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Public
Enemies
In seinem Gangsterfilm "Public Enemies"
findet Michael Mann gegenwärtige Bilder, die die Welt noch nicht gesehen
hat, für die dreißiger Jahre.
Männer bei der Arbeit. Eine Fabrikhalle,
die Männer tragen gestreift. Ein Knast. Die Kamera, auf Höhe der Tischfläche,
zeigt, was auf Tischen liegt und zeigt, was Hände tun. Dann Schnitt. Auf
Höhe der Köpfe, entschlossene Gesichter, Männer, die gestreift
tragen in Bewegung, die Kamera bewegt sich vor ihnen zurück. Dann wieder
die Hände: Sie falten etwas auf, sie stecken etwas hinein, sie tun heimlich,
die Kamera rückt ihnen auf den Leib und hält niemals still. Schwenk
ins Gegenlicht, ein Aufseher im Bild, Männer in gestreifter Bewegung. Dann
Handgemenge, entwundene Waffen, Wogen von kämpfenden Männern. Reißschwenks,
Großaufnahmen von fliegenden Fäusten und würgenden Händen.
Das ist eine der ersten Szenen von "Public
Enemies". John Dillinger, in den ersten Bildern des Films in den Knast
verbracht, bricht in einer von den Mitgefangenen konzertierten Aktion wieder
aus. Diesen Ausbruch orchestriert Michael Mann mit Blicken, die er überall
hat, mit Blicken, die keine Ruhe suchen. Sie nannten Dillinger damals, in den
frühen Dreißigern, in seiner großen Zeit als Mörder und
Räuber: den Hasen, weil er geschmeidig und flink und nicht greifbar über
die Schalter und Tische der Banken sprang bei den Überfällen, weil
er wieder und wieder entkam, man wusste nicht wie. So einem kann einer wie Michael
Mann, der sich und seinem Publikum nichts lieber gibt als Bilder von handelnden
Männern, nicht widerstehen, weil er die geschmeidige und die rasche, jedoch
niemals hektische Bewegung liebt und die Schnelligkeit und das Zugreifen der
Hände und das Reagieren in Sekundenbruchteilen.
Also widersteht er ihm nicht. Sondern
gibt ihm Raum, gibt ihm die Gestalt von Johnny Depp, gibt ihm Schnitte, die
sich den blitzschnellen Aktionen Dillingers anschmiegen und eröffnet das
Feuer in Montagesequenzen, in denen das Licht aus der Mündung von Dillingers,
seiner Leute und seiner Gegner Waffen spuckt, als wär es eine Naturerscheinung
in den Straßen der Stadt und später dann in einer Hütte und
darum herum mitten im Wald. Die Welt, wie Michael Mann sie sieht: Eine Welt
aus kurzem Hinblicken, ein Spiel aus Schatten und grellem Licht, Bildern von
rascher Bewegung in rasch bewegten Bildern, das alles hoch aufgelöst in
Momente, Fragmente, fast immer sind beim Dreh gleich drei Kameras gleichzeitig
im Spiel, denen nichts, kein Aspekt des Ereigneten, für die spätere
Montagekomposition entgehen soll.
Und doch. Wenngleich "Public Enemies"
auf der Stelle - und an eigentlich jeder Stelle - als Michael-Mann-Film zu erkennen
ist, gilt Bild für Bild für Bild dieses neuen Films: Dergleichen hat
die Welt noch nicht gesehen. Seit "Ali" - und damit als einer der ersten
auf Hollywood-Big-Budget-Niveau - dreht Michael Mann mit Digitalkameras. Nicht
im Glauben, dass das Digitale dasselbe leisten kann wie die emulsive Lichtchemie
einer gut hundertjährigen Tradition. Ganz im Gegenteil möchte Mann
wissen, wie, was vor die Kamera kommt, deutlich anders aussehen kann, wenn die
Kamera der Wirklichkeit nun nicht mit lichtempfindlichem Film, sondern mit Sensoren
gegenübertritt, die Bildsignale in Elektroimpulse verwandeln. Er experimentiert
mit den anderen Schärfen und dem anderen Rauschen des Lichts und vor allem
der Dunkelheit, er sucht nach den Effekten, die das
Digitale Pixel für Pixel macht.
In "Public Enemies" ist das
Experiment radikal wie noch nie aus zwei Gründen. Der eine Grund ist die
Kamera selbst. Die Sony CineAlta F23 nämlich erlaubt Schärfen und
Kontraste in einer Auflösung, die man so aus dem Kino nicht kennt. Wenn
einem die Bilder des Films von irgendwoher vertraut vorkommen, dann nur aus
dem ganz anderen Logiken gehorchenden Raum der Videokunst, etwa eines Bill Viola
oder eines Julian Rosefeldt, dessen Arbeiten Tom Tykwer in der Guggenheim-Sequenz
von "The International" noch lustvoll zerschießen ließ.
Abseits aller Theorieüberlegungen zur Differenz von Video und Film ist
das ein Unterschied, der zunächst einmal ganz phänomenologisch ans
durch Tradition eingefleischte Wahrnehmen und Empfinden geht: Was man sieht,
ist nicht die Welt, wie man sie als Wirklichkeit des Kinos kennt. Diese neue,
andere Welt ist überscharf und übergenau und überklar und gleißend
und wir können gar nicht anders, als immerzu die Augen aufzureißen
angesichts des Informationsreichtums dieser abertausendpixelig hochaufgelösten
Bewegungsbilder.
Man könnte eine Hymne schreiben,
zwischen Faszination und Verstörung, über die Poren der Haut, die
schneidenden Kanten zwischen Lichtblitz und Dunkelheit, über den Tau, den
Dampf, das Blut, das Fluten der Räume mit Helligkeit, das so anders und
vom Auge unerfahrene Stoffliche von Natur, Mensch und Ding; alles ganz neu überlebensgroß
und überwältigend und zugleich gnadenlos scharf auf der Leinwand.
(Man muss den Film, was nur in ausgewählten Kinos möglich ist, unbedingt
in digitaler Projektion sehen. Dafür ist er gemacht. In herkömmlicher
Projektion ist es nicht der Film, den Mann gedreht hat.)
Dies aber nun ausgerechnet als Historienfilm.
So sieht nicht irgendeine Wirklichkeit aus, sondern die der dreißiger
Jahre. Mit der von Mann und seinem Stab gewohnten Detailgenauigkeit ist sie
reproduziert, ist sie nach eingehenden Recherchen so wie sie war, wiederhergestellt.
"Public Enemies" ist ein Ausstattungsfilm, der die Vergangenheit heraufbeschwört
- aber: frisch wie am ersten Tag. Der Film folgt einem Sachbuch und Mann ist
sehr stolz darauf, dass die Fakten stimmen. Von Dillingers Flucht aus umstellter
Hütte über die Innovationen von FBI-Chef Edgar J. Hoover bis zum dreisten
Besuch kurz vor dem Ende auf einer Polizeistation.
Und dann spielt die historische Wahrheit
Mann auch noch in jener Sequenz in die Hände, an deren Ende Dillinger auf
der Straße geschnappt und getötet wird. Verraten wird er von einer
erpressbaren Freundin, die den Fahndern um Melvin Purvis (Christian Bale) vom
gemeinsamen Kinobesuch erzählt. So setzt Mann seinen Gangster ins Kino
der Zelluloid-Ära und lässt Clark Gable von der Leinwand der Dreißiger
Jahre leinwandgroß ins digitale Zeitalter grüßen. Und dann
geht er hinaus in diese vergangene Wirklichkeit aus überscharfen Bildern
und stirbt. (Der Kinobesuch ist die Inversion der Guggenheim-Sequenz bei Tykwer.
Und der ganze Unterschied: Einer wie Tykwer ist beim Blick nach vorne rückwärtsgewandt.
Und einer wie Mann geht mit einem Blick zurück in die Zukunft.)
Realismus ist für das, was "Public
Enemies" will, nicht ganz das richtige Wort. Mann will nicht einfach nur
das Reale (als historisch Abgesichertes, als mit äußerster Sorgfalt
Ausgestattetes), sondern er will die Vergangenheit als schiere Gegenwärtigkeit.
Das ist das Unheimliche dieser Vergangenheit bei ihrem Auftritt in ungeahnten
Bildern: Sie ist zum Schein nicht nur real, sondern, was etwas anderes und ziemlich
verstörend ist: präsent. Was man sieht, trägt, trotz nie übersehbarer
Vergangenheits-Marker, alle bildsprachlichen Insignien des Gegenwärtigen.
Das ist der tiefere Grund der Irritation, die von diesem Film ausgeht. Gewiss,
die Bilder sind für sich atemberaubend genug - und noch einmal atemberaubender
als in Manns in manch anderer Hinsicht gelungenerem Vorgänger "Miami
Vice". Wie aber "Public Enemies" uns aus allen gewohnten Bilderträumen
vom Vergangenen reißt und jeden gemütlichen Historienfilm-Illusionismus
von der ersten Einstellung an mit einer dargestellten Welt aus digitalen Präsenzen
unterläuft: Das muss gesehen haben, wer wissen will, wie Welt, Bild und
Wirklichkeit einander ästhetisch wie technologisch höchst heutig begegnen.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen am 05.08.2009 in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Public
Enemies
PUBLIC
ENEMIES
Scope.
USA 2009
Produktion:
Universal Pic./Reletivity Media/Forward Pass/Misher
Films
Produzent:
Michael Mann, Kevin Misher, Bryan H. Carroll, Gusmano Cesaretti, Kevin De La
Noy
Regie:
Michael Mann
Buch:
Ronan Bennett, Michael Mann, Ann Biderman
Buchvorlage:
Bryan Burrough
Kamera:
Dante Spinotti
Musik:
Elliot Goldenthal
Schnitt:
Jeffrey Ford, Paul Rubell
Darsteller:
Johnny Depp (John Dillinger), Christian Bale (Melvin Purvis), Marion Cotillard
(Billie Frechette), Billy Crudup (J. Edgar Hoover), Stephen Dorff (Homer Van
Meter), Stephen Lang (Charles Winstead), Emilie de Ravin (Anna Patzke), Channing
Tatum (Pretty Boy Floyd), Leelee Sobieski (Polly Hamilton), Giovanni Ribisi
(Alvin Karpis), Lili Taylor (Sheriff Lillian Holley), James Russo (Walter Dietrich)
Länge:
140 Minuten
Verleih
Kino: Universal
Start(D):
6. 8. 2009
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