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Redacted
“While
I’m over here I’m gonna be shootin’ whatever the fuck’s going on.” Sagt Angel Salazar, ein im irakischen Samarra
stationierter US-Soldat, gleich zu Beginn von Brian De Palmas „Redacted“ in
eine Videokamera. „So
don’t be expecting any
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen,
erzählt „Redacted“ von ausdrücklich erfundenen Ereignissen, rund um
ein ausdrücklich reales Verbrechen: Die Vergewaltigung eines fünfzehnjährigen
irakischen Mädchens und ihre anschließende Ermordung und die ihrer
Familie durch US-Soldaten.
Erzählt wird diese Geschichte durch
die Aufnahmen Salazars, mit denen er sich nach dem Krieg an einer Filmhochschule
bewerben will.
Erzählt wird diese Geschichte durch
einen inszenierten Dokumentarfilm, in dem ein französisches Ehepaar einen
kritischen Blick auf die US-amerikanischen Kontrollpunkte wirft, an denen vorbeifahrende
Autos durchsucht werden, ehe man sie passieren lässt.
Erzählt wird diese Geschichte durch
die Berichterstattung zweier großer Nachrichtensender, eines westlichen
und eines arabischen (Wobei die Parallelen zu CNN auf der einen und Al-Dschasira
auf der anderen Seite so deutlich sind, dass man eigentlich kaum noch von Anspielungen
sprechen kann.).
Erzählt wird die Geschichte durch
Aufnahmen einer Überwachungskamera in dem Militärstützpunkt,
durch Videoaufzeichnungen von Verhören der an dem Verbrechen beteiligten
Soldaten und, last but definetly not least, durch Videos, die auf verschiedenen
Seiten im Internet veröffentlicht wurden.
Ein Krieg zerfällt. In ein Stakkato
der Bilder. In partikulare Blicke, hinter denen partikulare Interessen stehen.
Die zerfallende Narration, für Brian de Palma einziges probates Mittel,
um von einem zerfallenden Krieg zu erzählen, bleibt dabei jedoch immer,
und darauf legt der Film großen Wert, vor allem immer eins: Narration.
Zwar gibt es keinen „objektiven“ Kamerablick in „Redacted“, keine Einstellung,
die die verschiedenen Partikularblicke und Partikularinteressen transzendieren
würde, und doch wird, gerade in der ersten Hälfte des Films, durch
kunstvolle Überblendungen zwischen den einzelnen Elementen, auf die eigene
Inszenierung aufmerksam gemacht. Außerdem wird das Dokumentarische durch
eine gewisse Motivstruktur, etwa ein sich von Beginn an durch die Dialoge ziehender
Subtext um die Doppelbedeutung des Wortes „rat“ (wörtlich: Ratte, metaphorisch:
Verräter), sowie durch einige eindeutig filmische Pointen, etwa in einer
äußerst makabren Szene, in der ein Sergeant betont, dass das wichtigste
sei, den Irak „in one piece“ zu verlassen, Sekundenbruchteile, bevor er von
einer Mine in Stücke gerissen wird, unterminiert. (Und: Sollte es etwa
ein Zufall sein, dass der ‚gute’ Soldat, der im Film, das zeigt De Palma in
aller Drastik, daran scheitert, im entscheidenden Moment das (moralische) Gesetz
aufrecht zu erhalten und somit einen falschen Krieg ‚menschlicher’ zu machen,
mit Vornamen Lawyer heißt?)
Der ganz und gar heutige Krieg, von dem
de Palma erzählt, ist als Krieg der Bilder auch immer noch ein Krieg der
Zeichen, ein Kommunikationskrieg, wie der, den Hernán Cortés,
folgt man den Deutungen Todorovs, gegen die Azteken führte. Doch scheinen
es hier gerade die Besatzer zu sein, die durch ihre Unfähigkeit oder ihren
Unwillen, die gegnerischen Zeichen zu lesen, ihre Überlegenheit verspielen.
Zunächst verhalten sich die US-amerikanischen Truppen im Umgang mit den
Zeichen noch ganz imperial, wie die spanischen Konquistadoren, die etwa Besitzansprüche
an Hand von Verträgen gültig machten, die man die Indianer „unterschreiben“
ließ, ohne dass sie sie lesen konnten. Ein wahrer Schilderwald weist,
vorbildlich auf amerikanisch und irakisch, auf die Kontrollpunkte hin. Zu dumm
nur, dass neueren Untersuchungen zu Folge die Hälfte der irakischen Bevölkerung
nicht lesen kann. Jegliche (scheinbare) Legitimation ihres Krieges, scheitert
dann aber gerade an der Ignoranz, die man den Zeichen Kultur, Religion und Sprache
der Iraker gegenüber an den Tag legt. Bei der Durchsuchung des Hauses,
das später zum Schauplatz des Verbrechens wird, behauptet ein Soldat in
einem Satz, die Papiere, die er in der Hand hält, seien wichtiges Beweismaterial,
um im nächsten zu erkennen zu geben, dass er nicht einmal weiß, wie
die Sprache heißt, in der diese Dokumente geschrieben sind. Um ihr eigenes
Verbrechen zu vertuschen, schieben die Soldaten es auf den Konflikt zwischen
Sunniten und Schiiten. Eine Lüge, die zwangsläufig dubiose Früchte
tragen muss - wissen die Soldaten doch gar nicht, welcher der beiden verfeindeten
Glaubensrichtungen ihre Opfer angehörten, weil es ihnen doch im Kriegsalltag
sonst völlig egal ist, welche „sand niggas“, so die typische Bezeichnung
der Feinde, sie gerade töten.
Der Krieg der Bilder, von dem „Redacted“
erzählt, ist niemals ein einseitiger. Wo auf der einen Seite die Soldaten
ihr abscheuliches Verbrechen filmen, filmen ihre Gegner, wie sie einen der Soldaten
für dieses Verbrechen enthaupten. Den rassistischen und frauenfeindlichen
Schimpftiraden einiger Soldaten (nicht aller, wohlgemerkt), steht ein Video
auf einer Internetseite, deren Logo geschwärzt wurde – wir brauchen es
nicht, um zu erkennen, dass es sich um „YouTube“ handelt –, gegenüber,
bei dem ein junges Mädchen ihrer Wut über die Soldaten Luft macht.
Ihr jugendlich-anarchischer Antiamerikanismus argumentiert dabei aber eben nichts
anderes, als die Verfechter des Krieges, den sie anprangert. Einmal mehr sollen,
wenn auch unter verkehrten Vorzeichen, Menschenleben durch Menschenleben aufgewogen
werden. Sie fordert Rache statt Gerechtigkeit und kann so letztlich - die Logik
der medialen Berichterstattung und Verarbeitung des Krieges, die sie selbst
anprangert, umdrehend - US-amerikanische Kriegsverbrechen
gar nicht thematisieren, ohne gleichzeitig das Massaker vom 11. September 2001
zu verharmlosen.
Die Gratwanderung, die de Palma meisterhaft
gelingt, besteht vor allem darin, dass er die Vielfältigkeit der präsentierten
Standpunkte in diesem Krieg der Bilder nicht als Ausrede für eine vermeintlich
neutrale Position zwischen allen Fronten nutzt. Dadurch, dass der Regisseur
auf den einen imperialen Kamerablick verzichtet, zugunsten einer Vielzahl von
verschiedenen widersprüchlichen Blicken, wird nicht größere
Authentizität und somit eine neue ‚bessere’ Form der Objektivität
behauptet, sondern gerade die Unmöglichkeit eines objektiven Standpunkts
verdeutlicht. Wenn es um Kriegsverbrechen, um Folter, Vergewaltigung und Mord
– egal von welcher Seite – geht, gibt es für ihn keine postmoderne Beliebigkeit,
kein „das kann man aber auch anders sehen“. So bezieht De Palma mit seinem großartigen
Irakkriegsfilm eindeutig Stellung. Zum Feldzug der USA, zur Dummheit und Arroganz,
mit der er geführt wird, und am Schluss noch einmal (vielleicht etwas zu)
deutlich zu dem Zynismus, der das Leid der irakischen Zivilbevölkerung
als Kollateralschaden verstanden wissen möchte.
Nicolai Bühnemann
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Redacted
USA
2007, Buch und Regie: Brian de Palma; Länge: ca. 87 Minuten; Produktion:
Mark Cuban, Jason Kliot, Simone Urdl, Joana Vicente, Todd Wagner, Jennifer Weiss;
Kamera: Jonathon Cliff; Schnitt: Bill Pankow Besetzung : Francois Caillaud (McCoys
Freund), Patrick Carroll (Reno Flake), Rob Devaney (Lawyer McCoy), Izzy Diaz
(Angel Salazar), Mike Figueroa (Sgt. Vazques), Ty Jones (James Sweet), Paul
O'Brien (Bartons Vater), Kel O'Neill (Gabe Blix), Abigail Savage (Teenager),
Daniel Stewart Sherman (B.B. Rush)
DVD
Erschienen
bei: Kinowelt Home Entertainment
Veröffentlichungsdatum:
06.02.2009
Bildformat:
1,78:1 (anamorph)
Ton/Sprache:
Dolby Digital 5.1, Deutsch, Englisch
Extras:
Interview
mit Brian de Palma, Interviews mit Flüchtlingen, Hinter den Kulissen, Trailer
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