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Paradiso
– Sieben Tage mit sieben Frauen
Beherrschung
Eine
Parallelgeschichte, aber sonst herrscht das lineare Prinzip: erst die eine,
dann die andere. Der Komponist Adam Bergschmidt feiert seinen 60. Geburtstag,
und lädt dazu sieben Frauen, die in seinem Leben eine wichtige Rolle gespielt
haben, für sieben Tage in sein Landhaus ein. Er war drei Mal verheiratet,
hatte verschiedene Liaisons, eine Affäre, mehrere Kinder von verschiedenen
Frauen, und er zeigt viel Mut, womöglich einen Hexenkessel zu erzeugen.
Aber es kommt ganz anders. Es kommt so, wie man sich das von Rudolf Thome erwartet:
ruhig, entspannt, und was da verspannt und ungelöst ist, kann ganz unspektakulär
wegmassiert werden. Am Morgen seines Geburtstages sehen wir den Komponisten
in seinem Bademantel, er streift durch seinen Garten, er geht zum See, holt
Gießkannen, die er mit Wasser füllt und mit denen er Pflanzen gießt.
Das ist auch das Grundprinzip des Films. Alle Figuren haben so reichlich, dass
sie alle geben können. Keine Hilfeschreie, keine Eifersuchtsszenen, keine
Intrigen, keine Gehässigkeiten, ein kleiner Ausbruch des ältesten
Sohns, der den Abgrund erahnen lässt, den auch diese Familie zu bieten
hat, aber der Schlag des Sohnes gegen den Vater ist kein Vatermord, Adam trägt
nur eine Kopfwunde davon, und Billy Jenkins, so heißt dieser Sohn, beendet
genau mit diesem Schlag sein Martyrium und fängt an, seinem Vater zu vergeben
und sich auf ihn einzulassen. Eine solche Szene gibt es, wie gesagt, bei den
Frauen nicht zu vermelden. Wenn es stimmt, dass sie für bestimmte Phasen
des Komponisten stehen, dann braucht sich wirklich niemand im Weg zu stehen.
Nur einmal gab es eben eine Affäre, Adams dritte und jetzige Frau, Eva,
war schwanger, und da lies sich Adam mit der damaligen Literaturstudentin Marion
ein. Das gab ein Jahr Hass seitens Evas, aber auch das ist gegessen. Es wird
ja auch der 60. und nicht etwa der 30. Geburtstag gefeiert. Über allem
liegt ein Respekt, der ein zu tiefes Graben verbietet. Diese Woche hat mehr
mit dezenter Geschichtsschreibung zu tun als mit der Schürung von Knoten,
deren Platzen dem Zuschauer die wahren Abgründe der Feier und der Beziehungen
zeigen. Der alles andere abstimmende Tenor ist ruhige Freundlichkeit. Von den
Frauen erfährt man nicht viel, am meisten noch von Adams erster Frau, mit
der er den Sohn Billy zeugt. Berenice wird von Irm Hermann gespielt, zuerst
sieht man nur ihren Schatten, sie spricht ein Gebet – sie ist Nonne in einem
Kloster –, und sie wünscht sich Kraft beim Wiedersehen mit Adam. Am Ende
des Films, nachdem die Gäste ein Konzert eines Werkes des Künstlers
gehört haben, versteht man auch, warum sich Berenice Kraft gewünscht
hat, denn noch immer liebt sie Adam. Schon beim ersten Tag wechselt sie ihr
Nonnenkostüm gegen einen Abendanzug Evas, um mit Adam zu tanzen. Und nach
dem Konzert sagt sie Adam, dass seine Musik noch vollkommener werden könne,
wenn er sich einer spirituellen Sphäre öffnen würde, natürlich,
ohne dass sie dies sagt, der christlichen. Und Adam sagt sofort, dass sie ihn
ja immer noch liebe, und sie antwortet, ja, aber doch anders. Dies ist vielleicht
das schönste Beispiel, wie der Film mit Zwischentönen umgeht, nämlich
mit dem Einsatz anderer Zwischentöne. Man kann etwas sagen, belässt
aber trotzdem alles beim alten. Das ist nicht sehr revolutionär, das klingt
sogar sehr konservativ, aber diese Etiketten verlieren ihre Tauschmarke, wenn
man bedenkt, in welchem Zusammenhang sie eingesetzt werden. Und außerdem:
Das Ganze war ein Experiment mit ungewissem Ausgang; die Einsätze haben
ihre Berufung mit einem Bildwert belohnt. Nicht Harmonie, sondern Harmonisierung.
Dieter
Wenk
(01.03)
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: textem
Paradiso
– Sieben Tage mit sieben Frauen
Deutschland
1999
98
Min.
Regie:
Rudolf Thome - Drehbuch: Rudolf Thome - Produzent: Rudolf Thome - Musik: Wolfgang
Böhmer - Kamera: Reinhold Vorschneider
Darsteller:
Hanns Zischler, Cora Frost, Adriana Altaras, Sabine Bach, Khyana el Bitar, Irm
Hermann, Isabel Hindersin, Amelie zur Mühlen, Guntram Brattia, Valeska
Hanel, Marquard Bohm
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