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Revanche
"Revanche" beginnt mit dem Blick
auf einen See im Wald. Der See ruht still. Dann wird etwas ins Wasser geworfen,
von irgendwo, Wellen breiten sich aus. Das ist der Vorspann, der auch eine Vordeutung
ist auf das, was sehr viel später, gegen Ende des Films, geschehen wird.
Was nach dem Vorspann geschieht, schließt daran erst einmal nicht an.
Wir sind in der Stadt, im Rotlichtmilieu. Da sind Alex (Johannes Krisch) und
Tamara (Irina Potapenko). Sie ist Prostituierte, er ist einem schmierigen Zuhälter
zu Diensten. Die beiden lieben einander und wollen raus aus dem Milieu. Die
Klischees, die in dieser Konstellation stecken, komprimiert Götz Spielmann
in weder zu künstliche noch zu naturalistische Dialoge und in millimetergenau
komponierte Bilder. Man spürt von Anfang an die Kontrolle, die er über
seine Geschichte hat.
Zweimal tut im ersten Drittel des Films
die Kamera etwas gänzlich Unerwartetes: Einmal folgt sie Alex in seinem
Auto auf einer Waldstraße. Wo er aber abbiegt, fährt sie geradeaus
weiter und verharrt dann auf einem Kruzifix am Wegesrand. Das andere Mal beobachtet
sie Alex beim Ausbaldowern einer Bank, folgt ihm auf die Straße und hält
dann inne. Alex verschwindet nach rechts aus dem Bild, was man sieht, ist eine
unscheinbare, hohle Gasse, in der nichts geschieht. Es sind Momente der Irritation.
Man weiß, wie beim See des Beginns, nicht, was es zu bedeuten hat, aber
man begreift: Hier ist was im Gange.
Man könnte sagen: Götz Spielmann
spielt mit seinen Figuren und er spielt mit uns als Betrachter. Man könnte
denken: Die Kontrolle, die er als Drehbuchautor und Regisseur hat, spielt er
gekonnt aus. Die Irritationen - der See, das Kreuz, die Gasse - werden sich
als Prophezeiungen erweisen, die Geschichte kommt auf diese Orte zurück.
Und zwar so: Alex und Tamara wollen sich aus dem Milieu befreien. Alex überfällt
eine Bank, Tamara wartet im Auto. Der Plan ist gut, nichts kann schiefgehen.
Natürlich geht etwas schief. Die Gasse, die zuvor leer war, ohne Bedeutung
schien, wird nun zum Schauplatz eines Dramas, das am Kruzifix ein vorläufiges
Ende nimmt. Die Prophezeihung, die sich im Rückblick erst als solche erweist,
hat sich erfüllt.
Dramaturgisch ist das ein Verfahren, das
nicht nur Irritation, sondern auch Spannung erzeugt. Rhetorisch gesprochen handelt
es sich beim Spiel, das der Regisseur mit seinen Figuren treibt, um dramatische
Ironie. Sie wissen weniger als der Erzähler der Geschichte weiß -
und er stellt diesen Wissensvorsprung so aus, dass auch der Zuschauer an den
Punkt kommt, an dem er zum einen diesen Wissensvorsprung einholt und zum anderen
begreift, welche Signale der Film ihm zuvor schon gegeben hat. Deshalb hat die
rhetorische Figur der dramatischen Ironie ihre sozusagen tragödientheoretische
Pointe: Götz Spielmann inszeniert eine Tragödie, lässt aber an
Stelle des unsichtbar bleibenden blinden Schicksals eine andere, spürbare
Instanz walten: die des Erzählers, des Regisseurs, der die Zufälle
und Wendepunkte des Dramas von Anfang an kennt.
Bliebe es dabei, wäre "Revanche"
in erster Linie eines: raffiniert und brillant kalkuliert, eine Experimentalanordnung,
die aufgeht. Noch lange aber ist der Film hier nicht aus. Alex verlässt
die Stadt, zieht aufs Dorf zu seinem Großvater. Dort lernt er eine Frau
kennen, mit der er sich in eine komplexe Beziehung verstrickt. Der Film nimmt
also einen neuen Anlauf, oder vielmehr: gerade nicht. Die Geschichte, die gerade
dramatisch kulminiert ist, gewinnt keinen neuen Schwung, sondern trudelt aufs
Interessanteste aus. Und nimmt doch einen neuen Anfang, auf niedrigerem Energieniveau,
nimmt eine unerwartete Richtung, dem See des Vorspanns entgegen, und doch wie
von der Vorausdeutung befreit. Vom Titel her spannt sich auch darüber noch
der große Bogen der dramatischen Ironie als offene Frage: Wird Alex, wie
er sich's vornimmt, Rache nehmen an dem Mann, der am Scheitern seines Traums
Schuld trägt? Wird, auf der Meta-Ebene gefragt, der Titel des Films wörtlich
zu begreifen sein - oder selbst ironisch? Oder kann es gar gelingen, zwischen
beidem die Balance zu halten?
In der hoch interessanten und von derartigen
Spannungen brillant durchzogenen Auflösung seiner Geschichte zeigt sich
Götz Spielman als Meister. Keineswegs verliert er die Kontrolle über
die Fäden, die er von Anfang an zieht. Je länger der Film dauert,
desto mehr Bewegungsfreiheit gewährt er jedoch seinen Figuren. Er erzählt
nicht mehr über ihre Köpfe hinweg, begibt sich auf Augenhöhe
mit ihnen, lässt ihnen ihren Willen. Ihr Treiben wird unabsehbar, Abzweigungen
tun sich auf. "Revanche" beginnt sich, im zweiten, vom ersten so ganz
unterschiedenen Teil, einzulassen: auf den Ort, die idyllische Landschaft und
die Charaktere, die viel Zeit bekommen, sich einander zu nähern, und sei
es gegen den eigenen Willen. Wenn am Ende der See ruht und dann aufgerührt
wird und dann wieder ruht, wird das Drama, das der Film zwischen Aufruhr und
Aufruhr erzählt, keineswegs vorauszusehen gewesen sein.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
im: Perlentaucher am 4.2.09
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Revanche
Österreich
2008 - Regie: Götz Spielmann - Darsteller: Johannes Krisch, Irina Potapenko,
Ursula Strauss, Andreas Lust, Hannes Thanheiser, Hanno Pöschl, Toni Slama,
Magdalena Kropiunig, Rainer Gradischnig - FSK: ab 12 - Länge: 121 min.
- Start: 12.2.2009
DVD bei filmgalerie 451 (http://www.filmgalerie451.de/film/revanche/ )
Veröffentlichung am 02.10.09 (DVD-Verleihstart) + und am 30.10.09 (DVD-Kaufstart)
Extras::
Making Of, Interviews, Fotogalerien, Trailer
Sprache: Deutsch
Ländercode: Region 2
System: PAL Farbe
Bildformat: 16:9
Tonformat: Dolby Digital 5.1 + 2.0
Veröffentlichung: 02.10.09 + 30.10.09
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