zur startseite
zum archiv
Der
Priestermord
3.346
m Film
Der neue Film der polnischen Regisseurin
Agnieszka Holland, »Der Priestermord«, ist ein mediales Produkt
der frühen Reagan-Ära: Perverse Kommunisten killen keuschen Pater
Tatort: die Weichsel bei Wloclawek. Tatzeit:
19. Oktober 1984, nachts. Opfer: Pater Popieluszko, der nach dem Verbot von
Solidarnosc in der Pfarrkirche St. Stanislaw Kostka die populären »Messen
für das Vaterland« zelebrierte. Täter: kommunistische Bullen.
Tatwaffe: ein Holzknüppel.
Tatort: das Kino. Tatzeit: 1989. Opfer:
Pater Popieluszko, postum Popstar des Westens. Täter: die antikommunistische
Regisseurin Agnieszka Holland. Tatwaffe: 3.346 m Film »Der Priestermord«.
Der Film fabuliert die historische Story
neu zusammen. Pater Alec (Christopher Lambert) heißt jetzt der Nationalheld,
vor dem die Massen auf die Knie gehen. Er ist jung und schön, aber der
kommunistischen Geheimpolizei ein Ärgernis. Die Bullen, allesamt perverse
Psychopathen, versuchen ihn mit allerlei Tricks in den Knast zu bringen. Ein
schwarzer BH wird ins Bett geschmuggelt, auch eine automatische Schnellfeuerwaffe.
Vergeblich. Christopher Lambert bleibt keusch und macht die allen Fans bekannte
gute Miene zum bösen Spiel. Schlimmer noch: Die Geheimpolizei wird von
ganz oben (General Jaruzelski) gebremst.
Das kann jedoch Hauptkommissar Stefans
(Ed Harris') Verfolgungswillen nichts anhaben, besonders da ihm die beruflichen
Mißerfolge auf die sexuelle Potenz geschlagen sind und seine Ehefrau infolgedessen
leidet. Er tut sich mit dem schwulen Bullen Felix (Tim Roth) und dem anderweitig
abartigen Igor (Timothy Spall) zusammen und formiert ein kommunistisches Under-Cover-Trio,
das im Auftrag einer ebenso kommunistischen Geheimloge – der Agentenführer
ist Oberst und Psychopath zugleich (Joss Ackland) – den Christopher Lambert
entführt und totschlägt. Wie der Teufel rast Hauptkommissar Stefan
danach nach Hause, reißt der Ehefrau die Bettdecke weg, schlingt sich
ihre Beine um die Schultern und fickt sie mit aller Kraft. In sechs Sekunden
sind beide fertig. Es geht wieder! ! Laute
Schreie belegen den wechselseitigen Orgasmus. Leider muß Stefan aber aus
Gründen der Staatsräson ins Gefängnis. Und so hat der Film denn
doch kein happy end.
Informationen hält Regisseurin Agnieszka
Holland in diesem Zweistundenfilm für unnötig. Obwohl sie mit Wissen
vollgepropft ist. Denn bis Ende 1981, bis zum Verbot von Solidarnosc, lebte
und arbeitete sie in Warschau (acht Filme). Und 1961, erzählt sie, wurde
ihr Vater von der politischen Polizei ermordet (»Meine erste politische
Erfahrung«). – Im Film aber gibt es nichts zu erklären und zu begreifen.
Gut und böse sind von vornherein verteilt und damit basta. Christopher
Lambert zeigt sein immer gleiches hübsches Gesicht. Er muß nicht
spielen, kann es vielleicht auch nicht. Wenn er ermordet wird, wird nicht der
Pater Popieluszko ermordet, sondern der derzeit zumindest in Frankreich beliebteste
Filmschauspieler. Und mit ihm unser Tarzan (Greystoke – Die Legende von Tarzan,
Herr der Affen, 1983), unser anarchischer Punker (Subway, 1985), unser 400jähriger
Unsterblicher (Highlander, 1986), unser toller Mafioso (Der Sizilianer, 1987).
– Wenn wir etwas wissen, dann wissen wir, daß in diesem Film ein Pop-Held
der westlichen Zivilisation den Märtyrertod stirbt, und zwar im Ostblock.
Und alle ästhetischen Mittel des Films bezwecken das Eine: an die Instinkte
zu appellieren, um das schlechthin Böse da drüben im Osten zu lokalisieren.
»Der Priestermord« ist ein
mediales Produkt der frühen Reagan-Ära, die ihre Politik als Kreuzzug
gegen den Sitz des Bösen zu verkleiden gedachte. Agnieszka Hollands neuer
Film erscheint daher gleich beim Start merkwürdig veraltet. Andererseits
macht er sich von politischen Entwicklungen unabhängig, weil es ihm weder
um Politik noch um Entwicklungen geht. Grade weil er den historischen Fall des
Solidarnosc-Priesters zum Inhalt hat, und grade weil die Regisseurin es besser
wissen müßte, lohnt es sich, die Strategie der Entpolitisierung und
der Verteufelung des Gegners in diesem Film zu untersuchen.
Bevor es überhaupt richtig losgeht,
tremoliert Joan Baez im off bereits etwas vom »Crime of Cain«, womit
Bulle Stefan von vornherein sein Zeichen weg hat. Kain hier, Abel da, und alle
warten, daß sich die Stigmata zeigen. Kain: Das ist die Minderheit. Sie
hockt in winkligen engen Räumen zusammen, säuft und spielt. Dagegen
Abel: Kirchenschiffe, Plätze, das Firmament, und Priester Alec verteilt
Autogramme – in aller Öffentlichkeit, ein Bad in der Mehrheit.
Oder die Masken. Ungeschminkte, heroische
Porträts im Lager des Guten. Markante Gesichter von betenden Bäuerinnen
(wieder trällert Joan Baez; diesmal was vom »Golden Eagle«)
und immer wieder Lamberts reines offenes Gesicht, fast schon ein Dauer-Poster.
– Daneben die Fratzen der Untermenschen und Perversen. Die zuckenden Grimassen
verraten das Böse, das in ihnen herrscht und heraus will. Die Schminke
verdeckt nicht, sie denunziert. Die Homosexuellen sind das Böse, sie haben
dem polnischen Volk den Krieg erklärt. Denn der schwule Bulle, der hinter
den hübschen Jungs von Solidarnosc her ist, schlägt den friedfertigen
und daher manifest masochistischen Abel-Priester auf eindeutig wollüstige
und daher einwandfrei sadistische Weise tot. Die Maske zeigts: bluttriefend
hebt er die Lefzen vom Opfer, die Lippen sind überrot und wüst geschminkt,
eine Transvestitenparodie. Und grinsen tut er auch noch.
Immer und immer wieder führt der
Film das Gute aus der Welt des Guten vor. Selbst das Product Placing wird zum
ästhetischen Mittel für den guten Zweck. Eigentlich ist es ebenso
kokett wie aufdringlich, wenn die Zigarettenschachtel in die Großaufnahme
kommt und dann genüßlich die Marke enthüllt wird, die bislang
verdeckt war. Ja, es ist Marlboro, (noch) entbehrt in der Welt des Bösen.
Und dann wird eben das auch noch im Dialog gesagt. Marlboro! Kennen wir! Freudiges
Wiedersehen! – Das Vertraute ist das Gute. Den Star, die Gesichter im Film:
kennen wir. Und die Priesterkirche, die Landschaften... Man braucht nicht zu
wissen, wo der Film gedreht wurde. Die Drehorte signalisieren Bekanntes, Heimatliches.
Saint-Esprit, die Heiliggeist-Kirche im 12. Arrondissement, nahe dem Bois de
Vincennes, ersetzt die Warschauer St. Stanislaw-Kostka-Kirche. Die Landschaften
des Jura, die Städte Lyon, Villeurbanne, Le Havre, Lille erscheinen in
diesem Film auf sehr bemerkenswerte Art vom polnischen Ambiente gereinigt. Fremd
dagegen muten die Innenräume der bösen perversen Minderheit an; die
Toilette, in die sich der schwule Vampyr-Bulle mit einem Verschwörer einschließt,
ist eindeutig nicht auf dem neuesten Stand der Hygiene-Technik.
Der Film ist so angelegt, daß man
mit Freuden wiedererkennt, was vertraut ist. Denn das gewährt Zuflucht
vor dem, was Angst macht. Und diese Angst schürt der Film mit einigem Raffinement.
Weil die Bösen uns auf höchst unpolitische Art nahekommen. Zum Beispiel
verletzten sie ein so schützenswertes Gut wie die Tierliebe. Denn was tut
der kommunistische Bulle? Er klemmt den Kopf eines besonders zutraulichen und
putzigen Hundes in die Seitenscheibe seines Autos ein und jagt mit aufheulendem
Motor davon. Auch das Tier heult und jault; bösartig dreht der Böse
die Scheibe höher und höher, bis wir ein letztes Wimmern hören.
(Doch gemach, auch hier wird das Gute siegen).
Nun könnte es eventuell so sein,
daß die Bullen in Polen wie anderswo grade deswegen allen Freiheitsbestrebungen
so gefährlich und abträglich sind, weil sie effektiv, technokratisch-professionell,
ganz vernünftig, nämlich wohlüberlegten Dienstanweisungen folgend
im Namen des Normalen, des Rechts und des Volkes knüppeln und dabei auch
mal jemanden totschlagen. Im Namen des Kommunismus, ja, das klingt recht deutlich
an in diesem Film, soll das aber eben nicht normal sein – in diesem Film. Drum
entzieht er sich weislich einer Diskussion, die dann auch im Reich des Guten
zu führen wäre, läßt Abel, den Priester nach Rom reisen,
wo ihn »der Hl. Vater freudig erwartet« (Filmtext), während
die Polizisten als Prototypen aller sexuell und geistig Gestörten agieren.
Arme Irre! Phantasy-Horror! Satansbrut. Sollen sie einem leidtun? Aber nein,
der Film bemitleidet sich selbst, die »Ave Marias«, die ein ums
andere Mal erklingen, gelten der Mehrheit aller Normalen.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: konkret 02/89, S. 70
Der
Priestermord
TO
KILL A PRIEST
LE
COMPLOT
USA
/ Frankreich - 1987 - 117 min. - Verleih: Columbia TriStar, RCA/Columbia (Video)
- Erstaufführung: 12.1.1989/8.8.1989 Video - Produktionsfirma: Columbia/J.P.
Prod./FR 3 - Produktion: Jean-Pierre Alessandri
Regie:
Agnieszka Holland
Buch:
Agnieszka Holland, Jean-Yves Pitoun
Kamera:
Adam Holender
Musik:
Georges Delerue
Schnitt:
Hervé de Luze
Darsteller:
Christopher
Lambert (Pater Alec)
Ed
Harris (Stefan)
Joanne
Whalley (Anna)
Tim
Roth (Feliks)
Joss
Ackland (Colonel)
zur startseite
zum archiv