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Palermo
Shooting
Prädikat:
Besonders wertvoll
Ein Wort vorweg! Wir verdanken Wim Wenders
einige, wunderschön erzählte, entspannte und durchaus tiefgründige
und berührende Filme wie „Alice in den Städten“, „Im
Lauf der Zeit“ oder „Der
amerikanische Freund“. Das Problem mit Wim Wenders ist eher, dass sein letzter
wirklich sehenswerter Film so lange zurückliegt und dass der einst so popsensible
und lakonische Filmemacher nach dem großen Erfolg von „Der Himmel über
Berlin“ (1987) zu denken scheint, er sei auf den hohen Ton, den philosophierenden
Diskurs in der Filmkunst abonniert. Zudem ist Wenders ein sympathisch nachdenklicher
Mensch, der fundiert über das Wesen von Realität, Film und Fotografie
sinniert. Und nicht zuletzt ist Wim Wenders immer auch Fan und längst berühmt
genug, dass er Möglichkeiten hat, seine diesbezüglichen Leidenschaften
auszuleben. Nimmt man all dies einmal zusammen und kehrt es entschieden ins
Negative, erhält man ein paar der Gründe, warum das Mysterienspiel
„Palermo Shooting“ auf fast schon sich selbst karikierende Weise gescheitert
ist.
Man nehme einen Fotografen namens Finn,
erfolgreich in der Kunst und in der Modewelt, dem aber bei der Beschleunigung
seines Lebens der Sinn des Ganzen abhanden gekommen ist, was damit zusammenhängen
könnte, dass er sich von morgens bis abends mit der geschmackvollsten Rockmusik
zudröhnt. Nach einem nächtlichen Autounfall lässt er seine Schaffenskrise
an sich heran, trifft in einer Eckkneipe Lou Reed (ausgerechnet!), der ihn fragt,
ob er Angst vor dem Tod habe und anschließend auf den Düsseldorfer
Rheinwiesen einen Banker (Udo Samel), der, auf die neuesten Aktienkurse aus
Tokio wartend, Schafe hütet und dabei ein paar Einsichten über das
Leben im Allgemeinen parat hält. Während die beiden sich unterhalten,
fährt auf dem Fluss ein Schiff namens „Palermo“ vorbei, was den Fotografen
auf eine kreative Idee bringt. In Palermo macht er einen guten Job mit seinem
hochschwangeren Lieblingsmodell Milla Jovovich, erkundet nebenher die aufregende
Stadt und begegnet einer schönen jungen Frau namens Flavia (Giovanna Mezzogiorno),
die auch Künstlerin ist, allerdings sich als Kunstrestaurateurin weniger
mit der Gegenwart als vielmehr mit der Vergangenheit beschäftigt. Oder
mit der Zukunft? Denn auf dem Fresko, an dessen Wiederherstellung sie arbeitet,
ist der Tod zu sehen. Aber der Tod hat kein Gesicht. Wer sagte einst, Film sei,
dem Tod bei der Arbeit zuzuschauen? Jean Cocteau? Während Finn noch grübelnd
die Stadt durchstreift, schießt ein Unbekannter mit Pfeil und Bogen auf
ihn. Es ist der Tod selbst, ein sanfter und sehr reflektierter Typ, der wie
Dennis Hopper aussieht, wenn der sich mal als Mönch verkleidet. Schließlich
kommt es zum Showdown zwischen Finn und dem Tod, einem intellektuellen Disput
zunächst über das Verbrechen der digitalen Fotografie, später
dann noch über die Gnade des Ausgangs aus der irdischen Existenz. Doch
Finn bekommt eine weitere Chance, erwacht an der Seite Flavias und erkennt blitzartig,
dass nur die Liebe zählt.
Jetzt sollte man sich nun noch vorzustellen
versuchen, dass Finn von Campino (46), dem Sänger der Toten Hosen gespielt
wird, einem von 25 Jahren Mitgröhl-Rock gezeichneten Ex-Punk mit entschieden
ausgeprägter Neigung zur allzeitbereiten Medienpräsenz als kirchentagskompatibler
Berufsjugendlicher. „Palermo Shooting“ ist chic fotografiert und hat betont
Substanz: die futuristische Architektur der Kunstszene ist so sensationell ins
Bild gesetzt wie die pittoreske Altstadt von Palermo. Jeder Dialog verweist
aufs große Ganze, jede zweite Szene ist die Bebilderung einer These. Ganz
bescheiden ist der Film denn auch gleich Antonioni und Bergman gewidmet. Dazu
spielt aufdringlich geschmackvolle Musik von Nick Cave über Bonnie Prince
Billie bis Beirut und Portishead, die beweist, dass der ausgewiesene Pop-Kenner
Wenders (63) noch ganz auf der Höhe der Zeit ist, was dem Film reflexhaft
eine Eloge im „Rolling Stone“ eingetragen hat. Dass jemand wie Get Well Soon
mit seinem streberhaft-prätentiösem Indie-Pop aus zweiter Hand in
diesen Film gelangt, gehorcht genau dieser Logik. Dass die Toten Hosen gerade
ein neues Album veröffentlicht haben, ist dagegen Cross-Marketing.
Einst – in „Alice in den Städten“
– setzte Wenders seine Figuren in eine Eckkneipe mit Musikbox, ließ einen
Song von Canned Heat durchlaufen und schuf so ein prägnantes Bild für
die Träume und Sehnsüchte seiner Figur (auch ein Fotograf) und zugleich
für das entfremdete Lebensgefühl seiner Generation in der Bundesrepublik
nach „1968“. Genau das, der Kontakt mit der bundesrepublikanischen Lebenswirklichkeit,
fehlt „Palermo Shooting“ völlig. Vieles an diesem sich forciert philosophisch
gebenden Film ist bloß ausgedacht, bedeutungsvoll dahingeraunt und prätentiös
hindrapiert. Das Resultat ist ein allegorischer Totentanz auf den Trümmern
von mehr als 2000 Jahren abendländischer Kultur. Die entscheidende Frage
bleibt offen: Warum sollte irgendjemand Interesse haben, sich diese sich anbiedernde
und auftrumpfende Versöhnung von Bildungsbürgertum und Popkultur anzuschauen?
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der Stuttgarter Zeitung
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Palermo
Shooting
Deutschland
/ Italien 2008 - Regie: Wim Wenders - Darsteller: Campino, Giovanna Mezzogiorno,
Dennis Hopper, Sebastian Blomberg, Inga Busch, Jana Pallaske, Udo Samel, Lou
Reed - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 108 min.
- Start: 20.11.2008
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