Widerstand. Als Schachspiel und Comic
OPERATION WALKÜRE entstand »nach
einer wahren Geschichte«. Das sollte Warnung und Beruhigung sein: Es ist
ein Film, der sich der Geschichte des Oberst Stauffenberg und seines gescheiterten
Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 bedient. Kein Film mit dem Ehrgeiz, diese
Geschichte historisch genau wiederzugeben, sie neu zu bewerten. OPERATION WALKÜRE
will zunächst einmal nach den Regeln von Suspense, Continuity, Effekt und
Emotion funktionieren. Alles andere findet sich eine semiotische Schicht tiefer.
Das Problem dabei ist freilich, dass sich
dieser Film nicht an irgendeiner Geschichte aus der Historie bedient, sondern
an einem nationalen Mythos. Der 20. Juli ist die Erzählung des Widerstands,
auf die sich die deutsche Nachkriegsgesellschaft geeinigt hatte. Und wie es
bei nationalen Mythen der Fall zu sein pflegt: Allzu genau darf man die Helden
und ihre Motive nicht ansehen. Deshalb wird eine solche Erzählung gehütet.
Sie darf nicht Kolportage, Schundroman, Trash und Pop werden. Sie darf nicht
»von außen« gesehen, nicht aus dem nationalen Besitz entwendet,
»entlarvt« werden. Und sie darf nicht von einer anderen Art Ideologie
besetzt werden. Gegen alle diese Gebote des nationalen Mythos verstößt
nun Bryan Singers Film, und er belegt, dass in der globalen Pop-Kultur nationale
Mythen nicht mehr sicher sind.
Singer hat sich durch trickreiche Krimis
und vor allem nicht unintelligente Comicverfilmungen einen Namen gemacht. Genau
so funktioniert auch sein Stauffenberg-Film: Als kühle Konstruktion eines
sehr großen Coups. Und als Auflösung des Geschehens in Bildern mit
klaren Strukturen und hohem Zeichenwert. Fast alles in diesem Film wird in gebrochenen
Perspektiven, extremen Naheinstellungen, kantigen Schnitten erzählt. Der
Mythos fließt nicht, er wird zerhackt.
Worum es geht, das ist in der Tat die
Planung und Ausführung nicht nur eines Attentats, sondern vor allem eines
Staatsstreiches. Der Oberst Graf von Stauffenberg des Tom Cruise ist so wenig
in seinem menschlichen und politischen Werdegang »erklärt«,
wie er um Sympathie buhlt. Er ist der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen
Ort, aber gebrochen und versteinert wie Randolph Scott in einem Budd-Boetticher-Western.
Der Mann, der tut, was getan werden muss, der X-Mann unter andern X-Männern,
ist nicht erfüllt. Nach seiner Verwundung in Afrika erkennt dieser Stauffenberg,
dass er selbst die Sache durchziehen muss, in einer Welt der Zögerer und
Korrupten. Stauffenberg/Cruise agiert wie ein Agent, ein Mann mit wenigen Eigenschaften
- der Suspense entsteht hier nicht aus der Identifikation mit der Figur, sondern
aus dem fast kühl dargebotenen Spiel. Die Tragödie ist, es hätte
klappen können. Sie liegt in der Geschichte, nicht der Person, und darin
liegt der radikalste Bruch mit dem Mythos.
Doch wenn der Film zugleich als Schachspiel
und Comicstrip funktioniert, soll das nicht heißen, er habe keine emotionalen
Momente. Sie sind allerdings verdichtet in Gesten, im Gebrauch von Symbolen.
So wird sehr konsequent mit der Einäugigkeit des Helden gespielt. Auch
die übrigen Verwundungen sind Metaphern, und als er einmal streng aufgefordert
wird, den Hitlergruß zu erwidern, reckt Stauffenberg seinen Arm mit dem
Stumpf empor. Es ist kein »ganzer Mann«, der gleich zwei Rollen
übernehmen muss: als Mann der Tat das Attentat ausführen, als Mastermind
der Verschwörung die Entmachtung der Gegenspieler durchführen.
Von da an gibt es die unterschiedlichsten
Lesarten. Western, Lehrbeispiel für den gut geplanten Staatsstreich, Gruppendynamik
statt Individualpsychologie (Howard Hawks statt Leni Riefenstahl), aber auch
die Veräußerung des Mythos, große Oper. Manchmal werden die
Hinweise viel intelligenter gegeben, als es das Genrehafte der Oberfläche
erweisen will. Stauffenberg kann von Hitler die Unterschrift unter den Walküre-Plan
nur ergattern, weil er die Zustimmung über dessen Leidenschaft für
die Opernwelt Wagners erlistet. Damit wird der immer wieder zitierte Subtext
verbindlicher, als nur als Kolorit zu wirken. Überrascht wird sein, wer
die Elemente der »Walküren«-Oper mit dem Plot und den Charakteren
des Films abgleicht!
Und der »Skandal«, den der
Film im Vorfeld ausgelöst hat? Die Empörung über die Hollywoodisierung
der deutschen Geschichte, über den Scientologen in der Rolle des deutschen
Widerstandshelden, die »Entweihung« der Originalschauplätze,
all das Raunen zu einem Attentäter, der nicht war, was man einen aufrechten
Antifaschisten nennen könnte? Das ist eine ganz andere Geschichte. Mit
Bryan Singers Film hat sie wenig zu tun.
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 1/2009
2)
Der
einäugige Held
Der Versuch des Obersten Graf Stauffenberg,
am 20. Juli 1944 den »Führer« Adolf Hitler zu töten, ist
ein nationaler Mythos des Widerstands. Der symbolische Eigenwert dieser tapferen
Tat überlagert die Frage nach der politischen Biographie des Helden, nach
dem Denken und der Absicht der Verschwörer, nach System und Opposition
überhaupt. Der Held des militärischen Widerstands vereint, so ist das eben mit Mythen, den Bruch und die Kontinuität.
Er soll, im Nachhinein erzählt, heilen, nicht wehtun. Wir haben uns hierzulande,
mit anderen Worten, so zwischen Schulbüchern und Kino, mit einem perfekt
unverbindlichen Bild eingerichtet. Zweifel daran sind zwar nicht verboten, aber
auch nicht erwünscht.
Darf nun ein amerikanischer Regisseur,
der wie Bryan Singer bisher vor allem durch Comic-Verfilmungen wie »X-Men« und »Superman
Returns« bekannt
wurde, diesen so bedeutenden, wenngleich erfolglosen Splitter der deutschen
Geschichte verfilmen? Mit einem Darsteller wie Tom Cruise, der erst durch »warnography«-Filme
wie »Top Gun« zu zweifelhaftem Ruhm kam, sich dann schauspielerisch
bei Barry Levinson, Martin Scorsese oder Stanley Kubrick rehabilitierte, um
schließlich, neben den üblichen Scheidungskriegen, vor allem durch
seine Rolle bei »Scientology« Schlagzeilen zu machen? Und dürfen
sie das mit den traditionellen Mitteln des Spannungskinos, wie eine Mischung
aus Agententhriller, caper movie und B-Western? An Originalschauplätzen,
mit englischen und deutschen Schauspielern von Kenneth Brannagh bis Christian
Berkel, mit frischgewaschenen Hakenkreuzfahnen und Kunstblut?
Klar dürfen die das. Und was dabei
herauskommt ist etwas sehr Merkwürdiges. Nämlich ein Film, der in
erster Linie perfekt funktionierendes Kino ist, das genau so perfekt, aber weniger
kontrovers funktionieren würde, wenn es nicht um historische Vorbilder
ginge, sondern um ein in einem mehr oder weniger phantastischen B-Film verpacktes
politisches Modell vom Widerstand in einem terroristischen, dem Untergang geweihten
und dabei furchtbaren Regime. Und ein Film, der vielleicht gerade dadurch einen
neuen Blick ermöglicht, dass er in einer sehr entfernten Erzählweise
den deutschen Mythos nachspielt. Als amerikanischen Film-Comic.
Das beginnt damit, dass Singer sich weniger
für die symbolische Geste interessiert, als vielmehr für die Technik
der Verschwörung. Der Oberst Graf von Stauffenberg des Tom Cruise ist so
wenig in seinem menschlichen wie in seinem politischen Werdegang »erklärt«,
wie er irgendwie um Sympathie oder Verständnis buhlt. Er ist der richtige
Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort, man muss ihn deswegen nicht mögen.
Der Mann, der tut, was getan werden muss, der X-Mann unter anderen X-Männern.
Nach seiner Verwundung in Afrika erkennt er, dass er selber die Sache durchführen
muss, in einer Welt der Zögerer, der Korrupten und jener, die sich an Befehle
und Eide gebunden fühlen. Der Hitler in Singers Film ist wiederum schon
ein so gebrochener Mann, dass man fast glauben möchte, er sehne sich den
Tod durch die Hand des jüngeren Helden herbei. Und Stauffenberg/Cruise
agiert ab da wie ein Agent, ein Mann mit wenigen Eigenschaften (der seine Frau
und seine Kinder liebt, gewiss). Spannung entsteht nicht aus der Identifikation
mit ihm, sondern aus dem fast kühl dargebotenen Spiel selber. Die Tragödie
ist, es hätte klappen können.
Der ganze Film ist gleichsam »halbnah«
erzählt. Das »große Bild« - die (faschistische) Masse,
der Krieg – kommt nicht wirklich vor. Der Fliegerangriff in der afrikanischen
Wüste am Beginn nach einem ersten Versuch, die Notwendigkeit des Widerstands
zu begründen, das genügt. Ebenso werden die Verbrechen der Nazis und
die Trümmerfelder des Jahres 1944 ausgestellt, nicht einmal das übliche
Brüllen und Hackenschlagen wird weiter strapaziert, nicht das Klischee
der »Dämonen« und nicht das der »Clowns« wird bedient
(vor allem sehen wir machtbesessene Technokraten am Werk). Es ist der Kampf
einer Gruppe von Männern gegen ein mächtiges, böses System. Gegen
ihr mächtiges, böses System, um genau zu sein.
Aber auch die Detailaufnahme ist hier
nicht der ikonografische Fetisch, sondern immer zugleich Symbol und Teil der
Handlung. (Ein Glasauge, zum Beispiel, bezeichnet ganz direkt die Einäugigkeit
des Helden – vielleicht unter Verblendeten –, wird zu einem Signal unter den
Verschwörern und zur Behinderung bei der Durchführung des Attentats.)
Und das eben gehört zum Merkwürdigen dieses Films, dass er seiner
eigenen Erzählweise so sicher ist, dass er nicht auf die faschistische
Bild-Ästhetik hereinfällt und deren Ikonographie nur aus einer kühlen
Entfernung zitiert. Howard Hawks bezwingt Leni Riefenstahl.
Dabei macht er eine andere Gleichung auf.
Die Verschwörer im allgemeinen und Stauffenberg
im besonderen konnten in der Art ihres Vorgehens nur Männer sein, die im
Regime verankert waren, die bis zu einem gewissen Grad dachten und empfanden
wie ihre Gegner. Dazu gibt es noch eine andere Gleichung: Die notwendige Unterschrift
von Hitler bekommt Stauffenberg wegen der Besessenheit Hitlers von Wagner-Opern,
aber es gibt da auch eine fast erotische Beziehung zwischen dem Führer
und seinem möglichen Mörder. Vielleicht kann man es kaum genauer sagen:
Hier geht es nicht um ein Attentat gegen das Regime, sondern um ein Attentat
im Regime. Deshalb ist der Tod Hitlers nur Voraussetzung für den anderen,
viel größeren Coup, nämlich die Re-Organisation der Macht gegenüber
den Nachfolgern des Tyrannen. Und Stauffenberg, das ist vielleicht wirklich
zu viel für einen einzelnen, muss beide Rollen ausfüllen: »Mann
der Tat« und »Mastermind« in der Verschwörung. Vielleicht
scheitert da einer nicht nur zweimal, sondern auch der eine am anderen. Seinen
Mitverschwörern jedenfalls fehlt entweder die Entschlossenheit, die Jugend
oder der Zugang zum inneren Kreis der Macht. A Man Alone.
Bryan Singers »Operation Walküre«
ist kein Historienfilm. Er entstand, wie es in der Ankündigung heißt
»nach einer wahren Begebenheit«, nimmt sich also alle erdenkliche
Freiheiten, um mit seinen Mitteln über die Form des Staatsstreiches in
einer Diktatur nachzudenken, und zugleich eine mythische und ikonografische
Übertragung vorzunehmen, die vom Standpunkt der nationalen Mythologie natürlich
pure Blasphemie ist. Aber ein bisschen Blasphemie hat bei der Verbesserung des
Sehens ja noch nie geschadet.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.strandgut.de
3)
Walkürenritt,
Western Style
Trotz Tom Cruise rückt die Figur
Stauffenberg in den Hintergrund. Was zählt, ist die Tat. Der Film "Operation
Walküre" zerlegt den Mythos in Einzelteile - und hilft ihm so aus
der Falle.
Manchmal, verehrter Siegfried Kracauer,
gehen Sie mir ganz schön auf die Nerven mit ihrem Satz, der Filmkritiker
von Rang sei nur als Gesellschaftskritiker denkbar. Obschon Sie ja eigentlich
nichts dafür können. Genauso wenig wie Kollege Freud etwas dafür
kann, dass man jeden Fehler in der Sprache sogleich als hochverräterische
Enthüllung unterdrückter Begierden verhaftet, nur um damit geflissentlich
zu übersehen, wie sich Herrschaft auch im Inneren als Kultur verkleidet.
Und so können Sie, lieber Kracauer, nichts dafür, dass man keinen
Film ansehen kann, ohne ihn als Symptom sozialer Prozesse, gar als Vorahnung
historischer Ereignisse zu begreifen, nur um damit geflissentlich zu übersehen,
dass der Markt der Bilder hauptsächlich im trivialen Interessen-Jetzt organisiert
ist.
Nun ist es ja so, dass man auch im allgemeinen
Diskurs Filme nur kurz danach befragt, wie schön, gut und wahr sie sind,
um sogleich auf die Frage zu kommen, was sie bedeuten. Was bedeutet, raunt es
da, ein Film wie "Operation Walküre" für den Zusammenhang
von Traumfabrik und Geschichtsschreibung? Für diesen deutschen Nationalmythos,
der so prekär ist, dass man ihn hysterisch gegen Schändung und Umdeutung
schützen muss? Für die Karriere des einstigen Superstars Tom Cruise,
der doch ein "amerikanischer Archetyp" war, ein Idol der Pop-Reaktion?
Für die Entwicklung hybrider Babelswood-Filme? Für das Spannungsfeld
von story und history? Was bedeutet "Operation Walküre"
als aktuelle Metapher für die Zeit des Übergangs vom finsteren Bush-
ins lichte Obama-Zeitalter? Man könnte alle diese Fragen leicht beantworten:
Nicht viel. Aber dann wäre ja die Filmkritik schon zu Ende, so wie ein
John-Ford-Western, bei dem sich die Indianer entschließen, die Pferde
der überfallenen Postkutsche zu erschießen.
Mainstream-Filmkritik, mag sie sich noch
so antiintellektuell geben, ist in aller Regel einem gepflegten Vulgär-Kracauerismus
viel näher, als dass sie dem Popcorn-Universum gäbe, was des Popcorn-Universums
ist - ein Trick, um unter der Bedeutungslogik die Produktionslogik zu begraben.
Also erst einmal die einfache Frage: Was bringt eine amerikanische Filmproduktion
dazu, einen Stoff aus der deutschen Geschichte zu verfilmen, ohne moralische
Lehre, aber nach allen Regeln von Action, Thrill und Suspense?
Plot
statt Charakter
Zuerst einmal entsteht ein Film aus Interessen,
Geld und Karrieren, dann aus Absichten, Handwerk und Manien. Erst in dem, was
übrig bleibt, aus dem, was die Beteiligten entweder zu viel oder zu wenig
können, fließen das Unbekannte, Unbewusste, das, was an einem Film
nicht nur klüger als seine Autoren, sondern auch klüger als das System
ist, was ihn hervorbringt.
Bryan Singers Film steckt in einem deutsch-amerikanischen
Kalkül. Ein paar von den 90 Millionen, die er gekostet hat, kommen aus
Deutschland, aber vermutlich müssen mehr davon wieder in Deutschland und
Umgebung hereinkommen. Also gibt es die Frage nach jenem Bild, das weder das
deutsche noch das amerikanische Publikum verärgert. Gleichzeitig gehört
ein Film wie "Operation Walküre" zu einer neuen Strategie der
amerikanischen Traumfabrik, der Diversifikation des Angebots. Um auf dem globalen
Markt zu bestehen, muss Hollywood erwachsener, weltoffener werden.
Für die Produktion selber ist der
Stoff insofern ideal, als er primär den "Aufreger" garantiert,
von der Story und vom Charakter des Helden her aber genügend gestalterischen
Freiraum liefert. Die Elemente Story und Charakter bedingen einander so sehr,
dass man schon beim Drehbuchschreiben und bei der Besetzung verfügen kann,
wie tief man sich auf die Figur einlässt. In dem Moment, wo die Produktion
den Stauffenberg-Film plot-driven und nicht character-driven anlegt, hat sie das ganze Gebäude
der vorauseilenden Empörung aus Deutschland zum Einsturz gebracht. Peinlich
werden nun jene hymnischen Texte, die im deutschen Kontext darüber jubilieren:
Statt ihn zu zerstören, habe der Film aus dem fernen Hollywood den Deutschen
den einzigen Helden, auf den sie sich mit Mühe einigen konnten, zurückgegeben.
Höhepunkt der Idiotie: Der deutsche Nationalmythos werde damit zum Exportschlager.
Verkauft der Kino-Stauffenberg Mercedes-Limousinen? Wer weiß.
In Wirklichkeit interessiert sich ein
Film, der vom Plot angetrieben wird, für einen Helden nicht auf solche
Weise. Nicht dass dieser deswegen ein Mensch ohne Eigenschaften wäre. Hut,
Revolver und Pferd reichen auch für einen Cowboy-Helden nur beinahe; nötig
ist die Ahnung einer Seele. Ein Actionheld steckt voller Symptome; Narben machen
sich da immer gut. Dass sie nicht erklärt ist, das macht den Reiz dieser
Figur aus. Ein Cowboy, der erklärt wird, ist ein toter Cowboy. Darum ist
ein guter Cowboy auch immer nur knapp ein guter Cowboy, er trägt auch Schuld
mit sich, etwas in ihm ist Teil der zerstörerischen Kräfte, gegen
die er antritt.
Bryan Singers Stauffenberg ist ein Cowboy-Held.
Darin hat er Hawks- und Ford-Elemente. Er ist ein professional, dem seine Narben und Behinderungen zu
schaffen machen, und der genau da am besten ist, wo er sie überwindet;
er ist aber auch einer, der schon die Mitte seines Lebens, seine Heimat, seinen
Glauben verloren hat. Und er ist ein Anthony-Mann-Westerner: einer, der unbeirrt
tut, was er tun muss, und in entscheidenden Momenten doch verzweifelt.
Natürlich erschöpft sich "Operation
Walküre" nicht darin, die Geschichte des 20. Juli als Adult Western
in Nazi-Uniformen zu erzählen. Er bietet ein politisches Modell: Macht
ist kein Zustand, sondern eine Maschine. Deswegen sind hier die Nazis weder
Dämonen noch Karikaturen. Sie sind Maschinisten einer Macht-Maschine, die
dringend abgeschaltet werden muss. Das kann nur jemand übernehmen, der
diese Maschine kennt. Für die Geschichte im Film wie für die in der
Wirklichkeit ist es vollkommen unerheblich, ob Stauffenberg ein "guter"
Mensch war. Was einzig und allein zählt, ist, ob sein Attentat gelingt.
Wir ahnen es ja ohnehin: Hätte Stauffenberg
Erfolg gehabt, so wäre er eben gerade nicht der Held geworden, sondern
man hätte ihn diskret entlassen aus der story und der history, er hätte das neue deutsche Haus
so wenig betreten wie John Wayne das Haus der Familie am Ende von "The
Searchers". Nur das Scheitern macht die Männer des 20. Juli zu Subjekten
des deutschen Nationalmythos. Im Scheitern bestätigten sie doppelt den
deutschen Nachkriegsmenschen, in der Paradoxie, wie es nur der Mythos kann:
Dass nichts zu machen war und dass etwas getan wurde.
Das Eigenwillige an "Operation Walküre"
ist es also, dass der deutsche Mythos mit einem amerikanischen Superstar paradoxerweise
nicht von seinem Subjekt her entwickelt wird. Indirekt wird dieser Mythos dadurch
auch entlarvt. Und Tom Cruise ist dafür ideal. In den USA wurde darüber
gegrübelt, was dieser Film mit Tom Cruise Karriere macht. Würde er
vom ewig unerwachsenen, Vater-suchenden Problemfall und vom idealen Verkörperer
des Tatmenschen einen Schritt zur Menschlichkeit oder zur Selbsterkenntnis vornehmen?
Umgekehrt geht es dabei auch um die Frage, wie man den Superstar der amerikanischen
Reaktion für die nächste, die liberalere Periode nutzbar machen könnte.
Was der Patriot schätzt und der Liberale fürchtet, diese grinsende
Kantenschädeligkeit, diese Sturheit, die törichte Selbstgerechtigkeit,
und alles, was der Liberale ahnt und der Patriot fürchtet, die Einsamkeit,
der todsichere Fall nach jedem Aufstieg, die Gefangenschaft in der Maske, das
kommt hier zusammen. Man schreibt: Die Ähnlichkeit zwischen Cruise und
Stauffenberg ist frappierend. Man schreibt nicht: Die Einfühlung Cruise
in Stauffenberg ist frappierend. Immer war das bei den besten Cruise-Filmen
ein Thema: der Fluch und der Segen der Äußerlichkeit. Als Projektion
auf den deutschen Mythos, der selbst in Explosionen und Verschwörungen
noch das Innerliche sucht, ist das ein Skandal.
Herrschaft
statt Wahn
Das Interesse, das jemand wie Tom Cruise
an einer solchen Rolle hat, ist durchschaubar. Man kann sich, zum Beispiel,
für "reifere" Rollen qualifizieren, ohne anders als in "Mission
Impossible" spielen
zu müssen. Es geht dem Darsteller wie dem Helden: Um zu funktionieren,
muss man nicht allzu tief in die Psyche oder in das Denken eintauchen. Nur tapfer
genug, zu einer bestimmten Zeit am richtigen Ort zu sein.
Von da ab gilt es für die Produktion
eines solchen Films nur noch, möglichst nichts falsch zu machen. Handwerklich
klappt das ohnehin, weil man es sich leisten kann, die entsprechenden professionals
einzusetzen. Und es klappt, weil man weiß, worauf man besser verzichtet
- zum Beispiel auf die faschistische Ästhetik selber, die in vielen, auch
den so genannten "kritischen" Filmen immer diese Phantasie des "Verführerischen"
und "Faszinierenden" bedient. In "Operation Walküre"
dagegen erscheint der deutsche Faschismus nicht als Wahn-, sondern als Herrschaftssystem.
Schön und gut also. Wir haben eine
Produktionslogik, eine Bedeutungslogik, und wir haben eine Rezeptionslogik.
Für die Kritik wäre nun interessant, warum zum Teufel diese drei Felder
zueinander so inkohärent sind und ob solche Inkohärenz sogar Wesen
der globalen Bilderzählung ist. So wie in Bryan Singers Film das Subjekt
des Attentats verschwindet, so verschwindet im deutschen Kulturspiel um den
nationalen Mythos der Film, der ihm zum Vorwand diente. Der Vorgang der Dislozierung
eines nationalen Mythos ist also perfekt. Historisch-politische Sinn-Zeichen
wechseln von einer Kultur in die andere, verändern sich, kehren zurück
und sind schon wieder etwas anderes. Und in so einem Augenblick kommen wieder
Sie daher, Siegfried Kracauer:
"Infolge des Schwindens der Ideologie
ist, ungeachtet aller Bemühungen um neue Synthesen, die Welt, in der wir
leben, mit Trümmern übersät. Es gibt keine Ganzheiten in dieser
Welt, viel eher gilt, dass sie aus Fetzen von Zufallsereignissen besteht, deren
Abfolge an die Stelle sinnvoller Kontinuität tritt. Dementsprechend muss
das individuelle Bewusstsein als ein Aggregat von Glaubenssplittern und allerlei
Tätigkeiten aufgefasst werden. Fragmentarische Individuen spielen ihre
Rollen in einer fragmentarische Realität."
Um den Mythos zu bewahren, muss man ihn
fragmentieren. Vielleicht hilft Bryan Singers Film nicht nur der Welt, eine
kleine Synthese aus Trümmern zu erzeugen, sondern auch dem deutschen Mythos
aus einer Falle: Statt ihn nämlich entweder in der falschen, nämlich
ganzen Weise zu erhalten oder ihn in der vollständigen kritischen Durchleuchtung
abzuschaffen, wird er im Fragmentarischen erhalten, unter anderem durch die
cineastische Form der Trennung von Tat und Subjekt. So verstehen wir, warum
genau die Kultur, die sich soeben noch in Krämpfen schüttelte (Scientology!
Comic-Filmer!), so blitzrasch auf Erlösung umschaltet. Dieser Film widerspricht
nicht dem großen Projekt, die deutsche Geschichte neu zu schreiben. Denn
aus dem prekären nationalen Mythos ist ein Stück medialer Weltkultur
geworden, das man nicht mehr in Frage stellen kann. Und in dieser Form ist der
Mythos nicht nur etwas, mit dem man beinahe alles sagen kann, sondern auch etwas,
mit dem man beinahe alles verschwinden lassen kann. Ein bisschen, verehrter
Siegfried Kracauer, haben Sie also wieder einmal recht.
Nur dass auf dem globalisierten Bildermarkt auch der Austausch von Symptomen
und Therapien so seine eigenen Wege geht.
Und dann gibt es noch etwas anderes. "Operation
Walküre" steht in einer kleinen Serie von amerikanischen Filmen, die
sich um Faschismus und Holocaust bemühen - Paul Schraders "Adam Resurrected"
etwa und Edward Zwicks "Defiance". Was an ihnen auffällt, ist
ein Wandel der Ikonografie. Die Zeiten von "They Saved Hitlers Brain"
sind vorbei, der Zerfall in Propaganda und Pulp Fiction; mehr und mehr werden
der Faschismus und der Holocaust vom solitären Zivilisationsbruch zu einem
Teil der allgemeinen Geschichte. Die alten Klischees verschwinden zwar, aber
auch die letzte Distanz vor dem Nichtdarstellbaren. Noch ist man entfernt von
der heimeligen Nostalgie mancher deutscher Nazifilme. Aber aus dem großen
Bruch werden kleine Übergänge. Symptomatisch dafür ist die Verfilmung
von Bernhard Schlinks Roman "Der Vorleser".
Deren versöhnliches Ende ist erschreckend:
Ralph Fiennes hat von der endlich zu einsichtiger Reue bekehrten KZ-Wärterin
(Kate Winslet) das Ersparte übertragen bekommen und bringt es nach New
York zu einer Holocaust-Überlebenden. Diese zu gewaltigem Reichtum gekommene
Jüdin lebt in einem Appartement, das so gar nichts von der Schäbigkeit
des Lebens in Deutschland an sich hat. Spätestens hier gerät der Film
nahe an Denunziation. Trotzdem bleibt die Kritik an diesem Film marginal-feuilletonistisch,
während "Operation Walküre" zum Medienereignis wird - endlich
wieder ein "zentrales Thema", endlich wieder Naziuniformen auf den
Titelbildern. Von Singers Film nehmen wir frohen Herzens an, er tue ohnehin
niemandem wirklich weh, von ein paar rechten Zauseln und ein paar linken Metakritikern
abgesehen. Fatalerweise infiziert er aber die Debatte in Deutschland gerade
durch seine Äußerlichkeit und seine Vermeidungsstrategien. Weil der
Hollywood-Film den Mythos ohne sein Subjekt behandelt hat, scheint er hierzulande
wiederum befreit von der Kritik am Subjekt der Tat und natürlich mehr noch
von der Kritik an dem, was alles nicht stattgefunden hat. Der Film nämlich
wird in der deutschen Rezeptionssphäre genau dazu verwendet, was man ihm
in der Produktionsphase vorauseilend unterstellte: zur Überführung
des nationalen Mythos in Popkultur.
"Das Kino" haben Sie, lieber
Kracauer, mal geschrieben, " nötigt uns oft, die realen Ereignisse,
die es zeigt, mit den Ideen zu konfrontieren, die wir uns von ihnen gemacht
haben." In Bryan Singers Film werden ein Attentat und ein Staatsstreich
als logische Folgen von Handlungen und Entscheidungen in einer physikalischen
Realität von Macht und Gewalt gezeigt. Vielleicht bringt uns das darauf,
uns mit der falschen Idee der Geschichte zu konfrontieren. Vielleicht ist sie
doch weniger Schauspiel und mehr Handlungsraum, als wir gedacht haben. Vielleicht
aber findet das Ereignis gar keine Idee mehr. Denn noch etwas anderes ist zu
überprüfen: Wie sich das Verschwinden des Subjekts in einer historischen
Bilderzählung auswirkt. Vielleicht verschwindet dann nicht nur der Mythos,
sondern auch die Geschichte. Vielleicht verschwindet mit der Psychologie auch
die Kultur oder eben Unkultur. Es verschwindet alles, was irgend
etwas erklären könnte. Vielleicht verschwindet der Zusammenhang,
die Grammatik, die Bedeutung des Erzählens in der Geschichte. Auch der
Cowboy war ja ein großer Künstler des Verschwindens. Und das, verehrter
Siegfried Kracauer, ist wohl der Augenblick, an dem wir das Feld lieber den
Theoretikern des Verschwindens, den Baudrillards und Virilios, überlassen
sollten. Sonst müssten wir im Widerschein von "Operation Walküre"
auch noch vom Verschwinden der Filmkritik sprechen.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der taz vom 21.1.2009
Georg Seeßlen
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Operation
Walküre – Das Stauffenberg-Attentat
VALKYRIE
USA/Deutschland
2008, R: Bryan Singer B: Christopher McQuarrie, Nathan Alexander K: Newton Thomas
Sigel. Sch:
John Ottman. M:
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