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Palermo Shooting
Attitüden und Posen den Film
hindurch. Wo verortet sich einer wie Wim Wenders? Wir wissen es jetzt, wenn
wir es nicht eh schon gewusst haben. Zwischen der Pathetik des deutschen Stummfilms
(„Der müde Tod“, Fritz Lang) und dem Doppel Michelangelo Antonioni und
Ingmar Bergman. Ihnen ist der Film gewidmet. Aber der Rahmen ist weiter gespannt.
Zwischen dem Quattrocento („Der Triumph des Todes“). Das Bild des unbekannten
Malers spielt eine Hauptrolle. Einerseits. Andererseits ist Lou Reed bekannt
und noch am Leben. Er steht an der Musicbox und singt zu seinem „Some Kinda
Love“. Im Ergebnis wohnen wir einem Weihespiel bei. Der „Jedermann“ (Salzburg)
ist Vorbild und Material für einen Nachruf.
Finn, das Alter ego Wim Wenders’, aber kommt in „Palermo Shooting“
davon, obwohl er als angesagter Fotograf ständig am Schießen ist.
Fotos schießen. In Wenders Heimatstadt Düsseldorf. Eine schicke Designerwohnung
mit Panoramablick. Tolle Frauen. Alle hinter ihm her. Reichtum. Die Strafe folgt
auf dem Fuß. Wer schießt, auf den wird geschossen. Diese Aufgabe
übernimmt ein Mann. Obwohl der Tod eigentlich weiblich ist. Il trionfo della morte. Im Western aber geht es um Mann gegen Mann. Um Campino
gegen Dennis Hopper. Und da wir, wie gesagt, in einem Weihespiel sind, ist Hopper
ein Geist oder doch ein Kapuzen- und Sensenmann, kostümiert und mit Requisiten
ausgerüstet wie in jedem Bühnenfundus leicht zu finden. In Düsseldorf
also kommt dem smarten Yuppie ein Geisterfahrer entgegen. Knapp entkommt er
dem Frontalzusammenstoß. Die Konfrontation wird sich zum Abermalen wiederholen.
In Palermo. Wieso das? Die Rheinauen sind’s. Bei Kilometer 745. Denn
dort arbeitet der Banker Udo Samel als Schäfer. Im Nebenberuf. Und klärt
den geschockten Schießfotografen über die Segnungen des ländlichen
Lebens auf. Der Bankerschäfer doziert in klassischer
Bühnensprache. Die Schafe lauschen. Campino auch. Und dann: ein Zeichen!
„Palermo“ steht auf dem Lastkahn, der den Rhein entlang tuckert. Also? Nichts
wie hin! Auszeit. Sich restaurieren. Wer hilft dabei? Die schöne Restauratorin,
die ihre Arbeit mit Freuden zwischen dem „Triumph des Todes“ und dem Seelenleiden
des Düsseldorfer Aussteigers teilt. Er: „Bei Arbeit am Detail (er meint
die digitale Bearbeitung von Fotos und 35 mm-Film) verliert man den Blick für
das Ganze“. Sie: „Es war so schön, diese Nacht mit dir zu teilen“.
Die Original-Wenders-Sprüche gehen jetzt aufs Ganze. Gefühlte
30 Minuten stehen sich Campino und Hopper gegenüber und reden über
letzte Dinge. Dem Campino, sonst medial genial präsent, verschlägt
es bei Wenders die Körpersprache. Wie erstarrt lässt er die Arme hängen.
Unterm Gewicht der letzten Worte. Wenn man den Film verreißen wollte,
müsste man sagen: was verquast, das lähmt.
Ein wenig Handlung trägt der Sensenmann dann doch bei, ehe es
zum Showdown kommt. Denn Hopper schießt seinerseits auf den Fotografen.
Als Waffe dient ihm Pfeil und Bogen. So geht das in einem Weihespiel. Ach hätte
er doch „das wahre Glück, was ich je gefunden habe“, wiedergefunden. Das
Glück bei Muttern. Jetzt bleibt nur Sehnsucht. Zu finden im Musik-Score
und den mannigfachen Songs von Leben und Tod. Genau das bleibt auch dem Zuschauer,
der als Zuhörer seine Freude am Film findet. Gedreht hat ihn Wenders im
35-mm-Format, analog. Digitalisiert hat er ihn anschließend in Berlin.
Die Details führen zu sehr schönen Effekten. Traumszenen sind dies,
die über deutsche Innerlichkeit Auskunft geben und über das, woran
Wenders leidet: „Die digitalen Welten, mit denen wir heute alle umgehen, erklären
auch den Realitätsverlust, unter dem viele Menschen zunehmend leiden“ (Wenders).
Sein Dauerthema, die Befindlichkeit des Fotografierenden, hatte er schon vor
dreißig Jahren angeschlagen. Mit „Alice in den Städten“, unmanipulativ
und unmittelbar. „Palermo Shooting“ will jetzt den Seelenzustand ins Erhabene
verrücken und verewigen. - Möge Wenders sein Seelenheil gefunden haben.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Palermo
Shooting
Deutschland
/ Italien 2008 - Regie: Wim Wenders - Darsteller: Campino, Giovanna Mezzogiorno,
Dennis Hopper, Sebastian Blomberg, Inga Busch, Jana Pallaske, Udo Samel, Lou
Reed - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 108 min.
- Start: 20.11.2008
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