zur startseite
zum archiv
zu den essays
Paranormal
Activity
Oren
Pelis Debütfilm "Paranormal Activity" ist der profitabelste Film
aller Zeiten - ob der Haunted-House-Schocker mit minimalem Effekteinsatz aber
tatsächlich gruselig ist, muss wohl jede/r an sich selbst austesten.
Alles
andere als normal ist an "Paranormal Activity" vor allem eins: Sein
Riesenerfolg. Dessen Geschichte geht so: Völlig unbekannter Regisseur -
genauer gesagt: ein Computerspielentwickler ohne jede Regieerfahrung - dreht
mit so gut wie gar keinem Geld - 15.000 Dollar - und völlig unbekannten
Darstellern in seinem eigenen Haus an sieben Tagen einen kleinen Horrorfilm
fast ohne Spezial- oder, in der Tat, sonstige Effekte. Auf ein paar eher unbedeutenden
Festivals liebt ihn das Publikum, es entsteht ein kleiner Kult, in einer viralen
Marketing-Kampagne sieht man die Reaktionen verängstigter Zuschauer, es
wird auch, wie einst bei "Blair
Witch",
behauptet, alles sei echt. Erste reguläre Kinoeinsätze führen
zu Rekordbesuchen. Paramount kauft die Rechte, um ein Remake zu drehen und geht,
nicht zuletzt auf Anraten Steven Spielbergs, dann sogar den riskanteren Weg,
den obskuren Winzling selbst groß rauszubringen. Dass das klappt, versteht
sich mitnichten von selbst, denn zwischen Kult- und Mainstream-Erfolg liegt
in der Regel auch noch einmal eine riesige Hürde. "Paranormal Activity"
nimmt sie - mit auf Anraten Spielbergs nachgedrehtem Schock-Ende - mit Schwung,
liegt inzwischen bei über 100 Millionen Dollar Einspiel und ist, liest
man, jetzt der profitabelste Film aller Zeiten.
Aussehen
tut der Film nach dem, was er ist: einer billigen Produktion. Seine Cleverness
freilich liegt daran, wie er seine arte-povera-Ästhetik narrativ nicht
nur plausibel, sondern geradezu zur Notwendigkeit macht. Die Geschichte ist
einfach. Ein junges Paar zieht in ein Haus. Sie studiert Englisch und Spanisch
und möchte Lehrerin werden. Er ist Daytrader, daher das Geld. Um das neue
Lebenskapitel zu dokumentieren, hat er eine Kamera gekauft und nimmt alles immerzu
auf. Keine anderen Bilder, als die im Film selbst gemachten, zeigt darum der
Film. Sie sind zwar unterschiedlicher Art - mal sieht man, was der Filmende
sieht, mal filmt die Kamera auf sich allein gestellt und subjektlos -, aber
es gibt keine einzige Einstellung, die aus dem Rahmen des Innerfilmischen ins
Übliche einer neutralen Erzählposition fiele, aus der heraus die Kamera
immer so tut, als wäre sie gar nicht da.
Schnell
stellt das junge Paar fest: Es stimmt was nicht mit dem Haus. Sie hören
unerklärliche Geräusche, Wummern, Schritte, dräuendes Brummen.
Zu sehen ist aber nichts. Da verfallen sie auf die Idee, die Kamera zum Zeugen
zu machen, insbesondere nachts, wenn sie schlafen. Sie wird im Schlafzimmer
aufs Stativ montiert und nimmt als Überwachungskamera auf, was passiert.
Das schlafende Paar und seine Umgebung. Nacht für Nacht, rund zwanzig Nächte.
Und aus jeder einzelnen Nacht zeigt, die Tage herunterzählend, die Uhrzeit
als Timecode immer präsent, der Film Bilder. Das Außerordentliche,
den Horror, platziert er mithin in die ausgesprochen gründlich entwickelte
Alltäglichkeit. Die zeigt sich nicht nur in diesem refrainartigen Wiederholungsritual,
sondern auch darin, dass die Geschichte fast vollständig auf ein Zweipersonenstück
reduziert ist. Ein Mann, eine Frau und der Spuk, der sie nach und nach in die
Krise, wenn nicht den Wahnsinn treibt.
Klingt
alles immer noch nach "Blair Witch" im Kammerformat. Ist es auch,
einerseits. Andererseits sind die Handkamerabilder aus dem Hausinnern andere.
Nicht einmal so sehr, weil sie technisch anders aussähen. Sondern weil
die mediale Realität inzwischen andere Bilder produziert. Die Nacht-Überwachungsbilder
erinnern doch verteufelt an nächtliche Aufnahmen aus dem Big-Brother-Container.
Schon darin erkennt eine Generation das, was sie für mediale Wirklichkeit
hält, wieder. Soll heißen: das ist ein Authentizitätseffekt,
der sich unwillkürlicher Medienerziehung verdankt. Und noch eine Ähnlichkeit
ist diesen Bildern, die deshalb wirklich alles andere als dieselben sind, zugewachsen
inzwischen: die zu den Terabytes ganz vergleichbaren Materials, das man auf
YouTube findet. Das Unprofessionelle, Verwackelte, der Spökes mit Geistern,
aber sogar noch das mit diesem Bildtypus sogleich assoziierte Memartig-Virale:
alles verweist in Richtung YouTube-Amateur-Material und bezieht auch von daher
seine Kraft.
Diese
Kraft wäre dann freilich eine, die sich keiner künstlerischen Intention,
keinem Regie-Können verdankt. Die Bilder von "Paranormal Activity"
sprechen, wie die Bilder von YouTube, für sich. Sie sagen dabei aber gar
nichts - das ist ihre Pointe -, außer: Ich bin dazu da, dich direkt zu
affizieren, ganz egal, wie ich von wem auch immer einmal gedacht war. Kaum jemand
wird den Horror, der in "Paranormal Activity" zu hören, (kaum)
zu sehen und (vor allem) zu ahnen ist, für echt halten in einem naiven
Sinn. Weil aber das optisch-mediale Unbewusste zu YouTube-Bildern das Verhältnis
einer von Autorschaften entkoppelten Unmittelbarkeit hat, darum wirken die Horrorbilder
des Films, als wären sie echt. Und so überführen sie die ältesten
aller Topoi und Effekte des Horrorkinos - so unoriginell wie das meiste bei
YouTube - in eine neue mediale Zeit. Wenn man den vielen Zeugenberichten im
Internet glauben darf, funktioniert der Horror von "Paranormal Activity"
zumindest bei für Geisterquatsch empfänglichen jüngeren Rezipienten
bestens. Mich hat das ganze ziemlich tödlich gelangweilt. Aber wahrscheinlich
bin ich da einfach von gestern.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen am 19.11.2009 in: www.perlentaucher.de
Paranormal
Activity
USA
2007 – Regie und Buch: Oren Peli - Darsteller: Micah Sloat, Katie Featherston,
Mark Fredrichs, Randy Mc Dowell, Michael Bayouth, Amber Armstrong, Ashley Palmer,
Tim Piper, Crystal Cartwright - FSK: ab 16 - Länge: 87 min. - Start: 19.11.2009
zur startseite
zum archiv
zu den essays