zur startseite
zum archiv
Requiem
Es sind Menschen im vertracktesten Elend,
die Hans-Christian Schmid in seinen Filmen interessieren. Sei es der Hacker
Karl Koch in 23, das Ensemble an randständigen Existenzen
in Lichter oder eben hier Michaela Klinger, deren
Schicksal - ihre Epilepsie entfremdet sie ihrem provinziell-religiösen
Umfeld, was schließlich zum Verdacht der satanischen Besessenheit führt
- einem realen Vorfall in den 70er Jahren nachempfunden ist. Ganz minutiös
folgt Schmid dabei den Umständen, in denen sich die jeweiligen Personen
bewegen und in die sich schließlich verstricken, während der Blick
auf die Eskalation der (nur sozusagen) 'realen' Hölle nicht geworfen wird:
Weder sehen wir den Tod von Karl Koch, und wenn in Lichter die Mädchen sich eine Nacht lang
prostituieren müssen, sehen wir zwar, wie es dazu kommt, doch folgt dem
abschließenden Schnitt eine Ellipse zum nächsten Morgen, und das,
möchte man fast sagen, Martyrium von Michaela Klinger schließlich
bleibt einer Notiz im Abspann vorbehalten: Nach zahlreichen Exorzismen stirbt
Klinger an Entkräftung, verkündet weiße Schrift auf schwarzem
Grund. Schmid legt Strukturen und Szenarien offen, der gaffende Blick aber,
der Elend zu reiner Äußerlichkeit degradieren würde, findet
sich in seinen Filmen nicht.
In Requiem sind es kleine Details auf einem langen
Leidensweg, zu dem der Film nur das Vorspiel liefert, die Wegsteine markieren.
Ein schneller Blick, der noch über die Schulter geworfen wird, von der
stets bewegten Kamera, die immer dicht an den Figuren hängt, ihren Bewegungen
nachspürt, fast schon beiläufig, man möchte fast sagen: zufällig,
eben gerade so noch eingefangen. Ein Detail in der Bewegung. Ein Gespräch,
das nicht von Offenheit geprägt sein kann, einfach im Verlauf ist, und
doch zu Missverständnissen führt.
Wo Lichter in dieser Hinsicht oft ausgezirkelt und
aufgestellt wirkte, gelingt es Requiem
seinen Stoff zu erden, zu verankern. Vor allem Sandra Hüller ist dies zuzuschreiben,
die in ihrer Verkörperung der Michaela eine ungeheure Präsenz und
Realität entwickelt; sie stammt vom Theater, was es nur erstaunlicher macht,
wie viel ihrer Figur sie noch in kleinste Details von Gestik und Mimik zu legen
vermag. Am eindrucksvollsten sind die Sequenzen, in denen sie tanzt: Hier findet
die Transitposition ihrer Figur - zwischen Aufbruch, den das begonnene Studium
fern des Heimatdorfes markiert, erste Parties, der erste Freund, all das, und
der allmählichen Entfremdung von ihrer Umgebung, die sich ins grob Hysterische
steigern wird - formvollendeten Ausdruck. Und die Kamera schließt die
Welt um sie qua ihrer Perspektive bereits aus: Sie tanzt für sich, in einem
sozialen Raum zwar, doch die Fäden zur Außenwelt scheinen bereits
gekappt.
Dass Schmid weiterhin darauf verzichtet
hat, seinen Film in eine nostalgische 70er-Travestie zu verwandeln, ist ihm
hoch anzurechnen; angesichts des jüngsten Trends in dieser Hinsicht, hätte
eine solche Entscheidung nahe gelegen. Requiem präsentiert keine Abfolge von props
und Fummeln, auch wenn er seine Geschichte in eine sich am Äußerlichen
festmachende Seventyness zwar einmantelt, doch eben gerade nicht erdrückt.
Requiem ist auch kein Horrorfilm geworden: Plumpe
Ästhetisierungen von Michaelas Phantasmen finden sich nicht; die Kamera
bleibt Instrument zur Beobachtung und wird keines der Subjektivierung. Und sie
erklärt nichts, sie folgt nur nach; am Allerwenigsten ist von Interesse,
was Michaela Klinger wirklich umtreibt.
Die Geschichte einer Entfremdung, die
klar strukturiert ist, nie kalt ihrem Gegenstand gegenüber bleibt, aber
auch nicht zum Sentiment der Einfühlsamkeit neigt. Emphase jenseits der
Empörung und jenseits des Skandals; die Geschichte eines Menschen, dem
man zuhören und in seiner erlebten Realität für voll nehmen hätte müssen.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen im:filmtagebuch.blogger
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
siehe auch: http://www.filmzentrale.com/essays/WennManVomTeufelSprichtjh.htm
Requiem
D
2005.
R: Hans-Christian Schmid. B: Bernd Lange. K: Bogumil Godfrejow. S: Bernd Schlegel, Hansjörg
Weißbrich. P: 23.5. D: Sandra Hüller, Burghart Klaußner, Imogen
Kogge, Friederike Adolph u.a. 92 Min. X Verleih (Warner) ab 2.3.06
zur startseite
zum archiv