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Paradies: Glaube
Papst Benedikt im Abtropfgitter
Kampf zweier Weltreligionen, eine Libido auf Abwegen und schmerzende Knie: Ulrich Seidls neuer Film „Paradies: Glaube“.von Cristina Nord
Anna Maria kniet vor dem Kreuz und geißelt sich. Später rutscht sie
auf Knien durch ihre Wohnung, um die Hüfte trägt sie dabei einen Bußgürtel,
und unablässig murmelt sie: „Gegrüßet seist du, Maria, voll
der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit
ist die Frucht deines Leibes, Jesus.“ Um zu begreifen, dass die libidinösen
Energien dieser von Maria Hofstätter gespielten Figur in religiösen
Eifer umschlagen, hätte es die Szene, in der sie mit einem Kruzifix etwas
anstellt, was man als Masturbation interpretieren kann, gar nicht mehr gebraucht.
„Paradies: Glaube“, der zweite Teil von Ulrich Seidls ehrgeiziger „Paradies“-Trilogie, hat eine strenggläubige Katholikin zur Heldin. Sie lebt in einem properen Einfamilienhaus vor den Toren Wiens; ihre Abneigung allem Sexuellen gegenüber lässt sich als Echo auf „Paradies: Liebe“ begreifen, den ersten Teil der Trilogie, in dem die Hauptfigur Teresa als Sextouristin nach Kenia reist. Teresa ist Anna Marias Schwester; beide Frauen arbeiten als Pflegerin beziehungsweise als Schwester mit Kranken, in beiden Filmen beweisen die Kameramänner Wolfgang Thaler und Ed Lachman ihren Willen zur strengen Form, und hier wie dort setzt die Handlung ein, kurz bevor die Protagonistin ihren Sommerurlaub antritt.
Große Schmerzen beim Gebet
Und noch eine Gemeinsamkeit gibt es: In beiden Filmen stoßen Profischauspieler
auf Laiendarsteller. Die Szenen, in denen Anna Maria in den ärmeren Gegenden
Wiens missioniert, sind improvisiert, sie trifft dabei auf unbekannte Gesichter,
aber auch auf Seidl-Habitués wie René Rupnik. Der lässt sie
in seine mit Krempel vollgestellte Wohnung hinein; in einer recht komischen
Szene suchen sie gemeinsam nach einem Platz, an dem sie die Marienstatue aufstellen
können. Nachdem sie ihn auf dem Bett der verstorbenen Mutter endlich gefunden
haben, mag Rupnik nicht für das Gebet in die Knie gehen, weil ihm das zu
große Schmerzen bereitet. Wie er es versucht, es nicht schafft und dabei
unentwegt mault, gehört zu den Momenten großer Körperkomik,
die „Paradies: Glaube“ immer wieder zu eigen ist
Kruzifixe von den Wänden reißen
Diese Momente häufen sich, als Anna Marias Ehemann nach mehrjähriger
Abwesenheit überraschend auftaucht. Der Mann, gespielt von Nabil Saleh,
ist Ägypter, gläubiger Muslim und an den Rollstuhl gebunden. Mit seinem
Eintritt in den Film verschiebt sich der Akzent; die Inszenierung der Ehehölle
und der Glaubenskampf von Katholizismus und Islam treten in den Vordergrund,
Letzterer findet seinen tragikomischen Höhepunkt in einer Szene, in der
der Ehemann durch die Wohnung fährt und mithilfe eines Stocks Kruzifixe
von den Wänden reißt. Am Ende fällt das Bild von Papst Benedikt
in das Abtropfgitter neben der Spüle.
So virtuos dies im Einzelnen inszeniert ist, so bleibt doch ein leises Unbehagen. Seidl und die Koautorin Veronika Franz neigen zu groben Strichen, wenn sie den religiösen Wahn, die Leugnung der Sexualität, die daraus resultierenden Zwangshandlungen und das zwischenmenschliche Unvermögen zur Anschauung bringen
Cristina Nord
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Paradies: Glaube
Österreich, Deutschland, Frankreich 2012 - 113 Minuten - Kinostart: 21.03.2013 - Altersfreigabe: ab 16 Jahren - Regie: Ulrich Seidl - Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz - Produktion: Ulrich Seidl - Kamera: Edward Lachman, Wolfgang Thaler - Schnitt:Christof Schertenleib - Darsteller: Maria Hofstätter, Nabil Saleh
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