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Prince
of Persia
-
Der Sand der Zeit
Sprung
ins Nichts
Die
Figur des komischen Sidekicks, meist angenehm moralfrei und schlagfertig, hat
eine lange und stolze Tradition im amerikanischen Mainstreamfilm, vom trunksüchtigen
Cowboy bis zum interplanetaren Schmuggler. In dieser Figur dürfen nicht
nur die Drehbuchautoren, sondern auch die Schauspieler endlich mal politische
und moralische Bedenken der Heldengeschichte fallen lassen und können richtig
vom Leder ziehen – entsprechend begannen große Schauspielkarrieren wie
die von Dean Martin, Harrison Ford oder Paul Giamatti in solchen Rollen. Zugleich
dient der comic
sidekick,
ähnlich der leicht von den anderen losgelösten Sonderstellung des
Torwarts in der Fußballmannschaft, als letzte Absicherung im Falle einer
drohenden filmischen Blamage. In solchen Fällen ergibt sich nicht selten
ein Effekt der völligen Loslösung von Rolle und Film: Versagt auch
der komische Sidekick (prototypisch beispielsweise Danny Aiello in Hudson
Hawk),
so reißt er ein ohnehin schon schwaches Werk mit hinab in die tiefen Schlünde
des Schunds; funktioniert er dagegen zu gut (Johnny Depp in Fluch
der Karibik
ist ein gutes Beispiel hierfür), droht er, den ganzen Film zu stehlen und
die Hauptfigurenkonstellation zu untergraben.
Alfred
Molina, der besagte Rolle hier mit Gusto und genüsslichem Ganzkörpereinsatz
ausfüllt, fällt sicherlich in die zweite Kategorie. Das spiegelt sein
Talent, ist aber sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass er im Gegensatz
zu Ben Kingsley und im Gegensatz zu allen anderen einige genuin unterhaltsame
Quatsch-Dialoge bekommt, in denen er sich dann auch genüsslich suhlt. (Ebenso
wie Kingsley gilt ja auch Molina als eine Art ethnischer Joker, der in jeder
denkbaren Nationalitätenrolle zwischen Newcastle und Novosibirsk einsetzbar
ist.)
Leider
sind das dann auch schon die einzigen Freuden, die es in diesem visuell und
musikalisch wild und ziellos um sich schlagenden Film zu bestaunen gibt. Es
wird relativ schnell klar, dass die Mischehe aus dem disneyschen Märchenromantik-Schloss
und den Zwiebeltürmen des zugrundeliegenden Broederbund-Computerspiels
ein großes Missverständnis ist. Für Fluch
der Karibik-Produzent
Jerry Bruckheimer mag es Sinn ergeben haben, einen weiteren Indie-Star in fragwürdiger
Haar- und Bartpracht in einem weiteren Abenteuermärchen durch weitere exotische
Lokalitäten zu hetzen. Aber, wie man im amerikanischen Showbusiness gerne
sagt: They
forgot to bring the funny.
Autor Boaz Yakin, bisher verantwortlich für Filme wie Dirty
Dancing 2
und die Dolph-Lundgren-Verfilmung des Punisher, erliegt
dem amateurhaften Irrglauben, Geschwindigkeit und Dramatik wären für
einen Film wie den vorliegenden wichtig. Um dies endlich ein- für allemal
aufzuklären: Es ist mit konventionellen Mitteln längst nicht mehr
möglich (noch ist es wünschenswert) im Blockbusterfilm Spannung im
eigentlichen Sinn zu erzeugen. Der Versuch, so etwas wie Suspense bei einem
Schwertkampf des übermenschlichen Helden mit einem Dutzend gesichtsloser
Stuntstatisten in Minute Zwanzig des Films herstellen zu wollen, ist kindisch
und verkennt schlicht die Situation. Das Publikum erwartet seit mehr als zehn
Jahren keine Dramatik mehr in solchen Mainstream-Kampfsequenzen. Natürlich
wird der Held gewinnen. Der Reiz muss durch Unterhaltungswert geschaffen werden:
Durch parallele, ebenso schlagfertige Dialoge beispielsweise, oder durch überraschende
Lösungen vertrackter Kampfsituationen. James Bond, der dem außergewöhnlich
hingeschlachteten Bösewicht einen geschmacklosen Kalauer hinterherschickt;
Indiana Jones, der einen anscheinend äußerst fähigen Schwertkämpfer
kurzerhand über den Haufen knallt; Jason Bourne, der Haushaltsgegenstände
wie Zeitschriften und Handtücher als Waffen instrumentalisiert. Kurz: Es
geht um Überraschung. Es geht um Komik.
Nun
hätte das zugrundeliegende Spiel, traditionellerweise die Parcours-Variante
üblicher Jump&Run-Spiele, durchaus Möglichkeiten für solche
überraschenden und humoristischen Situationen bereitgestellt, und Yakin
schreibt immerhin genug Verfolgungsszenen in den Film – auch wenn er dafür
eine unerträgliche Menge langweiligster Exposition auf den Zuschauer einprasseln
und eine unnötig verknotete Figurenkonstellation konstruieren muss und
dabei seine Figuren aufs Peinlichste Subtext ausplaudern und Handlungen mehrmals
kommentieren lässt, bis selbst Zehnjährige unterfordert aufstöhnen.
Doch selbst das Potential der so ungelenk geschaffenen Flucht- und Actionsequenzen
wird sofort abgewürgt, und zwar nicht nur von den einfallslosen und repetitiven
Choreographien, sondern vor allem von einem erneut grausig fehlgeleiteten Montagestil.
Der stellt sich nämlich am Ende als fataler heraus als alle Plotklischees,
Musikdramatikklatschen und visuelle Platitüden: Wenn der Titel »Prince
of Persia« auch nur eine einzige Erwartung weckt, dann die auf spektakuläre
Artistik und Akrobatik. Und jedes Kind weiß, dass atemberaubende Sprünge,
Salti und Kletteraktionen nur dann funktionieren, wenn der Zuschauer vorher
die Architektur der Szene versteht. Der Schnitt in Prince
of Persia
jedoch verhackstückt jegliche Stunt-Arbeit bis zur Unkenntlichkeit, schafft
keinerlei Orientierung und vermurkst so das eigentliche Kernstück des Films.
Ein Akrobatikfilm, in dem man die Akrobatik nicht mehr erkennen kann ist schlicht
unnütz. Und so bleibt nur Alfred Molina, der einen schwachen Film stiehlt.
Daniel
Bickermann
Dieser schöne Text ist zuerst erschienen (leider immer noch in alter Schreibung) im: schnitt
Prince
of Persia - Der Sand der Zeit
USA
2009 - Originaltitel: Prince of Persia: The Sands of Time - Regie: Mike Newell
- Darsteller: Jake Gyllenhaal, Gemma Arterton, Ben Kingsley, Alfred Molina,
Toby Kebbell, Reece Ritchie, Ambika Jois, Richard Coyle - FSK: ab 12 - Länge:
116 min. - Start: 20.5.2010
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