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Paradies: Liebe
Geld und Liebe
Ulrich Seidl widmet sich im ersten Teil seiner „Paradies“-Trilogie
der Liebe. Am Beispiel des Sextourismus’ weißer Frauen
Das Paradies muss schon die gesamte Menschheitsgeschichte lang als Leitmedium seelischer Heilsversprechen herhalten. Vorstellungen vom Paradies existieren praktischerweise in den unterschiedlichsten Nischenreligionen und Weltbildern, auch Politik und Werbung bedienen sich hier gern, wann immer ein Skeptizismus gegenüber den spirituellen (oder ökonomischen) Verhältnissen die Oberhand gewinnt.
Die Idee eines himmlischen Elysion als Entschädigung
für eine irdische Existenz voller körperlicher Entsagungen und geistlicher
Entbehrungen unterliegt keinem Zeitgeist, findet aber gerade in unseren spätbrutalistischen
Gesellschaftsentwürfen wieder verstärkt Anklang. Von dem österreichischen
Filmemacher Ulrich Seidl ("Models", "Hundstage") ist nun wohl am allerwenigsten Trost zu erwarten, wenn
er einen Film über seine Landsleute mit Paradies betitelt – wobei eine Aussicht auf Erlösung nicht
erst seit dem Büßerdrama "Jesus, du weißt" (2003) in seinen Arbeiten anklingt.
"Paradies: Liebe" ist der erste Teil einer Trilogie, die sich den drei
christlichen Tugenden widmet. Der Film feierte im vergangenen Jahr auf den Filmfestspielen
in Cannes seine Premiere, "Paradies: Glaube" wurde in Venedig mit dem Preis der Jury ausgezeichnet
und der Schlussakt, "Paradies: Liebe" wird nächsten Monat im Wettbewerb der Berlinale
seine Uraufführung erleben. Ursprünglich hatte Seidl sein Paradies-Projekt als einen zusammenhängenden Film konzipiert,
aber schon der erste Teil zeigt, dass es eine gute Idee war, den einzelnen Geschichten
mehr Raum zu geben. (Außerdem ist es Seidl damit gelungen, seine Filme
strategisch geschickt auf den drei großen A-Festivals zu platzieren.)
"Paradies: Liebe" beginnt ökonomisch. In wenigen Szenen werden die
drei Protagonistinnen der Trilogie vorgestellt, bevor die Hauptfigur des ersten
Films in den Mittelpunkt tritt. Die 50-jährige Wienerin Teresa arbeitet
mit am Down-Syndrom erkrankten Jugendlichen und Erwachsenen. Anfangs sieht man
ihre Pflegegruppe beim Autoscooterfahren, was ihr sichtlich Spaß bereitet.
Es ist eine typische Seidl-Exposition, skurril und etwas irritierend, mit der
zugleich das Revier markiert wird.
Gleich darauf kehrt Teresa nach Hause zurück, packt
ihre Koffer und liefert ihre Teenager-Tochter bei der Schwester ab, einer streng
gläubigen Katholikin. (Um Tochter und Schwester drehen sich die beiden
anderen Filme der Trilogie.) Dort, wo es sie hinzieht, kann sie das Mädchen
nicht gebrauchen, denn Teresa ist auf sexuelle Abenteuer in einem kenianischen
Ferienressort aus.
Kolonialer Subtext
Seidls Paradies-Begriff ist also, wie nicht anders zu
erwarten, in gleich doppelter Hinsicht ironisch gemeint. Nicht nur, dass Erlösung
für seine Protagonisten per se in unerreichbarer Ferne liegt – die paradiesische
Vorstellung zielt in "Paradies: Liebe" auch auf einen kolonialen Subtext ab, den Seidl schon
in der Montage als harten Kontrast anlegt. Der Schnitt von der beschaulichen
Reihenhaussiedlung der Schwester zum Urlaubsziel könnte nicht schärfer
sein und weist doch eine perfide Kohärenz auf. In der nächsten Szene
sind drei Hotel-Angestellte beim Reinigen des Pools zu sehen. Die Ausschlussmechanismen
von trister Vorstadt und exotischem Urlaubsressort entspringen derselben Marktlogik.
Seidls Kameramänner Wolfgang Thaler und Ed Lachman, die schon gemeinsam
an "Import/Export" (2007) gearbeitet haben, fassen diese Einstellung in
einer steifen, geometrischen Totalen, die den unfreien Charakter der Arbeit
unterstreicht.
Seidl wird mehrmals auf diese strenge Form der Inszenierung
zurückkommen, etwa wenn die kenianischen Beachboys am Strand der Hotelanlage
vor einer Absperrung stehen und sich den Touristinnen in ihren Sonnenstühlen
anbieten. Es sind offensichtliche und nicht einmal sonderlich originelle Bilder,
mit denen Seidl Europa und Afrika ins rechte Verhältnis setzt. Dass er
dennoch auf solche naheliegenden Stilmittel zurückgreift, hat einerseits
mit der Ambivalenz zu tun, mit der man sich als weißer Mitteleuropäer
in Ländern wie Kenia bewegt. Gleichzeitig sind die Regeln der Tauschgeschäfte
schon so verinnerlicht, dass sie zu Ritualen des täglichen Umgangs werden.
Seidl selbst geht auf dieses Einverständnis kurz
im Presseheft ein. In den Beziehungen zwischen Einheimischen und Touristen,
erklärt er, gebe es keine Lügen in einem moralischen Sinn, nur stillschweigende
Übereinkünfte. Anders gesagt: Die ökonomischen Verhältnisse
sind so pervertiert (oder: liegen so offen zutage), dass moralische Kategorien
nicht mehr greifen. Diesem Missverständnis ist Teresa aufgesessen, denn
sie sucht im Urlaub etwas, das nach ihren westlichen Vorstellungen sehr wohl
noch an moralische Werte gebunden ist: aufrichtige Liebe.
Dass echte Zärtlichkeit nicht ohne Gegenleistung
zu haben ist, verstehen ihre neuen Freundinnen im Hotel, selbsternannte Sugarmamas,
hingegen längst. Darum mangelt es ihnen auch an Schamgefühl, das Teresa
noch befällt, wenn sie sich von den Beachboys berühren lässt.
Für die offensichtliche Problematik des Sextourismus interessiert sich
Seidl dabei nur am Rande, ihm geht es vor allem um den Kapitaltransfer zwischen
Erster und Dritter Welt – und den Preis der Gefühle. Solange Teresa von
einem Geschäft auf Augenhöhe überzeugt ist, befindet sie sich
in einer schwachen Verhandlungsposition. Erst als sie erkennt, dass die Frauen
bei diesem Tauschhandel am längeren Hebel sitzen, sie die Kräfteverhältnisse
also akzeptiert, ist die Ordnung wiederhergestellt.
Keine Kompensation
Der strukturelle Rassismus, der auch die Gespräche
der Frauen durchzieht, ist aber nur eine Seite der Geschichte. Das unerfüllte
Begehren der Frauen impliziert eine Leere im Alltag, die in der Ferne wenigstens
für einen Moment eine sich durchaus real anfühlende Entschädigung
findet. Margarethe Tiesel verleiht diesen Sehnsüchten in der Rolle Teresas
eine auch körperlich eindrucksvolle Gestalt, denn ihre Sexualität
ist eben kein Ausdruck von Dominanz und Machtausübung, sondern Verletzlichkeit
und Schwäche.
Seidl schafft immer wieder fast liebevolle Tableaus für
die nicht normierten Frauenkörper mit ihren „Riesenärschen und Hängetitten“,
wie sie selbst von sich sagen. Die europäischen Frauen liegen in der Sonne,
Jäger und Beute gleichermaßen, und verdrängen, dass das falsche
Paradies letztlich keine Kompensation für die Entbehrungen im Leben zuhause
darstellt.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in: freitag
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Paradies: Liebe
Österreich / Deutschland / Frankreich 2012 - 120 min.
Regie: Ulrich Seidl - Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz - Produktion: Ulrich
Seidl - Kamera: Wolfgang Thaler, Ed Lachman - Schnitt: Christof Schertenleib
- Musik: Martin Kreiner - Verleih: Neue Visionen - FSK: ab 16 Jahre - Besetzung:
Margarete Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux, Dunja Sowinetz, Helen Brugat, Gabriel
Mwarua, Carlos Mkutano, Josphat Hamisi
Kinostart (D): 03.01.2013
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