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Passion
(No) Passion, oder zehn Bemerkungen eines melancholischen de-Palma-Bewunderers
1. »Passion« ist das Remake eines ziemlich guten Films
von Alain Corneau (»Love Crime«), einem der wenigen, die vielleicht
etwas wiedergeben von der politischen und sexuellen Ökonomie, die den Weg
in die große Krise begleitete. Es gibt nur sehr wenige gute französische
Filme, deren amerikanisches Remake wenigstens beinahe genau so gut wurde wie
das Original.
2. Die Geschichte ist also bekannt. In der Boom-Ökonomie liefern
sich zwei Frauen, die eigentlich hätten Verbündete sein müssen
im Kampf um die Verweiblichung des Business, einen brutalen Machtkampf. Zuerst
scheint ja auch für die freundliche Isabelle (Noomi Rapace) darin kein
großes Problem zu bestehen, dass die gewandte Christine (Rachel McAdams)
sich vergleichsweise schamlos an ihren Fähigkeiten und Ideen bedient und
sie als die eigenen verkauft. Zweifel sind anfänglich rasch besänftigt.
Man ist schließlich Teamplayer, man wird es gemeinsam schaffen. Außerdem
gibt es da diese durchaus erotische Spannung zwischen den Frauen. »Alles
über Eve« im Neoliberalismus. Aber Christine hat dann doch zu viel
Spaß an der Kontrolle der anderen Frau. Sie treibt es zu weit. Der Gegenschlag
kommt. Er wird mit den Mitteln der Sexualität geführt. Unter anderen.
3. Brian de Palma hat mit einer Reihe von ziemlich kräftigen
und zugleich ziemlich raffinierten Filmen versucht, Alfred Hitchcock ins Körperliche
zu verlängern. Dabei ist es ihm in zwei Jahrzehnten gelungen, ein paar
echte Coups zu landen, Filme, die mit ihrer Mischung aus sexueller Energie,
Maskerade und Stil das Thriller-Genre revitalisiert haben. Lange Zeit freute
man sich über einen kleinen Genre-Meister, der das Werk des größeren
genussreich zitierte, und dann freute man sich sogar noch über den Größenwahn
des kleinen Meisters, der sich dem größeren ebenbürtig fühlte.
Warum auch nicht? Mit falscher Ehrfurcht macht man keine guten Filme. Aber dann
wurden aus Zitaten des großen Meisters mehr und mehr Selbstzitate des
Zitators.
4. Brian de Palma läuft einer erotischen Energie hinterher, die
es im Jahr 2013 auf die von ihm angestrebte Art einfach nicht mehr gibt. So
wird die Spannung in seinen Filmen immer mehr zu einer bloßen Behauptung.
Eine Einstellung sagt: »Es knistert«. Und im Kopf des Zuschauers
sagt es: Nö, tut es nicht.
5. Darf man Hitchcock indes zitieren, fortsetzen, ergänzen oder
variieren ohne eine Spur von ironischer Distanz dabei? Mittlerweile macht Brian
de Palma nicht mehr allein Pseudo-Hitchcock-Filme, er macht Pseudo-de-Palma-Filme.
Er rennt einem ›old feeling‹ hinterher, das seine dramatische Schwernis verloren
hat. Und Humor hat Mr. de Palma nicht so viel.
6. Noomi Rapace ist ein toller Typ, gewiss. Sie gehört aber nicht
zu den Schauspielerinnen, die irgendwie »alles spielen« können.
7. Nicht zum ersten Mal drückt sich de Palma vor den Konsequenzen
eines Motivs. Während Corneau etwas zu sagen hatte über Macht, Sexualität
und Ökonomie und seine Versuchsanordnung bis zum bitteren Ende durchhielt,
löst de Palma sich in der Mitte des Plots von dieser Konstellation und
jongliert mehr oder weniger frei mit den »Vertigo«-Motiven
von Trauma, Obsessionen und Projektion. Kopfkino, in doppeltem Sinne. Wozu dann
aber die Mühe der Versuchsanordnung?
8. Wer sich Freiheiten nimmt, muss etwas damit anfangen. So lautet
die Regel.
9. Für das, was man zeigt, muss man sich interessieren. Entweder
mit Zorn oder mit Zärtlichkeit. Oder mit einer Mischung aus beidem. Sonst
fragt sich der Zuschauer: Was soll ich hier?
10.Wer aber eine einst großartige und immer noch nicht wirklich
schrottreife Kinomaschine sehen will, die eine Stunde und 45 Minuten lang mehr
oder weniger leer durchdreht und dabei durchaus schönen Abfall produziert,
kann »Passion« ohne große Erwartungen genießen. Und
dem Echo alter Meisterschaft und alten Größenwahns nachspüren.
Auch wenn nichts wirklich funktioniert.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.strandgut.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Passion
Deutschland, Spanien, Frankreich, Großbritannien 2012 - 105 Minuten - Kinostart(D):02.05.2013 - FSK:ab 16 Jahre - Regie: Brian De Palma - Drehbuch: Brian De Palma - Produktion: Saïd Ben Saïd - Bildgestaltung: José Luis Alcaine - Montage: François Gedigier - Musik: Pino Donaggio - Darsteller: Rachel McAdams, Noomi Rapace, Paul Anderson, Karoline Herfurth, Rainer Bock, Leila Rozario, Ian T. Dickinson, Alexander Yassin, Frank Witter, Gernot Alwin Kunert
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