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Public
Enemy No. 1 - Todestrieb
Abgrundlos
stumm
Mit Jean-Francois Richets Film "Public
Enemy No. 1 - Todestrieb" kommt Teil 2 des großen Gangsterbilderbogens
ins Kino. Gelegenheit, noch einmal etwas grundsätzlicher darüber nachzudenken
Der Rahmen ist blutig. Das Blut ist wichtig,
der Rahmen ist es noch mehr. Man kann auch sagen: "Public Enemy No. 1 -
Todestrieb", Fortsetzung des hier besprochenen ersten Teils, ist ein Votivbild
geworden, eines, das Licht und Schatten seiner Heldenfigur kräftig vor
dem Hintergrund dieses Rahmens hervortreten lässt. Der blutige Rahmen sieht
so aus: Erschossen sieht man, im direkten Anschluss an den Beginn des ersten
Teils, Jacques Mesrine in seinem Wagen. Er wird auf die Straße gelegt,
abtransportiert, Menschenmassen stehen herum. Am Ende aber, im letzten, lange
ausgehaltenen Bild stilisiert Jean-Francois Richet seinen Helden zur Ikone:
Blut auf der Stirn, Blut im Gesicht, Tropfen, die sich von der Braue lösen.
Das alles in Close-Up und Seitenprofil.
Mesrine (Vincent Cassel) ist zurück
von seinen kanadischen Streifzügen und kommt vor Gericht. Es gelingt ihm,
aus dem Gerichtssaal, die Flucht. Er lässt sich Bärte wachsen, mal
so und mal so, als Verkleidung und als klares Signal an die Zuschauerschaft:
Wir sind in den siebziger Jahren. Auf sechs Jahre verdichtet der zweite Teil
der großen Gangsterbiografie seine Erzählung. Die letzten sechs Jahre
Mesrines, geprägt von Gefängnis und Flucht, Raubzügen, Liebschaften
- und vor allem: Selbstdarstellung. Noch im Gefängnis verfasst er die Autobiografie,
auf die sich der Film, Mesrine a la Mesrine, ausdrücklich beruft. Er lässt
sich, mit anderen Worten, das Heldenbild vom Helden diktieren.
Das aber heißt: Nicht nur das Licht,
sondern auch den Schatten wirft dieser selbst. Das Biopic wird - so freiwillig-unfreiwillig
wie sein Gegenstand - zum Porträt eines Mannes, der sich an der eigenen
Größe delektiert. Diese Größe mag eingebildet sein, aber
die mediale Öffentlichkeit tut alles, diese Einbildung mit den Bildern,
die sie von ihm entwirft, noch zu mästen. Mesrine beginnt sich überdies
misszuverstehen: als Linken, als einen, der auf der Seite des sich revolutionär
dünkenden Terrorismus steht. Erst eher im Scherz. Als ihm die Polizei nach
der Flucht auf der Spur ist, als sie im Flur vor seinem Hotelzimmer lauert,
plappert er auf Deutsch etwas davon, dass er zur Baader-Gruppe gehöre.
Später gefällt ihm dies Image so gut, dass er sich als Kämpfer
gegen die Bedingungen in Hochsicherheitstrakten geriert.
Der Film nimmt ihm das nicht recht ab.
Vielmehr: Er zeigt Mesrine als einen, der sich das selbst nicht recht abnimmt.
Als einen, der mit seinem Image spielt, ohne es souverän in der Hand zu
haben. Er versucht sich als Doctor des eigenen Spin
und muss scheitern. Der Film zeigt das Bild des gefangenen Aldo Moro und schafft
so mit unfreiwilliger Ambivalenz die Kontexte, die Mesrine sucht. Fatal ist
es für ihn, wenn sich die Unmöglichkeit souveräner Verfügung
übers eigene Bild erweist. Für den Narzissten lauern Kränkungen
überall. Maßlos, ja, tödlich ist darum Mesrines Hass auf die,
die an seine Stilisierung als Robin Hood und Staatsfeind aus politischen Motiven
nicht glauben.
Jean-Francois Richet ist nach einem Hollywood-Ausflug
für diesen Film in die Heimat zurückgekehrt. In den USA hatte er ein
Remake von John Carpenters "Assault
on Precinct 13" gedreht,
das dem Original in keiner Hinsicht gewachsen war. Zwar ist Richet wie Carpenter
ein Regisseur, der das Kino als Sache des Handwerks versteht. Unter der Überschrift
"Handwerk" kommt Kunst für ihn aber von Können und nicht
vom glücklichen Zusammentreffen von Inhalt und Form. Er setzt Action ins
Bild und zeigt sein handwerkliches Können im Kippen und Schneiden, Beschleunigen,
Wackeln und fliegenden Wechsel der Perspektiven. Kinetisch soll sein Kino sein,
Eigenes hat es nicht. In Wahrheit taugt es deshalb auch handwerklich wenig.
Ein bisschen Schmutz der harschen Vorbilder aus den siebziger Jahren will es
zulassen, zugleich zeitgemäßes Update des Action-Kinos von damals
sein, das mit dem, was heute zeitgemäß ist, so wenig zu tun hatte,
dass Wesen und Kern, dessen was Richet wiederaufführen will, flöten
gehen.
Historisches Bewusstsein ist das, was
fehlt. Ganz wie bei Uli Edels Baader-Meinhof-Bilderbogen (mehr hier). Gekonntes Handwerk, glauben Richet
wie auch Edel, ist, wenn der eigene Film aussieht wie richtiges Kino. Dass richtiges
Kino einmal richtiges Kino war, weil es zu einer Wirklichkeit in Beziehung stand,
blenden sie aus. Was so entsteht, sind Kino-Votivbilder mit Rahmen. Handwerklich
saubere - allzu saubere - Kopien von etwas, das in einer Geschichte eine Zeit
hatte und einen Ort. Den Bezug zu dieser Zeit und diesem Ort - also eben das,
was Geschichte heißt - schneidet Richet (wie schon Edel) ab. So flottieren
die Zeichen, Bärte und ikonischen Bilder durch dieses Kino - frei dazu,
völlig ahistorische Verbindungen einzugehen oder, wer weiß ob das
besser ist oder schlimmer: gar keine. Diese Filme, die sich als Historienerzählungen
gerieren, negieren in Form und Inhalt ihre eigene Geschichtlichkeit wie die
ihres Gegenstands. Heraus kommen: Gerahmte Ikonen. Bei allem Krach, den die
Filme machen, bleiben sie doch abgrundlos stumm.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.perlentaucher.de
Public
Enemy No. 1 - Todestrieb
Frankreich / Kanada / Italien 2008 - Originaltitel: Mesrine : L'Ennemi public n°1 - Regie: Jean-François Richet - Darsteller: Vincent Cassel, Ludivine Sagnier, Mathieu Amalric, Gérard Lanvin, Samuel Le Bihan, Olivier Gourmet - FSK: ab 16 - Länge: 132 min. - Start: 21.5.2009
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