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Pink
Irgendwann in der hohen Produktions- und Postproduktionsphase
seines neuen Films „Pink“ hat Rudolf Thome auf seiner Website „Moana.de“ mit
der ihm eigenen Emphase davon gesprochen, dass dieser „unglaubliche Film“ die
Thome-Welt umzustürzen imstande sei: Seine Feinde würden ihn lieben,
seine Freunde ihn hassen. Angesichts der aktuellen Popularität Thomes in
den Kinos käme dies tatsächlich einer Film-Kultur-Revolution gleich.
Mittlerweile – der Film premierte während der Berlinale geradezu demütigend
im Programm versteckt, erntete ein paar harsche Verrisse und ein paar ganz erstaunliche
Liebeserklärungen – sitzt Thome bereits an neuen Projekten und hat seine
Erwartungen an „Pink“ etwas relativiert. Allzu viele Gründe, in die Defensive
zu gehen, gibt es aber nicht, denn „Pink“ wartet in der Tat mit einer überraschenden
Kino-Erfahrung auf. Was Thome und sein Team hier in knapp 80 Minuten erzählen,
ist gewissermaßen die Essenz von gut 100 Folgen „Verbotene Liebe“ oder
„Lindenstraße“, bloß, dass „Pink“ sich all die trivialen Handlungsretardationen
und Intrigen-Ornamente spart und gewissermaßen nur die Höhepunkte
aneinanderreiht. Peng! Peng! Peng!
„Pink“ lebt von der Spannung zwischen dem Erzählten und dem
Gezeigten und der Verdichtung von Gesten und Posen. Weil man das alles schon
Hunderte von Malen gesehen hat, spart Thome sich die Zeit und kommt lieber auf
den Punkt. Genauer: er kommt noch nicht einmal auf den Punkt, denn es ist schwierig,
die Erzählhaltung hinter „Pink“ genau zu bestimmen. Versuchen wir es einmal
so: die Grundhaltung des Filmemachers zur Geschichte, die er erzählt, ist
ironisch. Aber in jeder Szene dieser Reihung von Ellipsen geht es gänzlich
unironisch um alles. Lässt man sich auf dieses ungewöhnliche (und
latent auf Carl Sternheim verweisende) Erzählverfahren ein, erlebt man
ein Abenteuer, dass in manchem an Truffauts „Die Braut trug schwarz“ erinnert,
was aber weniger mit der Geschichte als vielmehr mit der vorzüglichen Kameraarbeit
von Ute Freund und der perfekten, stets den Mehrwert der Szenen betonenden Musik
von Katia Tchemberdji zu tun hat. Voila, Nouvelle Vague!
Worum geht es? Drei Hochzeiten und ein Todesfall! Ein Märchen
aus uralten Zeiten! Eine Rückkehr ins Paradies in der Larve der bürgerlichen
Kleinfamilie. Mit dunkler Perücke und überdimensionaler Sonnenbrille
wird aus der ehemaligen Klosterschülerin Susi Bauer ratzfatz die vergötterte
Punk-Dichterin Pink, die sich den Luxus leistet, drei höchst unterschiedliche
Männer gleichzeitig zu lieben. Susi ist ein Waisenkind, doch Pink besitzt
einen Waffenschein, um aufdringliche Fans zu verscheuchen. Pink weiß eines
ganz genau: „Liebe ist Mord!“ Ihre drei Verehrer, ihre Prinzen könnten
unterschiedlicher nicht sein, sind aber andererseits nur unterschiedliche Facetten
eines »kompletten« Mannes. Carlo ist ein erfolgreicher Geschäftsmann
und sehr viel unterwegs, Georg ist ein extrem modebewusster, eitler, hedonistischer
Verleger und Balthasar schließlich ist Musiker, durch einen Lottogewinn
finanziell unabhängig auf dem Land lebend. Da die drei Männer allesamt
sehr wohlerzogen sind, könnte diese menage a quadre sehr schön sein,
doch eines Tages befiehlt Gott Susi Bauer, sie möge sich doch bitte entscheiden
für einen der Männer. Leider hat die Stimme Gottes ihr nicht die Qual
der Wahl erspart. Pink vertraut auf die alte sowjetische Weisheit: Liebe = das
Produkt planmäßigen Vorgehens + eisernem Verstand!
Folglich versucht sie es mit Arithmetik, listet mit reichlich
Stirnfalten und Taschenrechner die Pros und Contras jedes Bewerbers – Carlo
bekommt den Zuschlag. Jetzt wird geheiratet, doch Carlo ändert nicht sein
Leben, kümmert sich nicht um Pink, ist viel unterwegs. Doch „Pinkilein“
hat keine Lust, allein zu sein. Die Trennung erfolgt per
SMS. Wenn Carlo sich – etwas sehr theatralisch mit Countdown – in seinem Büro
erhängt, experimentiert Pink gerade, wie sich die Liebe (oder der Sex?)
mit einer Frau anfühlt. Später wird sie einmal sagen: „Ich habe dazu
gelernt!“
Jetzt ist Georg an der Reihe. Mit dem kann man Reisen unternehmen
und richtige Abenteuer erleben, aber er ist nicht treu, will Pink, aber auch
Sex und Drogen. Pink jagt ihn mit vorgehaltener Waffe aus der Wohnung. Jetzt
bleibt ihr nur noch Balthasar, dessen aufreizend milde Geduld belohnt wird.
Balthasar ist bislang alles Glück im Leben in den Schoß gefallen!
Sahen wir zu Beginn eine urbane Punk-Dichterin mit drei um sie buhlenden Männern,
sehen wir am Schluss des Films eine junge Mutter mit Mann, Kind und Bauernhof
– ein konservatives Idyll, dass man allerdings nicht zu ernst nehmen sollte,
weil Thome das glückliche Paar zuvor gemeinsam bei einem Konzert gezeigt
hat: Sie singt ihre bedeutungslosen Reime, er spielt die Gitarre, ohne auch
nur einmal den Akkord zu wechseln. Selten wurde Mittelmäßigeres so
emphatisch vom Publikum gefeiert!
Noch viel radikaler und wirklich provozierend unbekümmerter
als in seinen letzten Filmen präsentiert Altmeister Thome („Rote Sonne“)
die reine Oberfläche des Erzählens. „Pink“ zeigt alles, was einfach
so da ist. Hier ist nichts symbolisch oder allegorisch zu verstehen, sondern
hier folgt eine Erzählung den Einfällen eines Erzählers, der solche
und ähnliche Geschichten seit Jahrzehnten erzählt und sich selbst
nicht langweilen will. Ob man die ländliche Idylle am Ende als ironisch
oder im Sinne einer konservativen Utopie begreift, liegt im Auge des Betrachters.
Die kindlich-naive und nicht allzu kluge Pink praktiziert learning by doing,
jede Station ein kleiner Irrtum auf dem Weg zum Glück. Susi Bauer probiert
sich aus, gibt sich selbstbewusst und weiß doch: „Ich bin überhaupt
nicht neugierig!“ Als sie sich zu Beginn des Films für Carlo entschieden
hat, ist sie geradezu erleichtert: „Jetzt liegt alles bei dir, jetzt musst du
mich glücklich machen!“ Man denke nur an die ewig quengelige Anna Karina
in Godards „Pierrot le Fou“! Anders gesagt: In welchem anderen deutschen Film
der letzten Zeit wurde eine junge Punk-Dichterin ausführlich beim Suchen
von Ostereiern im Garten gezeigt? Verspottet hier vielleicht der alte Feminist
Thome eine Generation von Nachgeborenen, die unter den geerbten Emanzipationsansprüchen
ihrer Mütter ächzen? Oder ist „Pink“ einer Männerphantasie? Man
staunt, wie jung, frisch, kiebig und böse sich „Pink“ neben all den bleischweren
und Bedeutung heischenden deutschen Beziehungsdramen der Saison ausnimmt. Man
muss nur staunen wollen!
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: filmdienst
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Pink
Deutschland 2009 - Regie: Rudolf Thome - Darsteller: Hannah Herzsprung,
Guntram Brattia, Florian Panzner, Cornelius Schwalm, Radhe Schiff, Anna Kubin,
Christine Knispel, Christina Hecke, Hubertus Hiess - Prädikat: wertvoll
- Länge: 82 min. - Start: 20.8.2009
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